Nach etlichen Diätversuchen träumt Judith Schneider von einem Marathonsieg. Nach nur zwei Jahren wiegt sie bereits 33 Kilo weniger. Einer bestimmten Methode folgt sie dabei nicht. Vielmehr würde es Judith darum gehen, mit sich selbst zufrieden zu sein.
Judith, was war Dein Auslöser für die Entscheidung, ein schlankeres Leben anzustreben?
Tatsächlich war es so, dass ich zu diesem Zeitpunkt damit „abgeschlossen“ hatte, abzunehmen. Keine Ahnung, wie viele Versuche ich schon hinter mir hatte, aber ich hatte einfach keinen Bock mehr und hatte innerlich beschlossen, zu lernen, mit mir zu leben, so wie ich bin. Und dann passierte was Witziges: Ich hatte am 1. April 2012 einen Traum. Morgens im Halbschlaf sah ich mich selbst, wie ich die Ziellinie eines Marathons überquerte – natürlich gertenschlank, voller Elan und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. An dem Tag stand ich auf und sagte mir: „Ich laufe einen Marathon.“ Es ging nicht darum, abzunehmen, sondern herauszufinden, ob mein Körper und ich einen Marathon schaffen würden. Am selben Tag habe ich mich für einen Viertelmarathon angemeldet, der sechs Monate später stattfinden würde und ich machte meinen ersten Trainingslauf. Ohne Plan, ohne richtige Klamotten, ohne nur den Hauch einer Ahnung, was ich da mache. Oh, und ich startete auch meinen Blog. Alles an einem Tag. Wenn schon, denn schon.
Wie hast Du es geschafft abzunehmen? Mit welcher Methode?
Es gab eigentlich nicht wirklich eine Methode. Ich habe einfach angefangen zu laufen. Erst ohne „Equipment“, dann las ich immer mehr darüber. Auch über Ernährung. Zu der Zeit ernährte ich mich vegan und darüber gab es viel zu lernen. Vor allem, wenn man so wie ich das Essen einfach liebt und die Devise lautet: Ganz egal, wie es heißt, aber schmecken muss es! Eigentlich habe ich mir das meiste Wissen über Bücher und später auch Blogs besorgt und dann daraus aber mein eigenes Ding gebastelt. Weil mir immer schon jede Schublade zu klein war. Ein Rezept ist nicht mehr als eine grobe Idee für mich. Doch gerade beim Laufen hatte ich den Ehrgeiz, „professionell“ zu sein oder zu werden. Ich habe mich wirklich ernst genommen mit meinem Wunsch, Langstrecke zu laufen. Also habe ich mich zum Beispiel in einem Diagnostikzentrum gemeldet und meinen Status checken lassen. Ich habe meine individuellen Pulsbereiche ermitteln lassen, statt nur mit der Standardformel aus Büchern zu rechnen. Ich habe mir immer wieder gesagt, dass ich jetzt eine Läuferin bin. Und das war ich auch.
Allerdings keine ganz so erfolgreiche, wie ich gehofft hatte, denn ich bin von Haus aus nicht der sportliche Typ. Und ich glaube, das war eines meiner größten Learnings: Ich mache es trotzdem. Auch wenn ich nicht die geborene Läuferin bin, auch wenn es mir schwerer fällt als den meisten – ich mache es trotzdem. Laufen war für mich nie leicht, die ersten drei bis vier Kilometer waren zum Abgewöhnen, aber irgendwann setzte so ab Kilometer fünf eine gewisse Leichtigkeit im Kopf ein. Zumindest im Kopf. Die Beine blieben immer schwer. Kaugummi unter den Füßen – so habe ich es in einem Blog mal beschrieben.
Wie viel Gewicht hast Du verloren über welchen Zeitraum?
Gar nicht so leicht zu sagen, aber ungefähr 33 Kilo über rund zwei Jahre kommen gut hin. Darin enthalten war auch eine Phase, in der ich nicht laufen durfte, weil ich es direkt am Anfang übertrieben hatte. Hüftsehnenentzündung nach drei Monaten „Laufkarriere“ und daraufhin erst mal neun Monate Laufverbot. Das war ein krasser Schlag, der meine Bockigkeit hervorrief. In dieser Zeit, in der ich nicht laufen durfte, las ich viel über Ernährung und lernte vegan zu kochen. Denn mein pragmatischer Gedanke war: „Wenn ich schon nicht laufen kann, dann kann ich wenigstens essen.“ Und in dieser Zeit verlor ich die meisten Kilos. Gemüse- und Obstration hochgedreht, viele, viele Smoothies gemixt. Beilagen reduziert, aber trotzdem alles gegessen. Mir war immer wichtig, dass ich satt war und ich kann eines absolut nicht: Mit Hunger ins Bett gehen. Also habe ich mir meist vor dem Schlafengehen noch ein Stück Tofu oder eine Essiggurke eingeworfen.
