Fortbewegungsmittel, Kultobjekt, Wirtschaftsfaktor sowie Umweltsünder. All diese Aspekte plus die Bedeutung fürs Saarland versucht die Ausstellung „Auto unser – Kult und Krise“ im Historischen Museum unter einen Hut zu bringen.

Der Aufgabe, das Faszinosum Auto dem Betrachter in seinen vielfältigen Teilbereichen nahezubringen, hat sich Dr. Hans-Christian Herrmann, der Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs, angenommen. Ein Rundgang mit dem Historiker durch die Schau erhellt dessen Vorgehen. Da ist zunächst die grobe Unterteilung: „Wir haben zwei große Themenbereiche, links mehr das Kultur-, Mentalitäts- und Wirtschaftsgeschichtliche und das Nostalgische.“ Ebenfalls zeige diese Seite der Ausstellung „das Auto als Attribut, Zeichen der Mächtigen, Statussymbol“. Auf der rechten Seite gehe es, so Herrmann, um die große Herausforderung des Automobils. Es habe ja nicht erst heute, sondern schon in den Sechzigerjahren eine Art Legitimitätskrise erlebt. Themen dieser Seite seien die autogerechte Stadt, die Verkehrstoten, die Energieeinsparung, die Ölkrise und die passive Sicherheit. Hier sehen die Besucher auch die Geschichte des Autolands Saarland als Beitrag zur Lösung der Strukturkrise.
Autoland Saarland

In der Mitte sind die klassischen musealen dreidimensionalen Gegenstände zu sehen, so etwa Seifenkisten oder Spielzeugautos. Wie kam Herrmann auf die Idee zur Ausstellung? „Ich bin 1964 geboren, das ist ein Jahrgang, der sehr stark mit der Mobilisierung der Massen, der Automobilisierung, verbunden ist. Da wird dann häufig erzählt, die ersten Worte, die man als Baby sprechen konnte, waren Papa, Mama, Auto.“ Als Kind habe er sich total für Autos interessiert und Autozeitungen gelesen. „Im Laufe des Erwachsenwerdens und der Tätigkeit als Historiker habe ich festgestellt, dass das Auto eine bedeutsame Erfindung für die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts ist, dass sich alle gesellschaftlichen Phänomene ohne das Auto nicht erschließen lassen.“ In der Coronazeit habe Herrmann dann mit den Überlegungen und tieferen Recherchen begonnen. Schließlich konnte er auch Museumsdirektor Simon Matzerath für das Thema begeistern.

Wir fangen den Rundgang in der Mitte an – zu allen Exponaten erzählt Herrmann unterhaltsame Anekdoten. Etwa zu der imposanten roten Seifenkiste, die aus dem Fundus des Museums stammt. „Seifenkistenrennen waren populär. Auf der Radrennbahn am Saarbrücker Schanzenberg sind Anfang der Fünfzigerjahre solche Rennen durchgeführt worden, da kamen über 10.000 Zuschauer.“ Oder zu den Matchbox-Autos: „Das Matchbox-Auto ist das erfolgreichste Auto der Welt. In den Siebzigern sind pro Tag über 500.000 Matchbox-Autos gebaut worden.“ Ein besonderes Ausstellungsstück ist der Wankelmotor der im Saarland einst angesiedelten Firma Comotor. Damals errichteten die Hersteller NSU, Audi und Citroën in Altforweiler eine Fabrik zur Produktion von Wankelmotoren. Das erwies sich aber als Sackgasse. Laut Herrmann trugen vor allem Bedienungsfehler zum schlechten Ruf des Motors bei: „Die sind dadurch kaputtgegangen, dass die Besitzer nicht geschaltet haben. Der Motor wurde ja, je höher die Drehzahl war, umso leiser.“ Was aber erstaunt beim Ausstellungsstück, ist die geringe Größe des über 100 PS starken Triebwerks.
Auf der linken Seite findet sich eine Fotografie, die maßgeblich zum sakralen Titel der Ausstellung beitrug: Im Jahr 1960 hatte der evangelische Pfarrer der Autostadt Rüsselsheim die Idee, den Altar zum Erntedankfest unter anderem mit Autoteilen zu schmücken. Ein 16-jähriger Ministrant, der Journalist werden wollte, erkannte den Skandal und fertigte das Bild an, das letztlich im „Spiegel“ erschien. Herrmanns Kommentar: „Der Pfarrer hatte ja die wirtschaftliche Realität auf den Punkt gebracht, wurde aber dafür von seinen Amtsbrüdern übelst gescholten.“

