Die deutsche Automobilindustrie ist in der Krise: Auslieferungszahlen sinken, der technologische Wandel bringt neue Konkurrenten hervor. Jene Unsicherheiten belasten auch die Zulieferer. Ein Mittel dagegen: Weiterbildung.
Werden Autos älter, rappelt und klappert es gelegentlich an der einen oder anderen Stelle. Auch in der deutschen Automobilindustrie hört man unangenehme Geräusche: fallende Auslieferungszahlen, abgebaute Arbeitsplätze, Brandreden des VW-Chefs, Kurzarbeit und Meldungen über den Produktionsstopp in Dresden, insolvente und aufgekaufte Zulieferer. Letztere haben zwar die Pandemie einigermaßen überstanden. Insolvenzen gab es immer wieder, damals verdeckt durch das legale Verzögern einer Insolvenz, durch Staatsgeld und wiederum Kurzarbeit. Den massiven Veränderungen in der gesamten Automobilbranche ist jedoch eine tiefe Verunsicherung in der Zulieferindustrie gefolgt. Jene Neuausrichtung einzelner Automobilhersteller, die auf Elektromobilität setzen, auf Wasserstoff und Brennstoffzellen und gleichzeitig noch das letzte Quäntchen Zeit und Geld aus dem Verbrenner herauskitzeln, führt dort zu deutlichen Verwerfungen.
Wo vorher bereits Verträge innerhalb von wenigen Monaten seitens der Autokonzerne gekündigt werden konnten, stehen heute ganze Geschäftsmodelle und damit Betriebe auf dem Spiel. Dabei geht es den Herstellern nicht schlecht, im Gegenteil: Insgesamt erwirtschafteten die großen Drei, Volkswagen, Mercedes und BMW, laut dem Verband der Automobilindustrie 2022 einen Umsatz von 500 Milliarden Euro, mehr als vor der Pandemie. Sie beschäftigen noch immer 774.000 Menschen in Deutschland. Dort ist die Tendenz jedoch sinkend. Die deutsche Zulieferindustrie fällt in ihrer Bedeutung zurück: beim Umsatzwachstum, bei den Marktanteilen, in der Profitabilität, dies berichtet eine aktuelle Studie von Pricewaterhouse Coopers. ZF etwa verzeichnete einen Rekordumsatz von 43,8 Milliarden Euro im Jahr 2022, aber einen um 407 Millionen Euro deutlich gesunkenen Gewinn nach Steuern auf nur noch 378 Millionen Euro. Denn wegen des harten Preiskampfes kann die Branche gestiegene Preise kaum an die Automobilhersteller weitergeben.
Hiobsbotschaften aus der Branche
Auf dem Vormarsch sind dagegen asiatische Konkurrenten, die, wie jüngste Beispiele zeigen, nur zu gerne strauchelnde deutsche Zulieferer und ihr Know-how aufkaufen: Ein Jahr nach dem Verkauf an einen chinesischen Investor rutschte der Karosseriespezialist Allgaier aus Göppingen in die Insolvenz. Ausgang unklar. Das fränkische Familienunternehmen Dr. Schneider steht vor einem Verkauf an den indischen Hersteller Samvardhana Motherson. Die Größe von Unternehmen wie ZF, Schaeffler oder Continental verspricht derzeit noch Stabilität, obwohl auch in den größeren Zulieferkonglomeraten Arbeitsplätze abgebaut werden. Auch Größe schützt nicht immer vor den Widrigkeiten des Marktes: So schrammte der hoch verschuldete Kabelhersteller Leoni durch seinen geplatzten Investoren-Deal und herbe Verluste nur knapp an einer Pleite vorbei. Je kleiner, je spezialisierter Betriebe im Zulieferbetrieb sind, desto höher ist ihr Risiko, die kommenden Jahre des Wandels nicht zu überleben. Neue Geschäftsmodelle für Subunternehmen sind dann aufgrund der Tendenz der Hersteller, viele Arbeiten sogar im eigenen Werk an Subunternehmen auszulagern und dem daraus folgenden hohen Spezialisierungsgrad des Subunternehmers, schlicht nicht möglich.