Oft ist alles im Leben gewissen Schwankungen unterworfen, auch das Abnehmen. Wie ist der aktuelle Status?
Schwankung ist das halbe Leben. Nachdem ich rund drei Jahre recht problemlos mein neues Gewicht hielt, grätschte das Leben dann dazwischen. Meine Ehe fand ihr Ende, ich zog aus meinem Zuhause aus, durfte alles im Leben komplett neu sortieren. Inklusive neuer Partnerschaft und einer Schwangerschaft mit 38 Jahren, womit ich eigentlich nicht mehr gerechnet hatte. Um ehrlich zu sein: Keiner hatte damit gerechnet. Eine richtig coole Sache, die mich und meinen Körper ordentlich forderte. Insgesamt nahm ich rund 27 Kilo wieder zu. Ich brauchte ewig, mich in meinem neuen „Mama-Körper“ zurechtzufinden. Ich habe immer gesagt, dass ich mindestens drei Jahre gebraucht habe, bis ich verstanden habe, dass ich jetzt Mama bin. Bei mir war das nicht so wie in den rosaroten Happy-Family-Storys. Meine Tochter ist jetzt fünf Jahre alt und langsam komme ich wieder dahin, meinen Körper zu spüren. Ich habe angefangen, mich mit Yin Yoga ganz langsam zu spüren. Meine alte Laufverletzung nach dem letzten Halbmarathon von 2015 – also vor rund neun Jahren – ist immer noch spürbar und ich arbeite daran, sie behutsam zu lösen.
„Was mir geholfen hat, etwas anzugehen und das auch durchzuziehen, war nie Disziplin, sondern Kreativität“
Wie ist der aktuelle Status: Ich fühle mich in mir angekommener als noch in der aktiven Lauf-Phase. Und das, obwohl ich immer noch rund zehn bis zwölf Kilo mehr draufhabe als damals. Ich habe mir schlanker besser gefallen, das muss ich schon zugeben. Und damals dachte ich, das Krasseste, was ich mit meinem Körper anstellen kann, wäre einen Marathon zu laufen. Heute sehe ich das anders. Ich finde, dass Krasseste, was du mit deinem Körper anstellen kannst, ist ein Kind auf die Welt zu bringen. Das war schon beeindruckend, so im Nachhinein.
Und jetzt, wo ich weniger Zeit, weniger Energie, dafür mehr Oberschenkel, Bauch und Falten habe, habe ich das Bedürfnis, einfach mal gnädig mit mir und meinem Körper zu sein. Ich glaube, es kommt die Zeit, wo wir wieder miteinander laufen werden. Ganz langsam wie damals. Vielleicht sogar noch langsamer. Und ich glaube, ohne Wettkampfgedanken. Einfach nur mein Körper und ich. Weil es schön ist, so miteinander unterwegs zu sein.
Gibt es Tipps und Tricks, nicht in alte Essensmuster zurückzufallen? Oder tappst Du auch immer noch in die Kalorien-Falle?
Puh, das ist mega-individuell. Letzten Endes kann ich Beispiele nennen und vielleicht ist eins davon eine Inspiration. In meiner Laufphase haben mich viele für meine „Disziplin“ bewundert und ich musste immer lachen, weil ich wohl so ziemlich der disziplinloseste Mensch bin, den ich kenne. Was mir geholfen hat, etwas durchzuziehen, war nie Disziplin, sondern Kreativität. Wenn ich etwas nicht tun oder lassen wollte, dann musste ich erfinderisch werden, es so zu gestalten, dass ich es am Ende doch wollte. Aufhören, Süßigkeiten essen? No way! Aber ich habe beispielsweise begonnen, statt Schokolade mir Medjoul-Datteln zu kaufen, die sind zuckersüß und schmecken irgendwie nach Karamell. Hatte ich einen dekadenten Anfall, schmierte ich noch einen Teelöffel Haselnussmus rein. Und das war so reichhaltig und süß im Mund, dass ich keine Schokolade vermisst habe. Wenn ich keinen Bock hatte, im Regen zu laufen, dann habe ich mir bessere Ausrüstung besorgt wie Klamotten, Schuhe und so weiter, die für das Wetter gemacht waren und dann wollte ich das natürlich auch ausprobieren. Ich bin bei Nebel, Schnee und Wind gerannt. Auch mit Stirnlampe mitten in der Nacht. Irgendwann habe ich es geliebt, die Intensität der Natur zu spüren.