Zur Kulturgeschichte des Autos gehört sicherlich auch seine Verwendung als Staatskarosse. Sinnbildlich aus deutscher Sicht steht dafür der von 1964 bis 1981 gebaute Mercedes 600. „Der 600er ist gerne von Schurken erworben worden, wie etwa Mao Tse-tung oder Nicolae Ceaușescu“, weiß Herrmann. Ein Videoausschnitt der Ausstellung zeigt, wie der Wagen beim Staatsbesuch von Erich Honecker 1987 eingesetzt wurde. Der DDR-Sprecher raunt ins Mikrofon: „Der Mercedes 600 steht für den Staatsratsvorsitzenden bereit“ oder „Der Staatsratsvorsitzende steigt jetzt in den Mercedes 600 ein“. Das war insofern von Bedeutung, als die Bundesrepublik die DDR nicht als eigenen Staat anerkennen konnte. Im Zuge der Entspannungspolitik habe man aber das „volle Programm gefahren“, so Herrmann. Und dazu gehörte eben auch der große Benz.
Ähnlich schön ist die Geschichte des einst schnellsten Botschafterwagens der Welt: Da Citroën wegen seines Luxus-Sportwagens SM Probleme mit dem Bundeskraftfahrtamt hatte – unter anderem wurde das Kennzeichen hinter Glas moniert –, schenkte man kurzerhand ein Exemplar dem französischen Botschafter Jean Sauvagnargues. Dieser ließ den rechten Vordersitz durch einen Fernseher ersetzen, nahm hinten Platz und durfte ab da mit über 220 Stundenkilometern durch die Lande brausen. Die Kleinigkeiten mit dem Bundeskraftfahrtamt ließen sich dann über den Verkehrsminister Georg Leber regeln.
Legendäre Fahrt von Berta Benz

Ein weitaus einfacheres Citroën-Modell, ein Ami 6, ist auf zwei Fotografien zu sehen: Sie zeigen das Ehepaar Danielle und Erhard Schwambach beim Start zur ihrer Weltreise von Dirmingen aus. 120.000 Kilometer waren einst mit dem 24 PS starken Kombi geplant gewesen, nach immerhin 87.000 Kilometern kehrte das Paar jedoch bereits zurück. „Die beiden haben sich kennengelernt, als er sie fragte: Willst du mit mir eine Weltreise machen?“
Das Auto im Zeichen der weiblichen Emanzipation bringt auch viel Themenstoff mit sich: Etwa die legendäre Fahrt von Berta Benz in der Erfindung ihres Mannes von Mannheim nach Pforzheim im August 1888. Oder wie Adam Opels Witwe Sophie das Werk in den Bereich der automobilen Massenproduktion führte.
Eine hübsche saarländische Anekdote ist eine VW-Werbung von 1970: „Bevor Sie sich schon wieder ein französisches Auto kaufen, sollten Sie sich unsere wenigstens einmal ansehen“, hieß es darin. Hintergrund dessen sei die Zollfreiheit von 1959 bis 1969 gewesen, wodurch die Wagen aus dem Nachbarland 20 bis 30 Prozent billiger zu haben waren, erzählt Herrmann. Renault konterte dann mit einer Annonce, die den Text der VW-Anzeige wiederholte – mit dem Zusatz „Sagt VW.“ Um dann aufzufordern: „Am besten selber testen!“
Technische Neuerungen

Freude an der Ausstellung werden alle diejenigen haben, die sich für das Automobil im historischen Kontext interessieren. Herrmann hat in liebevoller Kleinarbeit die Bebilderung vieler schöner Anekdoten rund ums Auto zusammengetragen. Das Resultat geht auf gesellschaftliche Entwicklungen ein und wirft auch Licht auf die technischen Veränderungen des Automobils. Etwa auf die vielfältigen Versuche der Industrie, das Auto sparsamer zu machen, in den 1970er- bis 90er-Jahren vor allem von den Europäern vorangetrieben. Manche innovativen Modelle wie der Drei-Liter-Lupo von VW scheiterten dann schlicht am mangelnden Käuferinteresse. „Man muss aber auch sagen: Für 30 Prozent weniger Verbrauch musste man 30 Prozent mehr bezahlen.“ Da hatten es Sicherheitskonzepte wie der Dreipunktegurt (Volvo) oder der Airbag (Mercedes-Benz in Zusammenarbeit mit Bosch) schon leichter, sich durchzusetzen.
Die Ausstellung symbolisiert die bessere Sicherheit mit Plastikfiguren, die die Anzahl der Verkehrstoten symbolisieren, die mit den Jahren abnimmt. Natürlich liegt die Frage nahe, was wohl das Lieblingsauto des Ausstellungsmachers ist. Man ahnt die Antwort: „Ich mag halt eher ältere Autos, alte Mercedes-Modelle, Volvo, Citroën DS, Peugeot 404, 504. Aber aktuell finde ich kaum noch Autos schön, weil sie sich alle so ähnlich sind und außerdem sehr aggressiv wirken. Im Grunde genommen stelle ich mit Frust fest, dass ich bei schönen Autos immer in die Vergangenheit blicke – das kann’s eigentlich nicht sein.“