Wie kann die deutsche Wirtschaft den Transformationsprozess in einer zusätzlichen Krisensituation wie jetzt verkraften? Das Saarland versucht es mit viel Geld. Nötig sei jedoch auch der „gepflegte Wahnsinn“, um neue Wege beschreiten zu können, sagen Unternehmer.
Der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft leidet. Als hätten drei Jahre Corona-Pandemie, Lieferkettenprobleme und die aktuelle Energiekrise samt Inflation nicht schon genug Bauchschmerzen bereitet, befindet sich die deutsche Wirtschaft in einem teilweise schmerzhaften Transformationsprozess mit gravierenden Folgen. Bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle und Organisationsstrukturen kommen auf den Prüfstand, Digitalisierung, Innovationsgeschwindigkeit und damit der Druck auf Unternehmen nehmen exorbitant zu. Und das in finanziell angespannten Zeiten, geprägt von Bürokratie, Fachkräftemangel, steigenden Zinsen und hoher Unsicherheit auf den Weltmärkten. Gift für die Konjunktur der exportorientierten deutschen Wirtschaft. Vor allem die mittelständischen Unternehmen gelten als gefährdet, ihre Wettbewerbsfähigkeit in den kommenden Jahren zu verlieren. Es drohen Insolvenzen, der Abbau von Arbeitsplätzen und Wohlstandsverlust.
Helfen kann nur ein radikales Umdenken. Dazu gehören mehr Diversität in der Organisation, mehr Geld für Forschung und Entwicklung, ein hoher Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Unternehmen, mehr Investitionen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und vor allem mehr Mut und Freiheit für Unternehmertum mit einer klaren roten Karte für die überbordende Bürokratie.
Innovationen sind neben Geld wesentlich
Wege aus dem Krisenszenario zeigte die Zukunftskonferenz der FITT gGmbH in Saarbrücken auf. Die Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer im Saarland arbeitet seit 20 Jahren an dem Spagat, Ideen, Innovationen und Wissen der Hochschulen verfügbar zu machen und in die praxisorientierte Anwendung in Unternehmen zu bringen. Aus dem einstigen Fachhochschulinstitut für Technologietransfer einer Handvoll von Professoren der Hochschule für Technik und Wirtschaft Saar ist inzwischen ein Wirtschaftsnetzwerk geworden, in dem über 2.000 saarländische Unternehmen mit Hochschulen, Ministerien und Verbänden zusammenarbeiten. So manches Startup-Unternehmen im Saarland wie beispielsweise Alocalo mit sener digitalen Einkaufsplattform oder 3D Cyclelab mit individuell geformten Fahrradsätteln aus 3D-Druck wären ohne Unterstützung in dieser Form kaum vorstellbar.
Dass der Transformationsprozess der saarländischen Wirtschaft ohne Innovationen nicht gelingen kann, weiß auch Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Es gehe darum, die Zukunftsfähigkeit des Saarlandes zu sichern, und dafür brauche man Geld, warb sie in ihrer Eröffnungsrede eindringlich für die Notwendigkeit des drei Milliarden schweren Transformationsfonds. „An Geld soll die Transformation nicht scheitern“, betonte sie. „Und es ist besser, heute in die Zukunft zu investieren, als morgen die Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Dieses politische Risiko gehe ich mit.“
Doch das Geld allein kann die Probleme auch nicht lösen. Zwar investieren die saarländischen Unternehmen im Bundesvergleich in Forschung und Entwicklung nur unterdurchschnittlich, allen voran der Mittelstand, aber vor allem mangelt es an Gründungswilligen. „Wir brauchen unbequeme Köpfe“, forderte der Konferenz-Gastredner, der Philosoph und stellvertretende Vorsitzende des deutschen Ethikrats Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin. Das Sperrige und Unbequeme werde leider zu oft von Unternehmen nicht geduldet und ausgebremst. Angepasster Mainstream in den Firmen sei die Folge. Auf der anderen Seite müsse sich die Wissenschaft stärker mit dem Bedarf der Wirtschaft auseinandersetzen.
Michael Zimmer, Geschäftsführer des Keramikherstellers M&R Manufaktur, fordert daher mehr „verrückte Weltverbesserer“, Manager für die Umsetzung und Verkäufer. Nur im Zusammenspiel dieser drei Komponenten könne in einem Unternehmen wirklich etwas Neues bewegt werden. Ein Hindernis, anders zu denken, sieht Zimmer zudem im mangelnden Selbstbewusstsein. „Geld ist da, wir haben Know-how, warum nicht mal was ausprobieren?“
Ähnlich sieht es der Geschäftsführer der IANEO Solutions, Dirk Frank. „Wir brauchen einen gepflegten Wahnsinn in der Belegschaft, damit der Spaßfaktor bei der Arbeit nicht verlorengeht und wir Mitarbeiter möglichst lange halten.“ Manchmal sei es trotzdem gut, nicht alle Risiken bei einer Gründung zu kennen, sonst würde einen tatsächlich der Mut verlassen. Der Gründergeist sei in Deutschland leider keine Inspiration für junge Menschen, betonte Wirtschaftsprofessorin Mana Mojadadr von der Hochschule für Wirtschaft und Technik Saar. Immer noch stehe die Versorgungssicherheit verbunden mit einer Karriere im Unternehmen bei vielen Menschen im Vordergrund.
