Die Euphorie über das Pariser Klimaabkommen hat sich längst gelegt. Für die UN-Biodiversitätskonferenz erhofften sich Forschende dennoch einen „Paris-Moment“. Im Kampf gegen den Klimawandel ist auch diese Konferenz enorm wichtig. Über sie berichtet wurde jedoch kaum.
Ende 2022 wurde viel über die COP27 geredet, die „Climate Change Conference“, die vom 6. bis 18. November stattfand. Dabei gab es noch eine weitere wichtige COP: Die „United Nations Biodiversity Conference“ oder auch COP15. Sie tagte fast genau einen Monat später, vom 7. bis 19. Dezember. Über sie wurde medial mehr berichtet als in den Jahren zuvor, aber doch viel weniger als über die COP27. Von einem „Paris-Moment“ war die Rede, zumindest hofften viele Forscherinnen und Forscher darauf.
Die Weltklimakonferenz ist mittlerweile ein Event, bei dem niemand mehr wegschauen kann. Jahr für Jahr erhoffen sich Hunderte WissenschaftlerInnen, Forscher, KlimaaktivistInnen und Umweltschützer, dass aus den Zielen für das Klima endlich konkrete Maßnahmen werden. Der Moment in Paris im Jahr 2015 war deshalb so besonders, weil die Nationen sich gemeinsam dazu verpflichteten, die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu halten. So einen Beschluss wünschte man sich im November 2022 auch für die Biodiversität.
„Die COP15 hat durchaus Züge eines Paris-Momentes für die Biodiversität angenommen“, findet Prof. Dr. Josef Settele, Leiter des Departments Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Er hat an der COP15 teilgenommen und ist vom Ausgang der Verhandlungen positiv überrascht.
Die 15. Weltnaturkonferenz hat in einem Abschlussdokument 23 Naturschutzziele festgelegt, die die Weltgemeinschaft bis 2030 umsetzen will. Die neuen Ziele lösen die „Aichi-Ziele“ der UN-Biodiversitätskonferenz 2010 ab. Von diesen wurde nicht ein einziges vollständig erfüllt. Bis 2030 sollen nun 30 Prozent der Meeres- und Landesfläche zum Schutz ausgewiesen werden, die Weltgemeinschaft will 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme renaturieren und die Verschmutzung durch Pestizide und Düngemittel halbieren. Nur noch halb so viele Lebensmittel sollen verschwendet und halb so viele invasive Arten verbreitet werden. Die Staaten sollen ihre Unternehmen und Finanzinstitutionen in die Pflicht nehmen, ihre Aktivitäten und deren Einfluss auf die biologische Vielfalt offenzulegen.
Für Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main liegt der Teufel im Detail. „Probleme sind, dass nicht festgelegt wurde, wie konkret ein effektiver Schutz der Gebiete aussieht und was das konkrete Ziel der Renaturierung ist. Viele Formulierungen sind schwammig, viele der Indikatoren qualitativ und damit nicht messbar. Ein Nicht-Erreichen der Ziele ist nicht mit Sanktionen belegt. Das Abkommen hat keine scharfen Zähne“, kritisiert sie. „Damit kommt der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen (NGOs), eine große Bedeutung zu, die Einhaltung der Ziele einzufordern. Eine große Rolle könnten in Zukunft auch Gerichte spielen“, erklärt Böhning-Gaese. Die Nationen sind dazu verpflichtet, nationale Biodiversitätsstrategien zu entwickeln. Damit deren Ziele rechtsverbindlich sein könnten, müsste allerdings erst einmal geregelt werden, wer für sie verantwortlich ist. Der Strategieentwurf zur neuen Nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS) der Bundesrepublik wird voraussichtlich im Februar 2023 in die Ressortabstimmung gehen und im Frühjahr 2023 veröffentlicht.
