Die Lichtverschmutzung durch künstliches Licht nimmt jährlich zu. Für Pflanzen und Tiere kann das tödlich enden, weiß Dr. Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).
Herr Dr. Hölker, was versteht man unter Lichtverschmutzung?
Das ist die Verschmutzung des natürlichen Lichts in der Nacht durch künstliches Licht. Mond- und Sternenlicht sind Beispiele für natürliches Licht. Am besten kann man sich den Begriff aus der Perspektive von Astronomen erklären, die seit Jahrtausenden den Nachthimmel beobachten. Die meiste Zeit wurden diese Beobachtungen von künstlichem Licht überhaupt nicht beeinflusst. Seit wenigen Jahrzehnten nimmt das künstliche Licht in der Nacht extrem zu und überlagert das natürliche Licht. Heutzutage kann man beispielsweise das Sternbild Orion in einer großen Stadt kaum noch ausmachen, weil nur noch ganz wenige Sterne aus diesem Sternbild erkennbar sind.
Wodurch entsteht Lichtverschmutzung?
Eine sehr häufige Quelle ist Straßenbeleuchtung. Man sieht auf Satellitenbildern sehr gut, wie sich Lichtkorridore wie ein Netz durch eine Stadt ziehen. Weitere Ursachen sind Sicherheitsbeleuchtung von Flughäfen und Häfen, Stadion- und Baustellenbeleuchtung, Werbe- und Gebäudebeleuchtung.
Was sind die Folgen für Flora und Fauna?
Mittlerweile weiß man, dass sehr viele Organismen betroffen sind – sowohl Pflanzen als auch Tiere und Mikroorganismen. 30 Prozent der Wirbeltiere und 60 Prozent der wirbellosen Tiere sind nachtaktiv und damit auch potenzielle Kandidaten, welche direkt beeinflusst werden.
Können Sie Beispiele nennen?
Viele nachtaktive Organismen haben Schwachlichtsensoren entwickelt und sind in der Lage, das wenige natürliche Licht zu nutzen. Wenn künstliches Licht dieses überlagert, das heißt verschmutzt, oder ihre Systeme komplett überblendet, verlieren sie die Orientierung. Es gibt zum Beispiel Käfer, die die Milchstraße als Orientierungspunkt in der Landschaft nehmen und diese in einer lichtverschmutzten Umgebung nicht mehr erkennen können. Ein anderes Beispiel sind Nachtfalter, die, wenn sie in die Nähe einer Straßenlaterne kommen, bis zur Erschöpfung um diese zirkulieren oder von Räubern wie Spinnen gefressen werden, die von der hohen Dichte an desorientierten Insekten profitieren.
Künstliches Licht beeinflusst auch das Wachstum von Pflanzen. Pflanzen nutzen Licht nicht nur für die Photosynthese. Es ist auch eine Informationsquelle über die Photoperiode, also die Tageslänge. Im Winter sehen wir, dass im Bereich einer Straßenbeleuchtung einige Arten das Laub später abwerfen. Dadurch riskieren sie Frostschäden, denn der Laubabwurf bedeutet für einen Baum, sich winterfest zu machen. Das wird ausgehebelt durch zu viel Licht in der Nacht.
Haben Sie noch Beispiele für andere Tiere außer Insekten?
Es gibt Nutznießer, die auch gleichzeitig davon betroffen sind, wie beispielsweise die Zwergfledermaus. Bei stärkerer Straßenbeleuchtung überquert sie ungern eine Straße. Sie profitiert aber auch von der hohen Dichte an Insekten, die um eine Straßenlaterne herumkreisen.
Wenn Wasserschildkröten schlüpfen, sollten sie so schnell wie möglich Richtung Meer laufen, um zu vermeiden, am Strand gefressen zu werden. Dafür orientieren sie sich am reflektierten Licht der Sterne und des Mondes auf der Wasseroberfläche. Wenn auf der anderen Seite hellere Lichtquellen vorhanden sind, wandern sie eher dorthin. Da warten dann leider der Straßenverkehr oder Fressfeinde. In solchen Gebieten haben einige Arten dann kaum die Möglichkeit, sich fortzupflanzen.
Was tun Sie derzeit in Ihren Forschungsprojekten?
Wir erforschen den Einfluss von Lichtverschmutzung auf unterschiedlichste Ebenen der biologischen Vielfalt, angefangen bei der Genexpression bis hin zu ganzen Ökosystemen und Landschaften. Wir haben Untersuchungen mit Insekten sowohl unter Wasser als auch über Wasser gemacht, wir haben den Hormonhaushalt von Fischen untersucht. Zurzeit erproben wir, wie man nachhaltige Beleuchtung einsetzen kann und welche Art von Beleuchtung das sein kann.
