Nach ständiger Abwärtsbewegung steigt der Bierkonsum in Deutschland wieder. Davon profitieren aber die Craft-Biere kaum. Was ist von ihrem Hype geblieben? Eine Spurensuche in Berlin, wo selbst der „Beer Jesus“ aus Kalifornien gescheitert ist.
Craft Beer? War da was? Ist die von den einen erhoffte, von anderen befürchtete Revolution in der Bierbranche gescheitert, bevor sie wirklich begonnen hat? Abgesänge auf sogenanntes Craft Beer gab es in letzter Zeit jedenfalls einige. Aber ist Kreativbier, wie die Nicht-Industriebier-Brauer ihr Produkt hierzulande lieber nennen, in einer Nische verschwunden, aus der es nicht mehr rauskommt? Ausgeträumt ist der Traum noch nicht. Aber selbst in Berlin, der Stadt, in der es für einige Sommer nach einer Hopfen-Revolution roch, hat sich Ernüchterung breitgemacht.
Mit gut 25 Millionen Euro und einer Kampfansage kam Greg Koch, der Gründer von Stone Brewing, einer der bedeutendsten amerikanischen Craft-Brauereien, 2015 nach Berlin. Der Mann, der in den USA als „Beer Jesus“ gefeiert wurde und mit Rauschebart und seinem charismatischen Auftreten auch so wirkte, eröffnete 2016 im aufwendig hergerichteten ehemaligen Gaswerk in Mariendorf eine Brauerei mit Restaurant, die auch als Europa-Zentrale des kalifornischen Unternehmens dienen sollte. Von hier aus wollte Greg Koch die Industrie-Brauereien das Fürchten lehren. Drei Jahre später gab er auf. In Marienfelde wird zwar weiterhin Craft Beer gebraut, jetzt von der schottischen Brewdog Brewery. Aber das Scheitern von Stone war ein Wendepunkt.
Thorsten Schoppe braut seit 2001 sein eigenes Bier. Aus heutiger Sicht ist er einer der deutschen Craft-Brewer der ersten Stunde. Als er angefangen hat, nannte das nur noch niemand so. Und inzwischen sei das mit dem sogenannten Craft Beer auch nicht mehr so wichtig. „Der große Hype ist vorbei“, sagt Schoppe. Wenn er sich richtig entsinne, dann sei das in Berlin 2011 losgegangen. „Da gab es plötzlich Bottleshops und das erste Pale Ale“, erinnert er sich. „Da haben sich viele drangehängt, wir hatten wilde Pläne – aufgegangen sind sie nicht. Zum Glück haben wir keine größere Brauerei gebaut, die nicht ausgelastet wäre“, sagt er.
Viele Hoffnungen sind gestorben
Etwa 90 Prozent des Biers, das er braut, wird in Flaschen verkauft – bei Rewe, bei Edeka, von einem großen Berliner Getränkehändler, von Online-Lieferanten. Vor allem seine Bio-Biere seien gefragt. Bio und lokal, das funktioniere ganz gut. „Regionalität ist ein Faktor“, sagt Schoppe. „In die normale Gastro kommen wir mit unserm Bier nicht rein. Wir sind teuer und machen keine Finanzierung“, erklärt er. Keine Finanzierung bedeutet: Anders als die großen Konzerne kann Schoppe den Gaststätten keine Zapfanlagen und Inneneinrichtungen hinstellen.
„Aktuell ist das Konsumklima etwas doof. Die Leute trinken kein teures Bier, wenn sie nicht wissen, ob sie die Stromrechnung bezahlen können. Corona, Krieg, kein Malz, weil die halbe Mälzerei in Quarantäne ist – wir hoffen, dass es aufhört, so lange müssen wir die Pobacken zusammenkneifen“, beschreibt Schoppe das, was alle Brauer umtreibt. Das Interesse am sogenannten Craft Beer habe allerdings schon vor diesen Krisen abgenommen.
„Es gab schon vor der Pandemie etwas Ernüchterung“, sagt auch Katharina Kurz, die Mitgründerin von BRLO. BRLO ist der altslawische Name Berlins. Diesen Namen haben Kurz und ihre Mitstreiter gewählt, als sie 2014, in der Boomphase, als Start-up-Unternehmen in die Branche einstiegen. „Wir kamen Ende 2014 mit den ersten Bieren raus. Da war gute Stimmung, da jagte ein Bierfestival das andere“, erinnert sie sich. Diese Zeiten sind vorbei – und viele Hoffnungen gestorben. „In Berlin finden Wirte lokales Bier gut, nehmen aber nur ein Flaschenbier dazu“, sagt Kurz. Mehr als drei Hähne gebe es selten. Aus einem fließe meistens Pils, aus dem anderen Helles. Wenn man es schaffe, als Craft Brewer den dritten Hahn zu bekommen, dann werde das groß gefeiert. Von Zuständen wie in den USA, wo in Kneipen aus einer ganzen Reihe von Hähnen Biere vieler Brauereien parallel fließen, könne man in Deutschland weiterhin nur träumen. „Diese Hoffnung, dass die Gastronomie, so wie sie 20 Weine auf der Karte hat, auch 20 Biere anbietet, hat sich nicht erfüllt“, sagt Katharina Kurz.