Mit Mäusen fängt man Speck. Was sind Deine Essensünden, woran kommst Du nicht vorbei?
Ich habe keine Essenssünden. Ich habe Bedürfnisse und Gelüste, würde ich sagen. Manchmal muss es extrem würzig sein, dann wieder wünsche ich mir etwas Zuckersüßes. Ich gehe an nix mehr vorbei. Ich esse es einfach. Aber was ich nach vielen Jahren auf der Gewichtsachterbahn sagen kann: Ich habe keinen Stress damit. Ich esse so viel ich mag, und wenn ich nicht mehr mag, lass ich es halt. Generell hat sich das Verhalten zu Essen entspannt.
Du schreibst einen Blog über Dein Leben, das Abnehmen und den Sport. Wieso fühlst Du das Bedürfnis, die Erfahrungen zu teilen und welche hast Du damit gemacht?
Ja, das war wohl meine unbewusste Strategie – oder sagen wir besser: ein Versprechen an mich selbst – dranzubleiben. Es ernst zu meinen und das auch mit der Welt zu teilen. Du machst halt ein Commitment, wenn du einen Blog startest. Ich wusste damals ja nicht mal, was das ist. Für mich war das wie öffentliches Tagebuchschreiben. Ich dachte nie, dass das jemand liest. Und als ich die neun Monate laufpausieren musste, hatte ich auch keine Lust mehr zu schreiben. Als ich später meinen, „Ich bin wieder da“-Blog-Eintrag geschrieben habe, habe ich noch dazu vermerkt, dass das ja vermutlich eh keiner liest. Und daraufhin kam mein erster Kommentar von einem Leser: „Du glaubst doch nicht nur, weil du mal ein paar Monate nichts schreibst, dass wir alle weg sind?“ Huch, das war ein kleiner Schock für mich, denn plötzlich war mir klar: „Mist, das liest ja doch jemand!“
„Meine unbewusste Strategie: Es ernst zu meinen und mit der ganzen Welt zu teilen“
Zu den besten Zeiten hatte mein Blog 15.000 Aufrufe im Monat. Es gab so viel Menschen, die mich kannten und einmal hat mich bei einem Lauf sogar ein Mann gefragt, ob er mit mir ein Foto machen darf für seine Frau, die ein riesiger Fan von mir sei. Das war lustig. Es gibt im Internet vieles und was ich als außerordentlich empfinde, ist, dass ich für meinen Blog und eigentlich alles, was ich nach draußen getragen habe, nie angefeindet wurde. Meine Leute, meine Leser, waren durch die Bank tolle, liebenswerte Menschen. Sind sie immer noch, denn mit einigen bin ich auch nach über zehn Jahren noch in Kontakt.
Diäten beherrschen einen riesigen Markt. Es gibt Bücher, Kurse, Pillen und vieles mehr. Kam das für Dich infrage?
Also vor meiner Lauf-Offenbarung habe ich alles inhaliert, was es auf dem Markt gab. Bei jedem neuen Ansatz, Buch, Methode dachte ich: „Yeah, das ist jetzt das, was mir hilft.“ Meist hat es kurzfristig was gebracht, aber – weil es halt eben nicht aus mir heraus entstanden ist, sondern am Ende immer nur die Methode von einem anderen war, war das temporär.
Es gibt in dem Sektor immer wieder Trends, aktuell die „Abnehmspritze“. Was hältst Du davon, wäre das eine Option?
Hahaha, jetzt merke ich grad, wie viel besser es mir in dem Bereich geht: Ich habe nämlich tatsächlich keine Ahnung, wovon du sprichst. Ich bin nicht mehr up to date. Wie genial, ich schätze, die Antwort auf die Frage, kannst du dir denken. Ich weiß nicht, was diese Spritze ist oder macht, und es ist mir auch völlig wurscht. Und dass ich das sagen kann, obwohl ich gerade nicht mein niedrigstes Gewicht habe und obwohl ich nicht in der fittesten Form meines Lebens bin, das macht mich aktuell sehr glücklich und zufrieden mit mir selbst.
Meine Waage und ich. Schaust Du genau auf die Anzeige oder gehst Du mehr nach Wohlfühlfaktoren wie der Tatsache, endlich wieder in Deine Lieblingsjeans zu passen?