In dem Projekt „Tatort Straßenbeleuchtung“ haben wir zusammen mit der Industrie und Lichtingenieuren von der TU Berlin eine Beleuchtungsform entwickelt, mit der wir das Licht darauf begrenzen, wo es benötigt wird. Und jetzt untersuchen wir in verschiedenen Gemeinden in ganz Deutschland, unter anderem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen, aber auch in einem anderen Projekt (NaturLicht) in Baden-Württemberg, ob diese Form der nachhaltigen Beleuchtung auch das erfüllt, was wir uns von ihr erhoffen.
Was bedeutet Genexpression?
Im engeren Sinn ist Genexpression der Vorgang, bei dem die genetische Information umgesetzt und für die Zelle nutzbar gemacht wird, vom Gen zum Genprodukt. Bei unseren Untersuchungen geht es dabei um die Frage, inwieweit bestimmte Genprodukte (zum Beispiel Sexualhormone), die für die Fortpflanzung wichtig sind, durch Licht in der Nacht beeinflusst werden.
Bei dem sogenannten Nachthormon Melatonin konnten wir herausfinden, dass bereits geringste Lichtmengen – im Bereich dessen, was die Erhellung des Nachthimmels erzeugt – sich auf die Melatoninbildung auswirken. Das Hormon informiert alle Zellen im Körper darüber, dass es jetzt Nacht ist und die Zellen sich zum Beispiel regenerieren sollen.
Gibt es konkrete Zahlen, wie viele Insekten durch Lichtverschmutzung sterben?
Das können wir noch nicht genau sagen. Wir sehen Veränderungen in den Lebensgemeinschaften. Aber ob sie tatsächlich aus stark beleuchteten Gegenden komplett verschwinden, kann man nur langfristig beobachten. In einer niederländischen Nachtfalterstudie wurden über fünf Jahre verschiedene naturnahe Standorte beleuchtet. Dort sieht man eine signifikante Abnahme in den Nachtfalter-Populationen. Das hat wiederum Auswirkungen auf gesamte Ökosysteme, weil Nachtfalter, wie viele andere Insekten, zum Beispiel Nahrungsgrundlage für andere Tiere sind und eine wichtige Funktion als Nachtbestäuber erfüllen, was den Fruchterfolg von Pflanzen beeinflusst.
Sind diese Auswirkungen irreversibel?
Das ist wie bei allen Stressfaktoren. Wenn der Umweltstress beseitigt wird, kann dies für einige Arten reversibel sein. Aber in Gebieten, in denen bestimmte Arten verloren gegangen sind, lässt sich das oft nicht mehr umkehren. Nach einer jahrzehntelangen Beleuchtung haben wir wahrscheinlich Veränderungen im gesamten Ökosystem, die nicht mehr einfach rückgängig zu machen sind. Auch wenn es immer mehr Forschungsgruppen gibt, die sich damit beschäftigen, gibt es gibt hier noch viele offene Fragen.
Laut Studien nimmt die Lichtverschmutzung weltweit jährlich um zwei bis sechs Prozent zu. Gibt es Prognosen, welche Auswirkungen das auf die Biodiversität haben wird?
In neueren Studien ist sogar von weltweit fast zehn Prozent jährlich die Rede. Wir müssen damit rechnen, dass in Gegenden, wo Lichtverschmutzung zunimmt, lichtsensitive Arten auf Dauer verschwinden. Es wird auch zu einer Anpassung bei einigen Organismen kommen. Aber das sind vor allem Mikroorganismen oder Insekten, die eine hohe Reproduktionsrate und kurze Regenerationszeiten haben. Viele Arten, für die eine natürlich dunkle Nacht essenziell ist, werden wir verlieren und das kann Folgen auf Ökosystemleistungen haben.
Was kann man gegen Lichtverschmutzung tun?
Es gibt erste Ansätze, Lichtverschmutzung zu reduzieren. Wir können das Licht besser ausrichten, sodass es nur dahin dringt, wo es gebraucht wird, zu Zeiten, in denen es benötig wird, in spektralen Zusammensetzungen, die weniger schädlich sind, und möglichst geringeren Lichtintensitäten. In Deutschland wurde im sogenannten Insektenschutzgesetz, das jetzt kürzlich in das Bundesnaturschutzgesetz implementiert wurde, auch das Thema Lichtverschmutzung behandelt. Es bedarf noch einer Rechtsverordnung, die dies näher regelt und konkretisiert, aber prinzipiell ist das Thema Lichtverschmutzung Teil des Naturschutzes geworden. Wichtig ist, sich bewusst zu machen: Licht hat auch seine Schattenseiten.