Neun von zehn Frauen sind von Cellulite betroffen. Kein Wunder, dass die Beauty-Industrie darin ein gigantisches Marktpotenzial entdeckt hat. Dabei bleibt Sport die beste Waffe gegen die Orangenhaut.
Gleicher Tatort, unterschiedliche Delikte und ähnlich klingende Aufklärungsversprechen mit daraus resultierenden wundersamen Verbesserungen von Psyche und Physis. Die Rede ist von der Lederhaut (Dermis), dem mittleren Teil des größten Einzelorgans des menschlichen Körpers. Über ihr liegt die Oberhaut (Epidermis), darunter die Unterhaut (Subkutis), in der Fettdepots eingebunden sind. Der problematischste Bestandteil der Dermis ist das Bindegewebe. Diese Gewebeart wird durch Elastin mit seinen Kollagenfasern und der sich darin bildenden Hyaluronsäure geschmeidig gehalten.
Schon vor dem 30. Lebensjahr kommt es infolge der Hautalterung verbunden mit einer Verlangsamung der Zellteilung zu einem Abbau der Kollagenfasern sowie zu einer Reduzierung der Bildung von Hyaluronsäure und Elastin. Die Folgeerscheinung ist die Bildung von Falten, gegen die trotz zahlreicher Werbeaussagen der Beauty-Hersteller kein Kraut gewachsen ist. Schon gar nicht die als Wundermittel angepriesenen Anti-Aging-Cremes. Wenn überhaupt, dann können die gängigen Kosmetika nur kleinste Fältchen an der Hautoberfläche mildern. Gewisse Erfolge konnten bislang nur Vitamin C und Vitamin A in Gestalt von Retinol oder Retinaldehyd zugeschrieben werden. Bei der Anwendung dieser Wirkstoffe ist tatsächlich eine Neubildung von Kollagen nachweisbar. Auch Faltenunterspritzungen, beispielsweise mit Hyaluronsäure, konnten einen positiven Effekt erzielen. Das liegt daran, dass mit dieser Methode, im Unterschied zu Cremes oder Seren, auch tiefere Hautschichten erreicht werden können.
Das Bindegewebe der Dermis ist aber nicht nur an der Faltenbildung beteiligt, sondern auch an der Bildung von Cellulite. Diese wird auch Orangenhaut genannt, weil die meist im Oberschenkel- und Gesäßbereich auftretende Ausbildung von Dellen an der Hautoberfläche optisch an die Schale der Zitrusfrucht erinnert. Ungefähr die Hälfte der Menschheit ist von Cellulite betroffen. Dabei handelt es sich größtenteils um Frauen. Ganze 80 bis 90 Prozent werden im Laufe ihres Lebens davon tangiert, manche früher, manche später. Der Grund dafür ist hauptsächlich die genetische Veranlagung. Eine zusätzliche Rolle spielen die Hormone. Cellulite ist keine Krankheit, vielmehr gehört die Bindegewebsschwäche beinahe zwangsläufig zum Frausein dazu. Sie ist daher vielmehr eine Normalität weiblicher Körper als ein problematischer Makel. Dennoch kann sie für viele Frauen durchaus belastend werden, weil sie von dem allgemein propagierten Idealbild einer straffen und glatten Haut abweicht. Body Shaming nutzt zwar niemandem etwas, aber selbst die ermunternden Aufrufe der Body-Positivity-Bewegung sind für viele Frauen bei diesem Thema wenig hilfreich.
Auch wenn die Wissenschaft bis heute noch nicht gänzlich verstanden hat, warum es die physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau bezüglich des Bindegewebes gibt, so sind doch einige Fakten bekannt. Zunächst einmal muss das Bindegewebe allein schon wegen möglicher Schwangerschaften bei Frauen dehnbarer sein. Zudem unterscheidet sich der Aufbau des weiblichen Bindegewebes grundlegend von dem der Männer. Während bei Letzteren die Haut insgesamt dicker ist und die flächigen Bindegewebsschichten, auch Faszien genannt, gitterartig angeordnet sind, sind die bänderartigen Kollagenfasern im weiblichen Bindegewebe säulenartig und parallel zueinander verlaufend aufgebaut. Je lockerer das weibliche Bindegewebe mit zunehmendem Alter wird, desto leichter können sich die Fettdepots aus der Unterhaut nach oben hinaus ausdehnen, was die Ausbildung von Dellen an der Hautoberfläche zur Folge hat. Auch eine Verkürzung der Bindegewebsstränge, wodurch die Haut nach innen eingezogen wird, kann für diesen Effekt verantwortlich sein. Da alle Faszien miteinander vernetzt sind, bleibt die Cellulite nicht auf eine Stelle beschränkt, sondern greift schnell auf weitere Bereiche über. Einen direkten Zusammenhang zwischen Übergewicht und der Ausbildung von Orangenhaut, wie er früher schonmal behauptet worden war, gibt es nicht. Allerdings kann ein hoher Body-Mass-Index die optische Ausprägung der Dellen, von denen genauso auch schlanke Frauen betroffen sein können, verstärken.