Dass Craft Beer in Deutschland keinen relevanten Marktanteil hat, liege auch daran, „dass ihm der Handel früh, viel zu früh und viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt“ habe. Der Konsument sei „noch nicht so weit gewesen“. Auch die Qualität einiger Biere sei noch nicht ganz ausgereift gewesen.
„Aber ich glaube nach wie vor an die Biervielfalt“, sagt Kurz. Sie rät zu „langsamem und solidem Arbeiten“. Es habe auch beim Wein etwas gedauert, bis sich die Vielfalt etabliert hat. Früher gab es in vielen Restaurants und Kneipen auch nur einen Weißen und einen Roten. So sei das heute für viele Deutsche auch noch beim Bier. „Die Winzer haben es geschafft, Geschichten zu erzählen, uns ist das noch nicht so richtig gelungen“, vermutet Kurz. Es dauere „einfach länger“, als man vor zehn Jahren gehofft habe.
Man dürfe nicht den „Riesenfehler“ machen, „die Leute zu überfordern“, sagt Kurz. Und: „Wir dürfen nicht arrogant sein.“ Als BRLO mit einem Pale Ale und einem Lager angefangen hat, haben einige aus der Szene die Nase gerümpft, erinnert sie sich: „Wir mussten uns am Anfang rechtfertigen: ,Helles ist doch kein Craft Beer‘, hieß es.“ Inzwischen sei klar: Wer überleben will, muss auch leichter trinkbare Biere im Sortiment haben.
„Irgendwie geht es immer weiter“
Ein weiteres deutsches Problem: Craft Beer ist hierzulande noch teurer als Industriebier im Vergleich zu den USA und England, weil Bier in Deutschland generell billiger ist als in vielen anderen Ländern. Dazu komme, dass Brauereien in anderen Ländern weniger mit steigenden Preisen für Glas, Energie und Malz zu kämpfen haben. „Die Krise nach der Krise nach der Krise“ treffe also nicht nur die Gastronomie hart, sondern auch die Brauereien. Für BRLO werde 2023 deshalb „ein Jahr der Fokussierung“, das heißt, dass es „weniger Specials“ geben werde, kündigt Katharina Kurz an.
in Berlin gescheitert - Foto: imago images / tagesspiegel
Oliver Lemke sieht vieles ähnlich. Dass Bier als billiges Getränk wahrgenommen wird und es handwerkliche Brauer daher schwer haben, zum Beispiel. Dass handwerklich gebrautes und damit etwas teureres Bier mehr nachgefragt wird, ist auch aus seiner Sicht „eine Frage der Zeit“. „Die Geschwindigkeit war zu hoch“, glaubt auch er.
Oli Lemke braut seit 1999 mitten in Berlin in der Nähe des Alexanderplatzes. „Wir waren ja eigentlich die Revolution, als wir mit einer Low-Budget-Anlage begonnen haben. Das war das, was 15 Jahre später Craft hieß“, sagt er. „15 Jahre lang hat es keinen interessiert, was wir hier machen. Am Anfang haben wir die Vielfalt rausgenommen, weil sie niemand haben wollte, dann haben wir sie wieder reingenommen“, erinnert er sich. Dann haben plötzlich alle von Craft Beer geredet, die Journalisten kamen.
Aber dass Craft Beer schnell zu einer Erfolgsgeschichte wird, glaubt er nicht. Das habe er schon nicht geglaubt, als ihm Garrett Oliver von der Brooklyn Brewery und Greg Koch von Stone erklärt haben, dass Craft Beer auch in Deutschland boomen wird. „Ich habe nicht erwartet, dass das explodiert hier – nicht in Berlin“, sagt Lemke. Und er habe Greg Koch davor gewarnt, die Brauerei in Mariendorf zu bauen, also ganz weit draußen mit einem Fußweg von rund 20 Minuten bis zur nächsten U-Bahn-Station. So wenig, wie er sich damals von der „überhitzten Erwartung“ hat mitreißen lassen, so wenig Grund sieht er jetzt gerade für ernsthafte Beunruhigung. Es sei recht einfach: „Wir haben immer unser Ding gemacht und werden weiter unser Ding machen – das ist cool.“ Thorsten Schoppe übt sich ebenfalls in Gelassenheit: „Irgendwie geht es immer weiter. Ich war vor dem Craft-Beer-Boom da und werde auch danach noch da sein.“