Auch eine lustige Entwicklung – die Waage und ich. Es gab Zeiten, lange Zeiten, in denen ich morgens und abends draufgestanden bin. Jeden Tag. Ständig kontrolliert habe, was passiert. Ich habe das genossen, die Waage war mir so wichtig. Ich hätte mir nie vorstellen können, sie nicht regelmäßig zu benutzen. Jetzt ist sie schon seit Monaten oder Jahren, ich weiß gar nicht mehr, irgendwo im Bad und manchmal steh ich drauf. Meistens dann, wenn irgendjemand sagt: „Judith, du bist schmaler geworden.“ Dann schau ich mal, ob die Waage das auch findet. Ich habe seit der Laufphase nicht mehr so die riesigen Schwankungen – ich habe in der Schwangerschaft richtig zugenommen und danach nicht mehr so richtig ab. Aber ich pendle eigentlich immer um dasselbe Gewicht rum. Jetzt gerade habe ich fünf bis sechs Kilo abgeworfen, ohne dass ich es gemerkt habe. Ich bin umgezogen, fühle mich sehr zu Hause im neuen Heim. Angekommen. Und das Gewicht passt sich da scheinbar irgendwie an. Ohne dass ich bewusst was dafür tue. Das ist auch neu und fühlt sich gut an.
Außenwirkung, Innenwirkung. Wie hat Dein Umfeld reagiert und war das motivierend oder setzt Dich das eher unter Druck?
Ja, da gab es zur Zeit der aktiven Abnahme viele Reaktionen. Von „Hey, jetzt reicht es aber mit Abnehmen, oder?“ Bis hin zu Bewunderung und manchmal auch ein bisschen Neid. Mich hat es tatsächlich immer genervt, nur aufs Abnehmen reduziert zur werden. Für mich war das so viel mehr. Es war ein Weg zu mir selbst. Ich bin ja nicht nur schlanker geworden. Ich habe mir damals Dreadlocks machen lassen, als Zeichen dafür, dass dieser Weg ein dauerhafter ist, weil sich diese Art, seine Haare zu tragen, auch nicht so leicht wieder rückgängig machen lässt. Das ein oder andere Tattoo ist dazu gekommen, ich habe mich selbstständig gemacht, ein Buch geschrieben. Es änderten sich viele Dinge in mir und in meinem Äußeren, dass ich nie verstanden habe, wieso jetzt die 33 Kilogramm so extrem wichtig waren. Am Ende hat sich mein ganzes Leben verändert und die Beziehung zu meinem Körper und das hat mir viel mehr bedeutet als diese Zahl.
Gibt es noch Ziele für die Zukunft oder stimmt die innere Zufriedenheit?
Ich will gut zu mir sein. Jetzt, mit knapp Mitte 40 verändert sich der Körper – wieder einmal – von Neuem. Plötzlich hast du Falten, ein paar silberne Fäden im Haar, die Haut hängt an manchen Stellen komisch rum und fühlt sich anders an. Man wird insgesamt „weicher“ – also zumindest ist das bei mir so. Und dann schaust du dich schon an und denkst: „Echt jetzt?“ Gefühlt kommt das über Nacht. Und ich glaube, das ist am ehesten das, was einem Ziel nahekommt: damit fein zu sein. In jeder Lebensphase. Zu schauen, was ich jetzt brauche und mir das zu geben. Wenn das gerade passives Auf-dem-Boden-rumliegen-Yoga, Muskelstränge, die seit zehn Jahren verknotet sind, zu lösen und Hafermilch-Latte-Macchiato ist – statt Marathon, Stabilitätstraining und Smoothies, dann ist das okay. Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der nie zufrieden ist, ich bin nicht ruhig. Zumindest nicht innerlich, aber ich kann lernen, gnädiger mit mir zu sein und auf meinen Körper zu hören. Gelingt mir nicht immer, ich bin super im Ignorieren von Körpersignalen, aber immerhin ist es mir inzwischen bewusst. Man ist nie zu alt, um zu lernen, mit sich selber gut umzugehen. Im Gegenteil: Je älter, desto besser finde ich.
Was rätst Du Abnehmwilligen?
Finde dein eigenes Ding. Es ist super, wenn es da draußen etwas oder jemanden gibt, der dich inspiriert. Aber am Ende bist du allein mit dir. Dein Körper ist dein Freund, dein Verbündeter. Wenn du trainierst, anders isst oder sonst irgendwas machst, dann mache es, weil du diesen Körper liebst, nicht weil du ihn hasst. Mach es mit ihm zusammen, egal, was du tust.