Nirgends wurde der Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien vor 30 Jahren so brutal geführt wie zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken in Bosnien-Herzegowina. Grausamer Höhepunkt war der Völkermord von Srebrenica, wo die bosnisch-serbische Armee 8.000 Bosniaken ermordete. In seinem Buch erzählt der bosnische Muslim Hasan Hasanovic´ chronologisch, beginnend mit seiner glücklichen Kindheit. Doch allmählich schleicht sich das Gift des Nationalismus ein. Aus Sorge wird Angst, aus Nationalismus Krieg. Die Familie muss fliehen und findet mit Tausenden anderen Bosniaken Unterschlupf in der ostbosnischen Stadt Srebrenica. 1993 wird Srebrenica zur demilitarisierten Zone erklärt, die Menschen schöpfen wieder Hoffnung. Erst zieht ein kanadisches Kontingent der Vereinten Nationen ein, dann ein niederländisches. Die serbischen Belagerer beschießen Srebrenica dennoch weiter und greifen die Kontrollpunkte des niederländischen Bataillons an. Diese Ignoranz gegenüber den Vereinbarungen zeigt erschütternde Parallelen zum derzeitigen Geschehen in der Ukraine. Bevor die Stadt eingenommen wird, versuchen Tausende Menschen in einem tagelangen Todesmarsch die sichere Stadt Tuzla zu erreichen. Hasan Hasanovic´ gelingt dies mit viel Glück. Später trifft er in einem Geflüchtetenlager seine Mutter, die Großmutter und den jüngeren Bruder wieder. Hasans Vater, Zwillingsbruder und Onkel haben das Massaker nicht überlebt. Im Buch „Srebrenica überleben“ bleiben jene Gräueltaten, die von kroatischen und bosniakisch-muslimischen Milizen verübt wurden, ausgespart, weil vom Autor nicht erlebt. Die monströsen Verbrechen der bosnischen Serben an den unbewaffneten Zivilisten in Srebrenica stellen jedoch alle Kriegshandlungen in den Schatten. Der Autor lässt in seinem schmalen Band keinen Hass aufkommen, berichtet ohne blinde Emotion. Er gibt ein wichtiges Zeugnis in einer Zeit, in der sich Völkermord und Grausamkeiten in Europa vor den Augen der Weltöffentlichkeit ähnlich wieder abspielen.
KULT[UR]
Foto: Wallstein Verlag
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