Die Ausstellung „Broken Music Vol. 2“ zeigt in Berlin im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart „70 Jahre Schallplatten und Soundarbeiten von Künstlerinnen und Künstlern“.
Wer genau lauscht beim Gang durch die weitläufigen Museumshallen des Hamburger Bahnhofs, hört hinter dem Klangteppich aus Hör-Installationen auch ein Seufzen. Es ist das Seufzen der Erleichterung. Wie es Co-Direktor Sam Bardaouil bei der Ausstellungseröffnung formulierte: Sie seien „sehr happy, dass die Rieckhallen sicher sind“. Im November 2022 hatten der Bund und das Land Berlin den Hamburger Bahnhof und die Rieckhallen angekauft und dem Ausstellungsort den neuen, umfassenderen Namen verpasst: Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart. Besonders freue sich das Team, mit dieser ersten Ausstellung in den vor dem Abriss geretteten Hallen nun eine ikonische Berlin-Geschichte aufgreifen zu können.
Diese rankt sich um „Gelbe Musik“. Zu sagen, das sei ein legendärer Plattenladen in Westberlin gewesen, ist weit untertrieben. Schallplatten gab es natürlich, eigentlich aber schuf Ursula Block hier eine Verbindung von Musik und Kunst. Ihre Ladengalerie war zwischen 1981 und 2014 eine Anlaufstelle für Musikschaffende, Künstlerinnen und Künstler. Alle schauten vorbei, die in die Stadt kamen, von John Cage über Yoko Ono und Sonic Youth bis zu Björk. Mit „Broken Music. Artists’ Recordworks“ realisierte Block 1989 eine viel beachtete Ausstellung. Daran knüpft der Hamburger Bahnhof mit „Broken Music Vol. 2 – 70 Jahre Schallplatten und Soundarbeiten von Künstlerinnen und Künstlern“ an.
Ein riesiges Foto von Gerhard Kassner empfängt die Besucher, es zeigt die Ladengalerie mit der Installation „Gelbe Musik“ von Hans Peter Kuhn. Weiter geht es durch die gigantischen Hallen, hier wurden großflächige Schriften angebracht, die den doch eher kleinen Ausstellungsstücken – zumeist Plattenhüllen – einen Rahmen geben. „Broken Music Vol. 2“ zeigt insgesamt die Beschäftigung von Künstlerinnen und Künstlern mit der Schallplatte in den letzten sieben Jahrzehnten. Anhand von 700 Tonträgern weisen zehn Kapitel die Entwicklung der Schallplatte als Medium der Kunst von der Nachkriegszeit bis heute aus.
2019 hatte die Nationalgalerie einen umfangreichen Bestand an Schallplatten von Ursula Block angekauft. An den rund 500 Tonträgern sind alle künstlerischen Herangehensweisen im Umgang mit der Schallplatte ablesbar. Erweitert wird das Panorama durch Klangarbeiten aus der Sammlung der Nationalgalerie, darunter raumfüllende Soundinstallationen wie etwa die Ton-Raum-Skulptur „Große Raum-Wiege“ von Bernhard Leitner von 1980, im Jahr 1983 für die Nationalgalerie erworben. Wer die Skulptur betritt, wird umfangen von Tönen. Diese und andere Arbeiten zeigen Wechselwirkungen zwischen der Schallplatte und den Bereichen Musik, Performance und Soundart, durch die Farben zu Tönen und Klänge zu Bildern werden. „Grenzen zu verschieben“, das sei es eben, was Künstler machten, so Bardaouil. Die Ausstellungsmacher betonen das Interdisziplinäre, die Verbindung aus Musik und Kunst.
Wer vom Vorüberziehen der Plattencover müde geworden ist, kann an Hörstationen mittels QR-Codes Musik hören. Oder sich Dan Grahams fast einstündige Video-Arbeit „Rock my Religion“ von 1984 ansehen.