Die Folge sind Insolvenzen, Betriebsaufgaben, Arbeitsplatzverlust. Die Zulieferer in Deutschland beschäftigen laut Statistischem Bundesamt noch rund 273.000 Menschen, das sind sechs Prozent weniger als im Vorjahr.
Ein entscheidender Weg für die Beschäftigten der Branche: adäquate Weiterbildung. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat das WifOR-Institut 375.000 Stellenanzeigen der Jahre 2014 bis 2021 aus der Automobilbranche untersucht. Die technologische Transformation in der Automobilindustrie, weg vom Verbrenner, führt zu Arbeitsplatzverlusten in Berufen, die eng mit dieser Technologie verwoben sind. Auf der anderen Seite entstehen durch den Einsatz neuer Technologien auch neue Berufsbilder und Arbeitsplätze. Nun gelte es, den Übergang für jene zu gestalten, die von diesem Wandel betroffen sind, um in „zukunftsträchtige Berufe zu wechseln“, so Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann-Stiftung, „und ihnen eine Perspektive zu geben.“ Die Forscher untersuchten, welche beruflichen Kompetenzen Unternehmen zukünftig suchen, und verglichen sie mit Kompetenzen von Menschen in den traditionellen Berufen. „So können wir sagen, worauf die Menschen in den gefährdeten Berufen aufbauen können, um in zukunftsträchtige Berufe zu wechseln, und welche Kompetenzen sie zusätzlich brauchen.“ Je enger die Verwandtschaft zwischen den Berufen, desto einfacher der Übergang.
Klar ist: Je geringer qualifiziert, desto schwieriger der Übergang. Daher sei ein Berufsabschluss für Menschen in Helferberufen erforderlich. Gefährdete Berufe finden sich in allen Qualifikationsbereichen, vom Einkauf und Vertrieb über Techniker, Meister bis in die Forschung und Entwicklung. Für all jene Berufsbilder fänden sich jedoch entsprechende neue, in denen mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand neue Kompetenzen erworben werden können, so die Studie. „Es gibt aber einen Unterschied zwischen Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherheit. Gefährlich wäre, den Menschen zu versprechen, dass sie den gleichen Arbeitsplatz behalten. Mit der entsprechenden Weiterbildung kann man ihnen jedoch eine Weiterbeschäftigung, wenn auch bei einem anderen Arbeitgeber, ermöglichen“, so Thode.
Beschäftigung sichern
Im Saarland, das wie viele andere Regionen mit starker automobiler Zulieferindustrie vom Wandel in der Branche besonders betroffen ist, kümmern sich das Transformationsnetzwerk TraSaar und darin insbesondere GeTS, die Gesellschaft für Transformationsmanagement Saar, um jene Weiterbildung. Nach Aussage von Thomas Otto, Geschäftsführer der am Netzwerk beteiligten Arbeitskammer, ist die Weiterbildungsaktivität im Land derzeit insgesamt nicht besonders hoch. Das könnte sich angesichts des bevorstehenden Abgangs von Ford ändern. Denn dann stehen neben den Ford-Mitarbeitern, die nicht dem Ruf des Konzerns in Richtung Kölner Werk folgen, abgeworben werden oder freiwillig gehen, weitere Arbeitsplätze aus den umliegenden Zulieferbetrieben auf dem Spiel. „Darauf sind wir vorbereitet und wir stehen mit den Betrieben in Kontakt“, sagt Harry Laufer, Geschäftsführer der GeTS. Solange jedoch noch nicht klar ist, ob und wer das Ford-Werk übernimmt, herrscht allenthalben noch Planungsunsicherheit.
Der Weg aus der Misere der gesamten Branche: laut PwC-Studie „Innovationskraft und Skaleneffekte“. Deutschlands Siegeszug in der Welt der Automobilindustrie beruhte auf dem Verbrenner. Chinas neue Stärke in diesem Bereich beruht auf dem Elektroauto und dessen Subvention. Schafft es die deutsche Industrie, ob Zulieferer oder Hersteller, erneut innovative Produkte und Technologien an den Start zu bringen und diese in der künftigen automobilen Welt zum neuen Standard werden zu lassen, kann die Transformation gelingen.