August der Starke sammelte Orangenbäume, die er in seinem Paradiesgarten zur Schau stellte – dem Dresdner Zwinger.
Etwas Exklusives muss es schon sein, wenn das höchste Götterpaar zum Traualtar schreitet: Deshalb schenkte Erdmutter Gaia Gottvater Zeus und seiner Gemahlin Hera den Baum mit den goldenen Äpfeln. Eine so kostbare Hochzeitsgabe verdiene einen besonderen Platz, war sich das junge Paar einig, pflanzte den Baum in den Göttergarten und ließ ihn von einer Schlange bewachen. Anders als im biblischen Paradiesgarten jedoch, wo der Verzehr der Früchte vom Baum der Erkenntnis Vertreibung und Tod zur Folge hatte, bedeutete der Besitz der goldenen Äpfel aus dem Göttergarten Unsterblichkeit, ewige Jugend, Fruchtbarkeit und nicht zuletzt Macht – heute nennen wir die goldenen Äpfel Orangen.
Sie versinnbildlichen also alles, wonach August der Starke ein Leben lang gierte. Und so setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um ein Wunderbäumchen zu bekommen. Nein, nicht nur eines, sondern so viele, wie nur irgend möglich. Die Fürstenfamilie Medici in Florenz züchtete bereits seit dem 14. Jahrhundert Zitrusbäume in ihren Gärten. Dorthin wollte August reisen, um die Götterfrucht nach Dresden zu holen. Doch vor den Kauf setzte er gegen das raue mitteleuropäische Klima in seiner sächsischen Heimat den Bau einer Orangerie, in der die empfindlichen Pflanzen Kälte und Frost unbeschadet überstehen könnten. Ausschließlich deshalb ließ er ab 1709 den Dresdner Zwinger bauen. Schon ein Jahr später erwarb er die ersten Bäumchen in Italien.
Der Herrscher reiste extra nach Florenz
Seine Sammelleidenschaft kannte bald keine Grenzen mehr, ein regelrechtes „Orangenfieber“ hatte den König befallen. Bis 1728 war der Pflanzenbestand auf 1.159 Orangen- und andere Zitrusbäumchen angewachsen, die sich dank der königlichen Hofgärtner prächtig entwickelten. Im Sommer schmückten sie dekorativ den Garten des Zwingers und den nahe gelegenen Herzogin-Garten; den Winter verbrachten sie anfangs in den Galerien des Zwingers, ab 1728 in der Orangerie des Herzogin-Gartens. Für den sächsischen König versinnbildlichten die öffentlich zur Schau gestellten Bäume das Gleiche, was heutzutage viele Facebook- oder Instagramposts tun: Mit ihnen wollte er anderen Fürstenhäusern einen dicken Daumen zeigen und protzen, wie außergewöhnlich groß und prächtig seine Sammlung ist. Vor allem aber wollte er signalisieren: Seht her, ich bin der Größte!
Für sein Volk indes hatten die Bäume im Zwingergarten, der für jedermann frei zugänglich war, eine ganz andere Bedeutung: Es flanierte gern zwischen den Pflanzen, genoss den Duft von Blüten und Früchten und träumte sich in ferne Länder, die es niemals sehen würde. Massenansturm und Vandalismus taten nicht gut – die Pflanzen litten extrem darunter, viele gingen ein. Als Gustav Friedrich Krause 1865 Direktor der Königlichen Gärten wurde, gab es nur noch 190 Pflanzen – im Zwinger sowie im Herzogin-Garten zusammengenommen. Verärgert notierte er: „Äste und Wurzeln werden abgebrochen, nach den Früchten wird mit Steinen geworfen, die Stämme erleiden durch Heraufklettern oder beim Spielen durch Hämmern und Kratzen die empfindlichsten Beschädigungen, die Kübel und noch nachtheiliger die Oberflächen der Wurzelballen werden verunreinigt, auf letzteren herumgewühlt und oft mit nicht hingehörenden Flüssigkeiten begossen.“
Geplant war ein zweites Versailles
1880 verschwanden auch die letzten Zitrusbäume aus dem Zwinger. Die wenigen, die den Vandalismus überlebt hatten, fanden eine neue Bleibe in den Schlossgärten von Pillnitz und Großsedlitz. Letzteren hatte August der Starke 1727 von seinem Minister August Christoph Graf von Wackerbarth übernommen. Er plante, in dem gut 20 Kilometer von Dresden entfernten Landsitz sein sächsisches Versailles zu errichten: mit einem prachtvollen riesigen Schloss und einem 96 Hektar großen Barockgarten nebst repräsentativer Zitruspflanzensammlung. Das Schloss blieb ein Wunschtraum, von dem Gartenreich wurden letztlich nur 18 Hektar Realität. Trotzdem ist der Großsedlitzer Barockgarten heute etwas Besonderes – denn er ist deutschlandweit der einzige, dessen Struktur im Original erhalten blieb.