Fehlt es jungen Menschen also an Mut, sich selbstständig zu machen? Gerade angesichts vieler Nachfolgen, die es in den nächsten zehn Jahren an den Unternehmensspitzen im Mittelstand zu regeln gilt, sind der fehlende Gründergeist und die mangelnde Verantwortungsübernahme ein sehr drängendes Problem der Wirtschaft. Der Professor für Volkswirtschaft an der HTW Markus Münter sieht Lösungen in einer radikalen Abkehr von der überbordenden Bürokratie. „Unternehmen beschäftigen sich zu 40 bis 50 Prozent mit regulatorischen Fragen. Und in einem kleineren oder mittleren Betrieb ist man oftmals Mädchen für alles. Warum schafft die Politik nicht mal jede Woche ein Gesetz ab, anstatt immer neue zu verabschieden? Das alles schreckt Gründungswillige doch nur ab.“ Überhaupt müssten Personalabteilungen sich darauf einstellen, dass qualifizierte Mitarbeiter nicht mehr bis zur Rente im Unternehmen bleiben. „Es wird fluide Ökosysteme geben, bei denen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Branchen über Unternehmensgrenzen hinweg situativ, also für bestimmte Projekte, zusammenarbeiten“, wagte Münter einen Blick in die nahe Zukunft. Südostasien und die USA machten das vor, Europa hinke noch hinterher. Ein Umdenken sei nötig, das so manche Arbeitsorganisation künftig auf den Kopf stellen werde, aber auch ein Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels sein könne. „Zugang zu Wissen und Vernetzung sowie Kooperationen werden die Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft sein.“ Eine doppelt schwere Herausforderung für mittelständische Unternehmen, die aufgrund der Krisen wenig investieren, parallel das Alltagsgeschäft für ihre Bestandskunden managen und sich dazu noch neuen Arbeitsformen, neuen Geschäftsfeldern und Herausforderungen stellen müssen, wenn sie langfristig überleben wollen.
Mehr Mut und weniger Bürokratie
Die Investition in ein erfolgversprechendes Startup könnte ein Weg sein, aber es sei Geduld gefragt, denn ob sich ein Investment lohne, zeige sich oft erst nach einigen Jahren, so Andreas Gühring, Aufsichtsratsvorsitzender der FITT und Managing Director des Maschinenbauers MHA Zentgraf. Auch Prof. Matthias Brunner vom Deutsch-Französischen Institut für Umwelttechnik wartet mit seinem Forschungsprojekt BioEnergyStorage BEST noch auf den großen wirtschaftlichen Durchbruch. Dabei sei die Umwandlung von Biogas in Methan inklusive der CO2-Nutzung technisch längst erprobt. Angesichts der Energiekrise ist es schon erstaunlich, dass Investoren aus der Wirtschaft gerade nicht Schlange stehen.
Wie Startups schnell funktionieren können, zeigte Sohaila Ouffata am Beispiel Afrika auf. Die Geschäftsführerin von BMW iVentures hat gemeinsam mit afrikanischen Partnern ein Gründernetzwerk für Frauen auf dem Kontinent entwickelt, das in kürzester Zeit über 3.000 Arbeitsplätze in verschiedenen Ländern Afrikas entstehen ließ. Afrika sei technologieoffen, verfüge über ein hohes Wachstum und Gründer-Mindset mit hoher Resilienz trotz aller Risiken. „Warum nicht in einen Kontinent mit Zukunft investieren?“, forderte Sohaila auf, die viele Jahre im Silicon Valley und in Israel in der Gründerszene tätig war. China sei in vielen Staaten Afrikas mit radikalen Methoden schon längst dabei.
IHK-Hauptgeschäftsführer Frank Thomé sieht die Innovationsfähigkeit zurzeit massiv gefährdet. Betroffen seien vor allem der Klein- und Mittelstand aufgrund der niedrigen Eigenkapitalquote. „Es mangelt zwar nicht an Förderprogrammen, aber an deren Effektivität und Transparenz.“
Da ist sie wieder, die Bürokratie, die in Krisenzeiten das Überleben nur noch schwieriger macht. Auch hier wäre ein „Wumms“ dringend nötig.