Die Klimakrise betrifft alle, aber nicht alle gleich. Isadora Cardoso vom IASS Potsdam erforscht, welche Menschen vom Klimawandel am stärksten betroffen sind – und welche Rolle Geschlecht und andere Privilegien dabei spielen.
Frau Cardoso, woran forschen Sie?
Ich entwickle ein Projekt zur Pluralität zivilgesellschaftlicher Akteure und ihren Perspektiven auf gerechte Strukturwandel. Meine Forschung konzentriert sich darauf, solche Akteure in Brasilien und Deutschland zu kartieren und ihre vielfältigen Möglichkeiten zu diskutieren, einen gerechten Strukturwandel in ihren jeweiligen Ländern und weltweit zu konzipieren und voranzutreiben.
Was versteht man unter einer intersektionalen Forschungsperspektive zum Klimawandel?
Die Intersektionalität ist in der Tat eine Perspektive, durch die man besser sehen kann, welche unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen, rassischen, historischen, geografischen und ökologischen Fragen in den Kontexten der Menschen und Gemeinschaften eine Rolle spielen, und wie diese Probleme dazu beitragen, solche Menschen oder Gemeinschaften im Umgang mit klimabedingten Risiken zu benachteiligen. Wir leben in einem hegemonialen, also einem ungleichen System, das nach Hetero-cis-Normativität (siehe Infokasten), weißer Vorherrschaft, westlichem Zentrismus, fähigen und dünnen Körpern, formaler Bildung und einem höherem wirtschaftlichen Status strukturiert ist. Darin werden einige Menschen oder Gemeinschaften als überlegen gegenüber anderen angesehen, oder sie erhalten oft verschleierte Priorität für den Zugang zu Räumen, Ressourcen, Möglichkeiten und so weiter.
Und was haben diese UngleichÂheiten mit der Klimakrise zu tun?
Diese Prioritäten, oder nennen wir sie Privilegien, werden in der gesamten Gesellschaft unterstützt, von der kulturellen bis zur institutionellen und individuellen Ebene, durch Gesetze, soziale Praktiken, Sprache und so weiter. Ich kann ein Beispiel nennen: Weiße Kernfamilien der Mittelschicht in Europa sind durch den Klimawandel nicht so stark geschädigt wie LGBTQIA+-Menschen in Fidschi, obwohl die historischen und aktuellen Beiträge Europas und seiner Bevölkerung zu den Treibhausgasemissionen weitaus größer sind als die von Fidschi.
Diese Ungerechtigkeit wird immer wieder durch die gleichen Privilegien reproduziert, die ich eben erwähnt habe. Um die Klimakrise zu bekämpfen, denke ich an die Menschen oder Gruppen, die in meiner Forschung vertreten sind und wie ihre historischen und aktuellen Merkmale zu ihren Anpassungsfähigkeiten beitragen oder diese behindern. Das Ziel ist nicht zu erkennen, dass jeder gleich unter den Auswirkungen des Klimawandels leidet. Die Idee ist, dass wir durch die intersektionale Linse erkennen, wie diese Privilegiensysteme wechselseitig wirken und sich selbst reproduzieren. Dann sind wir in der Lage, sie zu bekämpfen und idealerweise zu zerstören. Denn diese Systeme haben die Klimakrise überhaupt erst erschaffen und erhalten sie aufrecht.
Die Friedensforscherin Dr. ChrisÂtiane Fröhlich sagt, der Klimawandel katalysiere nur Probleme, die bereits existieren. Können Sie diese Aussage bestätigen?
Ja, aber wir müssen herausfinden, warum diese Probleme existieren, wer sie verursacht und wie sie verübt werden. Beispielsweise sehen wir bei genauerer Betrachtung, dass einige Gruppen an der Macht, mit ähnlichen Merkmalen über verschiedene Kulturen hinweg, am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind, aber auch am meisten von ihrer Verschärfung profitieren. Zu nennen wären hier beispielsweise cis-weiße Männer, die Produktionsmittel und große Mengen an Eigentum besitzen. Aus diesem Grund beobachten wir selbst in der Pandemie oder mit einem stärkeren Klimawandel, dass Milliardäre immer mehr profitieren, während die meisten Menschen auf der ganzen Welt immer noch keinen Zugang zu Impfstoffen oder Sozialleistungen haben, um durch diese Krise zu kommen. Deshalb ist der Kampf gegen das Patriarchat, Klassismus und Rassismus auch ein Kampf gegen den Klimawandel, denn diese Machtsysteme sind die Grundlage unserer gegenwärtigen Krisen.
Privilegien reproduzieren ungleiche Machtsysteme
Welche Gruppen in unserer Gesellschaft leiden Ihrer Meinung nach mehr oder am meisten unter der Klimakrise?
Diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, nämlich People of Colour, arme Menschen, indigene Völker, gender-nonkonforme Menschen, insbesondere aus Ländern des Globalen Südens – obwohl natürlich auch innerhalb dieser Länder und im Globalen Norden Ungleichheiten und Privilegien bestehen.
Sie waren unter anderem in Forschungskollektiven in Brasilien, Deutschland und den Niederlanden tätig. Welche Unterschiede konnten Sie dort im Rahmen Ihrer Forschung feststellen?
In erster Linie gibt es viel mehr Ressourcen, einschließlich Infrastruktur und Finanzierung, für die Erforschung des Klimawandels im Zusammenhang mit sozialen Fragen im Globalen Norden. Aus meiner eigenen Erfahrung und Position als queere, nicht-binäre Person of Colour, die in Berlin lebt, kann ich jedoch sagen, dass ich in klimabezogenen Forschungs- und Aktivistenkollektiven in Brasilien und in BIPoC-Gruppen in Deutschland im Großen und Ganzen mehr kritische und dekoloniale Perspektiven und materielle Praktiken erlebt habe als in weiß-europäisch dominierten Gruppen.
Kontexte und Identitäten mitdenken
Sie erforschen intersektionale Lösungen für die Klimakrise. Können Sie einige Beispiele nennen?
Eine meiner Absichten mit meinem aktuellen Projekt ist es zu zeigen, wie verschiedene Gruppen und Organisationen zunehmend mit Klimafragen arbeiten und in ihren Kämpfen mit anderen Gruppen interagieren, da diese Krise alle überall betrifft. Allerdings nicht auf die gleiche Weise, wie ich bereits erwähnt habe. Ich suche nach den verschiedenen Akteuren in der Gesellschaft, die Klimagerechtigkeit fordern, wie ihre Kontexte und Identitäten mit den spezifischen Anforderungen verbunden sind und wie sich solche Forderungen mit den Forderungen anderer Akteure überschneiden. Zum Beispiel standen Arbeitergewerkschaften in der Vergangenheit an der Spitze der Kämpfe für einen gerechten Strukturwandel auf der ganzen Welt. Aber es ist auch sehr auffällig, dass viele Gewerkschaften feministische Prinzipien in ihren Kampf für einen Übergang weg von schmutziger Energie einbezogen haben. Und zwar indem sie nicht nur Frauen, die im Energiesektor arbeiten, in die Debatte und Entscheidungsfindung der Gewerkschaften einbezogen haben. Sondern auch indirekte sozioökonomische Auswirkungen des Strukturwandels auf ihre Familien und Gemeinschaften berücksichtigt haben, basierend auf der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in ihren Häusern.