Darüber hinaus müsste auch festgelegt werden, wie der Schutz der Biodiversität konkret gewährleistet werden soll, denn mit dem Schutz bestimmter Gebiete allein ist dieses Vorhaben noch nicht gesichert. „Über die EU hinweg sind derzeit bereits um die 26 Prozent der Landfläche tatsächlich unter Schutz – also sind wir gar nicht weit weg von dem 30-Prozent-Ziel. Man sollte also meinen, dass das 30x30-Ziel für uns einfach zu erreichen wäre. Aber natürlich haben wir auch in Europa mit Biodiversitätsverlust zu kämpfen und daran würden weitere vier Prozent Schutzgebiete nichts ändern“, weiß Prof. Dr. Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Darüber hinaus brauche es ein bewussteres Konsumverhalten, nicht nur im Umgang mit Lebensmitteln, sondern auch mit Holz, Energie und Fläche.
Neue Ziele, alte Zweifel
Katrin Böhning-Gaese kann dem Beschluss allerdings auch viel Gutes abgewinnen. „Überraschend war, dass die tiefen Ursachen, die zur Zerstörung der Biodiversität führen – das Wirtschafts- und Finanzsystem – mit ehrgeizigen Zielen adressiert wurden.“ 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr sollen weltweit bis 2030 mobilisiert und für den Schutz der biologischen Vielfalt von allen Ländern gemeinsam investiert werden. 500 Milliarden an biodiversitätsschädlichen Subventionen für fossile Energien, in der Landwirtschaft und der Fischerei will die Weltgemeinschaft bis 2030 abbauen. „Sehr wichtig ist auch die Zusage, dass die Industrieländer bis 2030 jährlich 30 Milliarden Dollar für die Entwicklungsländer bereitstellen“, ergänzt Prof. Dr. Henrique Pereira, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Halle-Jena-Leipzig, der ebenfalls die COP15 vor Ort besucht hat.
Und die Zeit drängt, denn der Verlust der Artenvielfalt hält an. Die Weltnaturschutzunion IUCN veröffentlicht jedes Jahr die „Rote Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten“. Nach ihr sind 41 Prozent aller Amphibien, 27 Prozent aller Säugetiere, 34 Prozent aller Nadelbäume, 13 Prozent aller Vögel, 37 Prozent aller Haie und Rochen, 36 Prozent aller Korallenriffe und 28 Prozent ausgewählter Krustentiere vom Aussterben bedroht. Bei den Reptilien handelt es sich um 21, bei den Palmfarnen sogar um ganze 69 Prozent. Almut Arneth bleibt deshalb trotz der hochgesteckten Ziele vorsichtig. Den „Paris-Moment“ sieht sie eher kritisch. „Leider muss man darauf verweisen, dass im Jahr 2022 – sieben Jahre nach der Pariser Klima-COP 2015 – die menschlichen CO2-Emissionen munter weiter ansteigen“, sagt Arneth. Ein „Paris-Moment“ helfe nicht, wenn daraufhin nicht gehandelt werde.
„Leider ist meine Zuversicht, nun auch endlich die notwendigen Taten zu sehen – auch im Hinblick auf unser bisheriges Nicht-Handeln, was den Klimawandel anbelangt – begrenzt. Ganz die Hoffnung aufgeben will ich aber auch noch nicht“, fährt die Professorin fort. Sie ist der Meinung, man müsse genau im Blick behalten, wie diese Ziele vor Ort angegangen würden. Trotzdem kann die Tatsache, dass die Biodiversitätskonferenz überhaupt mit der Weltklimakonferenz verglichen wird, schon als kleiner Erfolg gesehen werden. „Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, dass das Thema Biodiversität auch dank des Gipfels zunehmend die Öffentlichkeit und Politik erreicht. Noch nie wurde das Thema meiner Wahrnehmung nach in Deutschland so hoch gesetzt und so viel darüber berichtet“, sagt Katrin Böhning-Gaese.
Henrique Pereira ist froh darüber, dass der Wissenschaft endlich Gehör geschenkt wurde. „Vor ihr liegt nun eine Menge Arbeit.“ Und auch Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, sieht die Forschung jetzt am Zug. „Persönlich inspirierend, motivierend und beeindruckend war, dass Forschung und Wissenschaft in Montréal eine Stimme bekommen haben, ernst genommen und integriert wurden. Es liegt jetzt an der Forschungs-Community, diese Stimme im Rahmen der Convention on Biological Diversity (internationales Umweltabkommen, das 1993 in Kraft trat, Anm. d. Red.) weiter zu verankern. Schritte in diese Richtung gab es auf der COP15.“ Und das ist immerhin ein Anfang.