80 bis 90 Prozent bekommen Cellulite
Da fast alle Frauen Orangenhaut haben, haben die Kosmetikhersteller darin natürlich längst ein riesiges Marktpotenzial für sich entdeckt. Es wird vor allem mit Cellulite-Cremes geworben und dabei eine schnelle und anhaltende Glättung der Haut versprochen. In Deutschland sollen mehr als eine Million Frauen mehrmals im Monat Anti-Cellulite-Produkte verwenden. Im Jahr 2018 haben allein 1,4 Millionen Bundesbürgerinnen entsprechende Präparate des Marktführers Nivea benutzt. Dabei halten die wenigsten Cremes, was sie versprechen. Schon vor einigen Jahren war die Stiftung Warentest zu dem Ergebnis gekommen, dass keine der geprüften Cremes wirklich gegen Cellulite helfen kann.
Daran dürfte sich nichts Grundlegendes geändert haben. Die Cremes können ja auch gar keine Wirkung erzielen, weil die Ursache der Cellulite, ähnlich wie bei der Falten, nun einmal in tieferen Hautschichten liegt – und dahin können die Wirkstoffe der Cremes nicht vordringen. Die einzige Ausnahme bilden Präparate mit den Wirkstoffen Koffein und Retinol (ein Vitamin A-Derivat). Diese beiden Stoffe können offenbar die Bildung von Kollagen steigern und dadurch das Bindegewebe stärken. Allerdings hat Retinol eine schälende Wirkung, weshalb bei der Dosierung Vorsicht geboten ist. Es schadet allerdings nicht, auch die anderen Anti-Cellulite-Cremes zu verwenden, sofern das Produkt intensiv einmassiert wird. Damit wird die Durchblutung der Haut angeregt, und die Dellen können dadurch kurzzeitig weniger sichtbar sein.
Auch mit anderen immer wieder genannten und gut gemeinten Tipps zur Reduzierung der Orangenhaut wie Reduzierung von Stress, gesunde Ernährung, eine hohe Flüssigkeitsaufnahme, Kaffeesatz-Peeling, Schüssler-Salze, Trockenbürsten, Cupping (schröpfende Unterdruck-Erzeugung auf der Haut) oder Massagen (auch mit Einsatz einer sogenannten Faszienrolle) wird das Problem kaum behoben. Sinnvoller und auch in gewissem Rahmen hilfreich ist dagegen ein Muskelaufbau durch sportliche Betätigung. Dabei wird vor allem zu dynamischen Dehnübungen geraten. Durch den Aufbau von Muskelzellen kann schließlich Fett verdrängt werden. Nach dem Sport können Wechselduschen überaus hilfreich sein, weil dadurch die Mikrozirkulation im Bindegewebe angekurbelt werden kann.
Muskelaufbautraining strafft das Gewebe
Natürlich gibt es inzwischen auch aufwendigere und teilweise recht hochpreisige Therapieformen. Bei der Kryotherapie zum Beispiel ist ein kurzer Aufenthalt in einer speziellen Kältekammer vorgesehen, wo dank Temperaturen von bis zu minus 120 Grad die Durchblutung angeregt wird und dadurch die Dellen zum Verschwinden gebracht werden sollen. Dafür gibt es allerdings keinerlei wissenschaftlichen Belege. Das gilt ebenso für die hochpreisige Stoßwellentherapie, bei der die betroffenen Hautstellen mit hochenergetischen Druckwellen behandelt werden. Ein Erfolg soll sich ohnehin nur in Kombination mit einem Muskelaufbautraining dauerhaft erzielen lassen. Auch der Nutzen der Kompressionstherapie mit schweißtreibender Folien-Einhüllung des Körpers wird von Medizinerinnen und Medizinern stark angezweifelt. Das gilt genauso für die von diversen Hollywood-Stars gepushte Lymphdrainage, bei der mithilfe von speziellen Massagetechniken die Flüssigkeit im Fettgewebe reduziert wird. Der neueste Clou soll die megateure Celfina-Behandlung sein. Bei dieser Behandlungsform werden minimalinvasiv Bindegewebsstränge, die für die jeweilige Dellenbildung verantwortlich gemacht werden, durchtrennt.