Ursula Block erklärte einmal in einem Interview, ihr Ziel mit „Gelbe Musik“ sei gewesen, Schallplatten aller Art zu sammeln und anzubieten. Schon ihre erste Ausstellung von 1986 mit dem Titel „Künstlerschallplatten“ umfasste „Platten von etwa Joseph Beuys, Hanne Darboven, Die Tödliche Doris, Jean Dubuffet, Joe Jones, Rolf Julius, Yves Klein, Milan Knížák, A. R. Penck, Robert Rauschenberg und viele mehr – und alle standen zum Verkauf“.
Auch wer sich nicht intensiv mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, hat in der Ausstellung Aha-Erlebnisse. Da sind Cover, die von Kunstschaffenden gestaltet wurden. Andy Warhols Bananen-Cover für „The Velvet Underground & Nico“ von 1967 ist ebenso zu sehen wie über die Jahrzehnte entstandene Arbeiten von Barbara Kruger, Marcel Duchamp, Pablo Picasso, Fischli & Weiss, Joseph Beuys oder Laurie Anderson.
Bruch mit Hörgewohnheiten
Darüber hinaus wird eine Videoinstallation von Nam June Paik gezeigt (TV-Dog), die der Künstler 1993 für Ursula Block angefertigt hat. Die Installation zeigt eine Plastik von Blocks Hund Luzzi vor einem TV-Gerät sitzend und erinnert damit an Paiks berühmte Arbeit „TV-Buddha“ (1974), einer Ikone der Videokunst – die zudem natürlich an das Platten-Logo „His Master’s Voice“ erinnert.
„Broken Music steht für den Bruch mit konventionellen Hörgewohnheiten, für ein Brechen mit überkommenen Vorstellungen als Aufbruch zu etwas Neuem“, so Ursula Block in einem Katalogtext von 1989. Der Begriff gehe auf den tschechischen Künstler Milan Knížák zurück, der Anfang der 1960er-Jahre begann, Schallplatten systematisch zu zerstören, indem er sie bemalte, verbrannte, zerkratzte, zerbohrte, zerbrach und wieder verklebte – die daraus entstehenden Collagen nannte er Broken Music. Derartig malträtierte Platten finden sich in der Ausstellung auch mit den Objekten von Piotr Nathan.
In einer Halle geht es um „Pop/Art/Music“, sie widmet sich der Popmusik, die sich in den 1950ern in den USA und Großbritannien entwickelte. In diesem Bereich der Ausstellung trifft man auf Kunst von Andy Warhol, aber auch von Banksy, Cindy Sherman, Jeff Koons. Interessant auch die Sammlung zu „Germany West und East“, explizit nicht nur Westberlin gewidmet, sondern ebenso der Szene im Osten der Stadt und Strömungen aus Chemnitz/Karl-Marx-Stadt. Hier geht es vorrangig um Punk ab Mitte der 1970er.
„Broken Music now“ hinterfragt, was heute davon übrig ist, nachdem populäre Musik von den Schallplatten auf CDs gewandert und nun fast gänzlich über Streaming im Internet zugänglich geworden ist. „Artists Labels“ zeigt Label, die von Kunstschaffenden selbst betrieben werden. Sie verlegen Platten mit ihren Soundarbeiten und gestalten die Cover, Visuelles und Musikalisches wird als Einheit gedacht.
Der Raum „Art Goes Club“ zeigt, welche Wechselwirkungen zwischen Kunst und Musik die elektronische Club-Musik erzeugte. Künstlerinnen und Künstler arbeiteten als DJs, betrieben Labels oder Clubs.
Nach so viel Input können die Besucherinnen und Besucher sich auch selbst als Tonkünstler oder -künstlerinnen betätigen: An einem Tisch mit vier Plattenspielern, der Arbeit „Bausatz noto“ von Carsten Nicolai, lassen sich verschiedenfarbige Vinyls mit unterschiedlichen Klangfarben kombinieren.