Wenn auch aus dem sächsischen Versailles nichts wurde, so ließ August doch wenigstens zu dem bereits von Wackerbarth errichteten Orangeriegebäude ein zweites bauen – und er sammelte unermüdlich weiter die magischen Bäume mit den goldenen Äpfeln und zahlreiche andere Zitrussorten. Als er 1733 starb, hatte er rund 3.000 Pflanzen zusammengetragen. Eine einzige davon hat es bis heute überlebt: Sie steht im Schloss Pillnitz, wuchs in den vergangenen 300 Jahren auf eine Höhe von etwa 6,50 Meter an und trägt – dank guter Pflege – jährlich unzählige goldene Äpfel. Im Gegensatz zum Dresdner Zwinger schmückten die Zitrusbäume den Barockgarten von Großsedlitz noch bis zum Sommer 1928. Als im folgenden Winter die Heizung in der Orangerie ausfiel, erfror der gesamte exotische Pflanzenbestand, zu dem auch Oliven-, Granatapfel- und Feigenbäume gehörten.
Erst 70 Jahre später wurden die beiden Orangerien saniert, und die Orangenbäume kehrten nach Großsedlitz zurück. Schrittweise wurden rund 150 Pomeranzenpflanzen – zumeist werden sie als Bitterorangen bezeichnet – in 20 verschiedenen Sorten in der Toskana gekauft. Dank der guten Pflege durch die drei Orangeure, wie sich die Gärtnerspezialisten selbstbewusst nannten, haben sich die Bäumchen prächtig entwickelt. Den Sommer verbringen sie, gemeinsam mit zahlreichen Töpfen voller Schmucklilien, vor ihrem Winterquartier, der unteren Orangerie. Die obere indes, jene, die Wackerbarth einst bauen ließ, wurde über Jahrzehnte ausschließlich im Sommer für repräsentative Veranstaltungen genutzt.
Sämlinge wurden nach Rom verkauft
Zumindest bis Dr. Christian Striefler, Direktor der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens, 2011 laut darüber nachdachte, dem Dresdner Zwinger seine einstige Bestimmung zurückzugeben und dort im Sommer wieder Orangenbäume aufzustellen. Doch wohin im Winter mit den Pflanzen? Die Gebäude des Zwingers wurden längst anders genutzt, sodass sie nicht mehr als Winterquartier dienen konnten. Doch da war ja noch die obere Orangerie in Großsedlitz – sie blieb im Winter ohnehin ungenutzt. Was Augusts Gärtner vor 300 Jahren schafften, sollte doch auch ihren Nachfolgern gelingen, sagte man sich und entschied, das Experiment zu wagen. 2014 wurden gut 80 aus Sämlingen gezüchtete Pomeranzenbäume aus einer Spezialgärtnerei bei Rom gekauft und zwei Jahre lang von den Orangeuren in Großsedlitz aufgepäppelt. 2017 war es dann endlich soweit: Nach 137 Jahren kehrten die Orangen in den Dresdner Zwinger zurück.
Ihre ersten Sommer am historischen Platz haben sie bestens überstanden und auch die Winter in Großsedlitz. Nur mit Orangen schmücken sich die Bäume noch nicht, erst in einigen Jahren werden sie die Besucher des Zwingers mit vielen goldenen Äpfeln verwöhnen. Zurzeit sind sie ohnehin nicht im Zwinger zu sehen, da bis zum kommenden Jahr im Innenhof, in dem sie normalerweise in ihren blau-weißen Kübeln nach historischem Vorbild den Sommer verbringen, archäologische Grabungen und Sanierungsarbeiten stattfinden. Danach aber wird die Rückkehr der Bäumchen aus dem Großsedlitzer Winterquartier Mitte Mai wieder mit einem großen Fest begangen. Dennoch kann man sich von der Pracht der Orangen im Zwinger jederzeit selbst ein Bild machen. Dank moderner Technik wird man in beeindruckender Weise in die Zeit August des Starken gebeamt, erlebt mit Sachsens berühmtestem König Feste im Zwinger, bummelt durch seinen Paradiesgarten und selbstverständlich auch zwischen den Orangenbäumen. „Zwinger Xperience“ wirkt so realistisch, dass man fast vergisst, dass alles nur eine multimediale Show ist.
Orangenmarmelade als Spezialität
Wenngleich man während der Zeitreise angesichts der übervoll hängenden Orangenbäumchen fast glauben mag, sogar ihren Duft spüren zu können, so braucht’s dafür in der Realität noch ein Weilchen, ehe sie so viele Früchte tragen. Da sind die Großsedlitzer Pflanzen schon weiter, die ja schon ein paar Jahrzehnte länger von den Orangeuren gehegt und gepflegt werden. 40 bis 70 Kilo „Paradiesäpfel“ kommen alljährlich zusammen, die von dem ehemaligen Sternekoch René Manzke, zu einer köstlichen Marmelade verarbeitet werden. Lange experimentierte er mit den bitteren, wenig saftreichen Früchten, ehe er mit dem Ergebnis zufrieden war. Das Rezept bleibt natürlich sein Geheimnis, soviel aber verriet er: „Etwa 80 Prozent im Glas sind Pomeranzen, hinzu kommen Weißwein und Zucker. Das war’s im Wesentlichen schon.“ Am besten probiert man sie einfach mal aus: in Manzkes Weinhandlung im Dresdner Stadtteil Blasewitz. Auf Brot schmeckt die Marmelade ebenso gut wie zum Käse. Und mit ein bisschen Glück kann man sogar bei der Herstellung zuschauen.
Orangenmarmelade wäre wohl auch ganz nach dem Geschmack Augusts des Starken gewesen, der die Früchte aber lediglich zur Dekoration verwendete. Und einen wie René Manzke hätte er sehr wahrscheinlich zum Königlichen Hofmarmelatier ernannt.