Während die Welt ein Hochseeschutzabkommen feiert, plant Norwegen den Start des Tiefseebergbaus vor seiner Küste. Dessen Nutzen und vor allem die Auswirkungen auf das Ökosystem sind umstritten.
Das Internationale Hochseeschutzabkommen ist ein Meilenstein der Rechtsgeschichte: Fast 20 Jahre wurde verhandelt, um 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere als Schutzgebiete auszuweisen. Das ist jetzt geschafft. Fast zeitgleich kündigte Norwegen als erstes Land weltweit an, national über Lizenzen für den Tiefseebergbau zu verhandeln.
Denn dieser Wirtschaftszweig ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Im Juni ging nach zweiwöchigen Verhandlungen der Rat der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) auseinander, ohne konkrete Maßnahmen in Sachen Tiefseebergbau beschlossen zu haben. Auch dafür, wie über Tiefseebergbau-Anträge zu entscheiden ist, die nun erstmals bei der ISA gestellt werden können, wurde keine konkrete Lösung beschlossen. Vielmehr wurde vereinbart, sich erst darüber zu verständigen, wenn ein Antrag eingehen und noch kein Regelwerk – ein sogenannter Mining Code – stehen sollte.
Als Sponsor eines Tochterunternehmens des kanadischen Konzerns The Metals Company (TMC) hatte der Pazifikstaat Nauru vor zwei Jahren angekündigt, einen Abbauantrag zu stellen und damit nach einer Klausel des UN-Seerechtsübereinkommens (Unclos) die Frist ausgelöst. Nach dem Verstreichen der Frist müssen Anträge von der ISA bearbeitet werden, auch wenn es keinen Mining Code gibt. Der Antrag ist noch nicht gestellt.
Jetzt setze sich der Rat durch das Verstreichen der Frist selbst unter Druck, bis 2025 ein entsprechendes Regelwerk ausgearbeitet zu haben, sagt die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Aber „der Tiefseebergbau ist zumindest vorläufig ausgebremst“, meint Tim Packeiser, Experte für Tiefseebergbau bei der Umweltstiftung WWF Deutschland. Bei der Sitzung hätten die ISA-Mitgliedstaaten deutlich gemacht, keine Tiefseebergbau-Vorhaben genehmigen zu wollen, solange es kein robustes Regelwerk gebe. Die Umweltstiftung teilte mit, Nauru und andere Staaten hätten durchblicken lassen, dass sie auf das Einreichen von Anträgen – und damit das Unter-Druck-Setzen des ISA – verzichten würden, wenn es ein klares Zieldatum für die Fertigstellung eines Regelwerks gäbe.
Noch kein Bergbau-Regelwerk verhandelt
Konkret geht es um den Abbau von Manganknollen auf dem Meeresboden in 4.000 bis 6.000 Metern Tiefe. Sie entstehen über Millionen Jahre aus Ablagerungen und enthalten Rohstoffe wie Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel, die in der Herstellung von Batterien etwa für Elektroautos verwendet werden könnten. Auf den Knollen wachsen Schwämme und Korallen, die Lebensraum für zahlreiche weitere Tiere bieten. Für das kanadische Unternehmen TMC sind Manganknollen „Batterien in einem Stein“ und der „sauberste Weg zu Elektrofahrzeugen“.
Das aber ist umstritten. Untersuchungen des europäischen Forschungsprojekts MiningImpact über die Bergbau-Tests von TMC und des belgischen Unternehmens GSR am Meeresboden stellen das infrage. Deren panzerähnliche Kollektoren saugen demnach nicht nur die Knollen auf, sondern auch alle Organismen, die auf ihnen sowie in und auf dem Sediment leben. Zudem richte die entstehende Sedimentwolke großflächige Schäden an. Weitere Studien warnen vor Gefahren für Wale durch Lärm und für Menschen durch die Radioaktivität der Knollen.
Nach Berichten des WWF und des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace ist der Tiefseebergbau für die Energie- und Verkehrswende nicht unbedingt nötig. Und laut einem Bericht im Fachmagazin „Current Biology“ vom Mai sind außerdem rund 90 Prozent der geschätzt 6.000 bis 8.000 Tierarten in der Clarion-Clippert-Zone, einem Forschungsgebiet zwischen Hawaii und Mexiko, das zu den mineralienreichsten der Welt gehört, noch unerforscht. In dieser Situation einen sinnvollen Rahmen für ein Regelwerk zum Tiefseebergbau zu schaffen sei schwierig, darauf haben Wissenschaftler immer wieder in den vergangenen Jahren hingewiesen.
