Der Jubel war groß: Die Transformation der saarländischen Stahlindustrie ist gesichert, Bund und EU sichern den milliardenschweren Umbau. Notwendig sind nun geschützte Marktmechanismen und hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Dass Robert Habeck vor 3.000 saarländischen Stahlarbeitern enthusiastische „Robert, Robert“-Rufe zu hören bekommt, hatte er zu Zeiten der Debatte über Heizungen und Wärmepumpen sicherlich nicht erwartet. Endlich mal eine gute Nachricht in seinem bisher schwierigsten Jahr als Bundeswirtschaftsminister: Die Bundesregierung ist mit ihrem Papierkram für die Subventionen durch, und auch die Europäische Kommission gab Ende des vergangenen Jahres grünes Licht für die Milliardenunterstützung der saarländischen Stahlindustrie. Etwa vier Milliarden Euro kostet die Umstellung der beiden großen saarländischen Stahlbetriebe Saarstahl und Dillinger auf grünen Stahl, 2,6 Milliarden Euro stammen von staatlicher Seite, zwei Drittel davon vom Bund, etwa ein Drittel und damit 780 Millionen Euro vom Land, genauer aus dem Transformationsfonds.
Stefan Rauber, Vorstandsvorsitzender der Stahlholding Saar, zeigte sich ebenfalls zufrieden. „Wir planen eines der größten Dekarbonisierungsprojekte Deutschlands – zwei Standorte mit unterschiedlichen Produktlinien, wir wollen künftig 3,5 Millionen Tonnen Grünstahl herstellen.“ Künftig, das heißt ab 2027, die Umbauarbeiten laufen schon auf Hochtouren. Damit würde der Konzern 4,9 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen.
Nun sieht sich die traditionell fossile Stahlindustrie schon heute als Teil einer grünen industriellen Revolution – nicht nur in ihrem eigenen Umbau, sondern auch bei ihren Produkten. Stahl für Bahnschienen beispielsweise wird heute schon in kürzlich zugekauften Saarstahl-Werken in Lothringen aus Schrott hergestellt. Stahl für Windräder gehört zu den Verkaufsschlagern des Konzerns. Strom für Dillinger und Saarstahl soll künftig verstärkt aus Windparks stammen, erste Verträge sind schon unterschrieben.
Grünstahl, im Gegensatz zu Schwarzstahl, soll künftig mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden. Notwendig dafür ist Wasserstoff als Ersatz für Koks und das derzeit verwendete Koksgas in den Hochöfen; gleichzeitig wird mehr Strom benötigt, um die saarländische Stahlindustrie mit recycelbarem Schrott zu versorgen, der in Elektrolichtbogenöfen eingeschmolzen wird. Dieser Strom soll ebenfalls künftig „grün“ hergestellt werden. Elektroöfen sollen an den beiden Konzernstandorten in Völklingen und Dillingen entstehen, in Dillingen zusätzlich eine Direktreduktionsanlage, die mit Wasserstoff betrieben werden soll. Diese produziert dann kein flüssiges Roheisen mehr, sondern Eisenschwamm, der im Elektroofen zu Rohstahl veredelt wird.
Um den Konzern auf Kurs Grün zu setzen, bedürfe es jedoch Fördermittel. Die vier Milliarden Euro, die dafür nötig sind, kann der Konzern nicht aus eigenen Mitteln bereitstellen, ohne seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. „Dafür haben wir mit dem Land, dem Bundeswirtschaftsministerium und der EU-Kommission gesprochen“, sagt Rauber, „mit guten Ergebnissen.“
Die Verhandlungen waren schwierig, die Bürokratie oft langsam und die Regeln auf EU-Ebene kompliziert, Nachbesserungen und das Berücksichtigen juristischer Feinheiten an der Tagesordnung. Umso größer dann die Erleichterung, als der Bundeswirtschaftsminister persönlich anreiste, um zu verkünden: „Mission accomplished“, Mission erledigt. „Wir können nun sagen, dass der Stahl im Saarland grün produziert wird“, sagte Robert Habeck auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit SHS-Vorstandschef Rauber und der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. „Stahl ist einer der Hauptemittenten von CO2 in der deutschen Industrie, zwei große Projekte dieser Art haben wir bereits bei der EU durchbekommen“, so Habeck weiter. Gemeint sind die beiden anderen noch verbleibenden deutschen Stahlriesen, Salzgitter und Thyssen Krupp. Beide erhalten Milliarden aus Bundes- und Landestöpfen für ihre eigene grüne Transformation, für grünen Wasserstoff, Elektroöfen, Windräder, eigene Elektrolyseure. Alleine Salzgitter ist derzeit für etwa ein Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich.
Ende einer Ära und Beginn einer neuen
Um den grünen Stahl aber gegenüber dem herkömmlichen, im Ausland hergestellten fossilen Stahl wettbewerbsfähig zu halten, sind nun Zölle unumgänglich. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM, Deutsch: CO2-Grenzausgleichs-Mechanismus) der Europäischen Union ermöglicht einen Emissions-Zollaufschlag für alle Importe in die EU. Die Nachfrage nach grünem Stahl besteht bereits, vor allem im Automobilsektor und im Sektor der erneuerbaren Energien, flankiert von klimaneutralen Investitions- und Finanzierungsmechanismen und Algorithmen, die den CO2-Fußabdruck von Produkten nachweislich reduzieren helfen sollen. Einen solchen Algorithmus hat beispielsweise Klöckner, einer der weltgrößten Stahl- und Metallhändler, erstellt.
Die Transformation an der Saar sei eine der größten in Deutschland und stelle einen ganzen Konzern technologisch um, hob der Bundeswirtschaftsminister bei seinem Besuch im Land hervor. „All jenen, die sagen, dies alles sei zu teuer, das Geld wäre nicht gut investiert, muss man sagen: Damit schwächen wir den Standort Deutschland, man unterbricht die Lieferketten. Wenn hier im Saarland der Stahlstandort wegfallen würde, erleben wir auch den Weggang der Automobil-Zulieferindustrie.“ Daher sei es richtig, diese Industrie in die klimaneutrale Zukunft zu führen – in einer Zeit, in der große industrielle Projekte wie die geplante Chipherstellung im Land unter dem Eindruck wachsender geopolitischer Risiken wichtiger werden.
Habeck wie auch Rehlinger verstehen die Stahlindustrie weiterhin als Teil des saarländischen Industrie-Rückgrates. Dies sei ein „klares Signal für die Beschäftigten“, so Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Letztlich glaube das Unternehmen, glaube die Belegschaft, die selbst lange für die Veränderung gekämpft hat, und die Gewerkschaften an die CO2-freie Zukunft des Stahls an der Saar. „Die Stahlindustrie ist nicht der einzige Bereich, den wir umbauen müssen.“ Mit dem Weggang von Ford, dem Wegfall von Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie steht die Landesregierung inmitten der Veränderungsprozesse in der saarländischen Industrie. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Automatisierung erfasst immer mehr Bereiche und Unternehmen. Deshalb war auch Anke Rehlinger erleichtert. Denn auch wenn Dillinger Saarstahl Arbeitsplätze in der Vergangenheit abgebaut hatte, erfordern neue technologische Prozesse, hochqualifizierte Fachkräfte in technologisch fortschrittlichen Fachbereichen. Dort liegen die Arbeitsplätze der Zukunft, ungeachtet des wirtschaftlichen Sektors. Im Falle der Stahlindustrie sind sie mit dem finalen Stempel der EU gesichert.