Der junge Mann mit der unbändigen Energie ist zurück, offensichtlich selbstbewusster denn je. Immerhin hat der 25-jährige Alternativemusiker Yungblud seinen dritten Studio-Output mit seinem eigenen (Künstler-)Namen betitelt. „Yungblud" beginnt mit der schwungvollen Popnummer „The Funeral", die in den Strophen frappierend an „Dancing with Myself" von Punkpop-Altmeister Billy Idol erinnert. Das macht aber nichts, denn der Text über mentale Probleme zeugt von schwarzhumoriger Schlitzohrigkeit und erzählt davon, wie es ist, auf seiner eigenen Beerdigung alleine zu sein und sich dadurch trotzdem nicht die Laune verderben zu lassen. Die 80er-Jahre-Reminiszenz geht mit „Tissues" weiter, hört man doch an den gesampelten Handclaps und dem treibenden Schlagzeug „Close to Me" von den Dunkelrockern The Cure heraus. Der freundlichen Melodie setzt Yungblud, bürgerlich Dominic Richard Harrison, einen traurigen Text über eine fehlgeleitete Beziehung entgegen. Bei „Cruel Kids" griff ihm Sänger und Produzent Dan Smith der Indieband Bastille unter die Arme. Der Song mit den rückwärtslaufenden Snares und der „Verrücktheit von allem", wie es Yungblud ausdrückt, soll eine Hommage an Radiohead und deren Album „Kid A" sein. Verrücktheit ist eines der Themen des Engländers. Kein Wunder, leidet er doch unter Schlaflosigkeit und hat bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich, wie er 2020 öffentlich machte. Seine Probleme verarbeitet er in Songs wie „I Cry 2", „Sweet Heroine" oder „Mad". „Schmerz ist eine Sprache, die ich verstehe", singt er in „Die for a Night" – die Gitarrenballade ist vielleicht das berührendste Stück des Albums. Falsch verstandene Maskulinität und Femininität beschreibt der sich selbst als „sexuell fluide" beschreibende Sänger ebenso wie Unzucht im Klassenzimmer. Es ist im Grunde ein dunkles Album mit viel Seelenmüll – aber imponierend eingängigen Melodien. Schade ist eigentlich nur, dass die Produktion viel von Yungbluds rockiger Live-Dynamik gegen eine radiofreundliche Glätte eintauscht. Doch was ist bei so viel innerer Unreinheit schon gegen Tanzen, Springen und Feiern einzuwenden?
KULT[UR]

Foto: Interscope (Universal Music)
CD-Tipp: Tanzen, feiern, Seele befreien
Yungblud: Yungblud. Label: Interscope (Universal Music). Laufzeit: 36 Minuten.
Kult[ur] - CD-Tipp
MEHR AUS DIESEM RESSORT
CD-Tipp: Enthusiasmus mal 23
„Wir stehen hier für die Kunst, wir stehen hier für die Härte und das ...
03.02.2023
CD-Tipp: Auf den Wellen kreiseln
Schon der Vorgänger mit dem herrlich assoziativen luftigen Titel „Clou ...
27.01.2023
CD-Tipp: Einzigartiges Debüt
Wer sich mit isländischer Musik beschäftigt, dem fällt am ehesten Björ ...
20.01.2023
CD-Tipp: Staubiger Wüstenrock
Natürlich ist der Titel „Exiled On Mabel St.“ eine Anspielung, die dir ...
13.01.2023
CD-Tipp: Dunkle Intensität
„Nadine Khouris tiefe, klare Stimme scheint aus einer anderen Welt her ...
06.01.2023
CD-Tipp: Momente aus Porzellan
Nach mehreren erfolgreichen Alben und zahlreichen Jahren im Showgeschä ...
23.12.2022
CD-Tipp: Sympathen am Werk
„Palomar Parade“ ist das erste komplette Studioalbum von Sons of the E ...
16.12.2022
CD-Tipp: Von Münster nach Athen
Mittlerweile ist der im Münsterland aufgewachsene und seit einigen Jah ...
09.12.2022