Kein Land hat bisher offiziell einen Antrag gestellt. Nachgedacht wird über den Tiefseebergbau in vielen Ländern. Gegen ein Vorpreschen spricht vor allem, dass staatliche Sponsoren von Bergbauunternehmen auch ohne Mining Code nach internationalem Recht für etwaige Schäden haftbar gemacht werden könnten. Nach dem Unclos, das 1994 in Kraft trat und aus dem der ISA entstand, gehört der Tiefseeboden zum Gemeinsamen Erbe der Menschheit, und die Nutzung der dortigen Ressourcen muss zum Wohle der Menschheit geschehen.
Deutschland plädiert für eine vorsorgliche Pause beim Tiefseebergbau, bis die Umweltfolgen besser erforscht sind. Gut 20 Länder haben sich inzwischen für eine Pause, ein Moratorium oder ein Verbot ausgesprochen. China hat jedoch Interesse am Tiefseebergbau signalisiert. Und nun auch Norwegen, das auf Staatsebene konkrete Schritte in der Gesetzgebung plant. Dennoch gilt die Tiefsee als eine der letzten großen Sphären, in denen reichlich unerschlossene Ressourcen schlummern. Wegen der technischen und finanziell aufwendigen Erschließbarkeit interessieren sich mittlerweile auch Banken dafür. „Sustainable Blue Finance“ ist das Stichwort, unter dem diese nach Investoren suchen.
Viele Ressourcen in unerforschten Tiefen
Der Begriff bezieht sich laut den Vereinten Nationen auf eine nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Küstenressourcen, um wirtschaftlichen Nutzen zu generieren, ohne dabei die Umwelt zu schädigen. Sie legt einen Schwerpunkt auf die nachhaltige Nutzung von Fischbeständen, um Überfischung zu verhindern. Aquakultur, die Zucht von Fischen und anderen Meeresfrüchten, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, um den steigenden Bedarf an Fischprodukten zu decken. Küstengebiete und Meereslandschaften sind auch oft beliebte Reiseziele. Die Blue Economy soll den nachhaltigen Tourismus fördern, der ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt, um negative Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren. Die Nutzung von Meeresressourcen für erneuerbare Energien wie Wellenenergie, Gezeitenenergie und Offshore-Windenergie, ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Blue Economy. Es geht um den nachhaltigen Transport und die Entwicklung umweltfreundlicher Schiffe, um den internationalen Handel zu unterstützen, Meeresforschung und Innovation, Biodiversität im Meer und vieles mehr.
Dafür wird Geld benötigt. „Da nun ein Rahmenwerk für den Schutz der Meere vorhanden ist, gibt es für Investoren gute Gründe, die Chancen in der ‚blauen Wirtschaft‘ zu prüfen“, sagt Jessica Alsford, Chief Sustainability Officer des US-Finanzinvestors Morgan Stanley und CEO des Institute for Sustainable Investing. „In den kommenden Jahrzehnten werden über drei Billionen US-Dollar an Finanzmitteln benötigt, um unsere Ozeane zu schützen, damit sie weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels, der Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt und der Unterstützung eines integrativen Wirtschaftswachstums spielen können.“ Die Deutsche Bank fördert seit Juli ein Projekt zur Analyse der wirtschaftlichen Erfolge von sogenannten naturbasierten Lösungen zur Reduktion von CO2-Emissionen in der Ökologie der Meere. Naturbasierte Lösungen sind zum Beispiel das Wiederaufforsten von Wäldern oder das Wiederanpflanzen von Seegraswiesen – beides bindet auf natürliche Weise CO2. Das wissenschaftliche Projekt, das die Deutsche Bank unterstützt, soll zeigen, ob sich dies wirtschaftlich auszahlt. Markus Müller, Private Bank ESG Chief Investment Officer der Deutschen Bank, sagte dazu: „Nature-based Solutions ist das entscheidende neue Lexikon der Ökonomen, aber was dringend benötigt wird, sind Daten zur Untermauerung der Wirtschaftstheorie. Wenn diese neue Studie die wirtschaftlichen Vorteile von Meeres-NbS erfolgreich quantifiziert, könnte sie mehr Kapitalflüsse für Meereslösungen und auf dem Weg zum Ziel eines Netto-Null-Übergangs ermöglichen.“
Tiefseebergbau passt in diese Theorie nicht hinein. Entsprechend vertreten die Vereinten Nationen in einem Briefing die Meinung, dass es in der „jetzigen Form keine Konsistenz zwischen der Finanzierung von Tiefseebergbau-Aktivitäten und den Prinzipien einer nachhaltigen maritimen Wirtschaft“ geben könne.
Die Diskussion dauert an. In einem Statement zur Klimapolitik des Unternehmens im Jahr 2023 beschreibt Morgan Stanley, welche Mechanismen im Unternehmen für Projekte greifen, die eine Finanzierung von Tiefsee-Öl- und Gasbohrungen erfordern. Von Tiefseebergbau keine Rede. Vielleicht noch nicht.