Im Globalen Süden stößt Pekings Narrativ vom Ukraine-Krieg auf Resonanz
China ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Rund drei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie mit Lieferketten-Chaos und wirtschaftlicher Lähmung strotzt Peking vor Selbstbewusstsein und Stärke. Präsident Xi Jinping wird von Kremlchef Wladimir Putin nach allen Regeln der Kunst umworben. Der Chinese feiert den politischen Schulterschluss als Beginn einer neuen Ära: „Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind es, die diesen Wandel gemeinsam vorantreiben“, sagte er kürzlich in Moskau.
Es ist ein Loblied auf die multipolare Weltordnung und eine indirekte Breitseite gegen den Westen. Xi und Putin sehen im Ukraine-Krieg einen Stellvertreter-Konflikt. Für beide geht es in Wahrheit darum, das westliche „Hegemoniestreben“ abzuwehren. Die Ukraine sei ein Vorposten der Amerikaner und Europäer, um Russland zu bedrohen – so die Lesart in Moskau und Peking.
Dieses neue Blockdenken hat im Westen mit umgekehrten Vorzeichen seine Entsprechung. Durch die Brille von Washington, Brüssel und Tokio betrachtet findet auf der Welt derzeit eine Machtprobe zwischen Demokratien und Autokratien statt. Letztere werden von China angeführt, dahinter folgen Russland, der Iran, Syrien, die Türkei et cetera.
Vor diesem Hintergrund häufen sich die Weckrufe aus Brüssel: Die Europäische Union arbeitet derzeit an einer Neuausrichtung ihres Verhältnisses zur Volksrepublik. „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden zunehmend von Verzerrungen beeinflusst, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Wir sehen seit einiger Zeit eine sehr bewusste Verschärfung der allgemeinen strategischen Haltung Chinas.“ Bei einem Besuch in Peking in dieser Woche untermauerte von der Leyen ihre Haltung, flankiert von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Die Bundesregierung spricht in diesem Zusammenhang gern von „wertegeleiteter Außenpolitik“. Insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock, die demnächst nach China reist, macht sich für die ungeschminkte Einforderung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit stark. Der Westen müsse notfalls auch wirtschaftlichen Druck ausüben, um Autokratien zu öffnen, so Baerbock.
Im globalen Kampf der Narrative hat es der Westen schwer, mit seiner Erzählung durchzudringen. In Indien, Saudi-Arabien oder Afrika lösen Ratschläge für mehr Demokratie schnell Ressentiments aus der Zeit des Kolonialismus aus. Der Westen falle in das Schema der Bevormundung zurück, heißt es dann. In Lateinamerika wiederum herrscht ein latenter Antiamerikanismus – die US-Interventionen in Kuba, Nicaragua oder Grenada haben Spuren hinterlassen.
In vielen Ländern wird zwar die Kritik am russischen Einmarsch in der Ukraine geteilt. Gleichzeitig ist den politischen Führern das Hemd oft näher als der Rock. So wird der Westen aufgrund der Russland-Sanktionen für die hohen Energiepreise, die Inflation oder die mangelnde Versorgung mit Getreide verantwortlich gemacht. Kurz: Die chinesische und russische Interpretation des Krieges fällt auf fruchtbaren Boden.
Russland mag für Länder wie Indien als Lieferant von Waffen und billiger Energie attraktiv sein. So ist Premierminister Narendra Modi in erster Linie an Wirtschaftswachstum interessiert, um seine 1,4 Milliarden Landsleute zu ernähren.
Der Globale Süden in Lateinamerika, Afrika und Asien sieht jedoch vor allem China als ökonomisches Entwicklungsmodell: Die Volksrepublik hat Hunderte Millionen Menschen aus bitterer Armut gehievt und eine wohlhabende Mittelklasse geschaffen. Dieser wertebefreite Pragmatismus zieht an. Die Demokratie-Forderungen des Westens – zumal, wenn sie mit wirtschaftlichem Druck einhergehen – gelten als paternalistische Einmischung.
Der Westen muss sich ehrlich machen. Die „wertegeleitete Außenpolitik“ ist hohl, wenn sie nicht mit einem Wohlstandsversprechen für Schwellen- und Entwicklungsländer angereichert wird. China macht es vor, wie es geht. Auch im Nahen Osten führte die Regierung in Peking kürzlich ein politisches Kunststück vor: Sie brachte die Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien dazu, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Den USA ist dies in all den Jahren nicht gelungen.