Frauen als Actionstars wurden jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt. Jennifer Lawrence war aber nicht die erste, die ihre Muskeln spielen ließ.
Da hat das Internet mal wieder einen schönen Aufreger: Es ist Anfang Dezember, als Jennifer Lawrence in einem Interview mit Kollegin Viola Davis für das Magazin „Variety“ folgendes sagt: „Ich erinnere mich, als ich ‚Die Tribute von Panem‘ drehte, hatte noch nie jemand eine Frau in die Hauptrolle eines Actionfilms gesteckt, weil es nicht funktionieren würde.“ Das reicht, um die sozialen Netzwerke zum Sprengen zu bringen. Denn immerhin ist die Oscar-Preisträgerin mit 32 Jahren in einem Alter, in dem sie schon mal selbst den einen oder anderen Film gesehen haben sollte – gerade als Hollywood-Star.

Männliche wie weibliche Nutzer setzten Tweets ab wie „Offenkundig hat sie nie die ‚Alien‘-Filme mit Sigourney Weaver gesehen“ oder „Lawrence ist offenbar so selbstverliebt, dass sie tonnenweise andere Frauen in Actionfilmen vergisst: Linda Hamilton. Hallo? Sigourney Weaver? Angelina Jolie? Halle Berry? Uma Thurman und die Frauen aus ‚Kill Bill‘? ‚Death Proof‘-Cast?“ Wie immer in solchen Fällen wird gern mal etwas aus dem Kontext gerissen. Lawrence selbst fügt nämlich noch hinzu: „Uns wurde gesagt, dass Mädchen und Jungen sich beide mit einer männlichen Hauptrolle identifizieren können, aber Jungen nicht mit einer weiblichen Hauptrolle. Und es macht mich jedes Mal so glücklich, wenn ich sehe, dass ein Film herauskommt, der jeden einzelnen dieser Glaubenssätze durchbricht und beweist, dass es nur eine Lüge ist, bestimmte Leute aus den Filmen herauszuhalten. Bestimmte Leute in derselben Position zu halten, in der sie schon immer waren, und es ist einfach erstaunlich, das zu sehen.“

Die erste Actionheldin gab es in den 30ern
Tatsächlich ist der Ausspruch von Jennifer Lawrence ebenso absurd wie er auch einen wahren Kern enthält. Denn Tom Cruise, Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Liam Neeson, John Cena oder Gerard Butler entkommen seit Jahrzehnten jeder Explosion. Sie lassen sich von Hubschraubern abseilen, turnen am Burj Khalifa herum, nehmen es mit einer Überzahl an persischen Gegnern auf oder boxen gleich gegen eine Herde hungriger Wölfe – auch in fortgeschrittenem Alter. Doch was macht eigentlich Angelina Jolie? Oder Halle Berry? Und wer war überhaupt die erste Actionheldin?
Bereits in den 1930er-Jahren betreten Glenda Farrell und Evalyn Knapp die Bühne. Knapp stellt ab 1933 in dem Action-Serial „The Perils of Pauline“ die Professoren-Tochter Pauline Hargraves dar, die Abenteuer rund um die Welt besteht, um Finsterlingen auf die Finger zu klopfen. Farrell ist von 1937 bis 1939 als Journalistin Torchy Blane in „Smart Blonde“ zu sehen, die mit Intelligenz, Schlagfertigkeit und Kompetenz abenteuerliche Kriminalfälle löst. In den 1940er-Jahren wird die Kalifornierin Linda Stirling als schlagfertige Amazone oder als weiblicher Zorro in „Der Rächer mit der Maske“ eingesetzt. Trotz ihres Erfolges und ihrem Einsatz wird sie meist an zweiter Stelle genannt (nach einem Mann als Hauptdarsteller) und legt 1947 eine – bezeichnenderweise – Babypause ein. 1954 kehrt sie zurück, setzt sich schauspielerisch aber bereits fünf Jahre später wieder zur Ruhe. Später unterrichtet sie bis 1992 als Lehrerin für College-Englisch und Schauspiel am Glendale College in Glendale.

Eventuell ist es dem Einsatz des Hays Codes mit zu verdanken, dass dieser Frauen-Typus in den folgenden Jahrzehnten aus den Hollywood-Filmen verschwindet. Die eigentlich „Production Code“ genannte Zusammenstellung von Richtlinien zur Herstellung von amerikanischen Spielfilmen dient dazu, „moralisch akzeptable Darstellungen besonders von Kriminalität, von sexuellen und von politischen Inhalten“ zu regulieren und zu überwachen, wie es auf Wikipedia heißt. Der erzkonservative Code wurde 1934 durchgesetzt, ab den 50er-Jahren immer stärker unterwandert und 1967 schließlich abgeschafft.
Bis an die Zähne bewaffnet
Ende der 60er- und Mitte der 70er-Jahre betreten dann Cheng Pei-pei und Pam Grier die Leinwand – abseits vom Hollywood-Mainstream. Die chinesische Darstellerin boxt sich ab 1966 in „Das Schwert der gelben Tigerin“ durch mehrere Wuxia-Streifen. Damit sind Schlachten- und Schwertkampfgemälde mit fantastischen Elementen gemeint, die in China sehr populär sind. Die Amerikanerin Pam Grier erregt 1973 Aufsehen im Blaxploitationstreifen „Coffy – die Raubkatze“ und ein Jahr später in „Foxy Brown“. Kurz darauf wird es gleich wieder ruhig um sie, doch mit John Carpenters „Flucht aus L.A.“ und Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ 1996 und 1997 erlebt sie ein Comeback.

Ein Quantensprung im Mainstream-Actionkino geschieht 1979, als Sigourney Weaver als Ellen Ripley auftaucht – in einer Rolle übrigens, die geschlechterunspezifisch geschrieben wurde. In „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ überzeugt die 1,84 Meter große, damals fast 30-jährige New Yorkerin mit Cleverness, Durchhaltewillen und schweren Waffen im Kampf gegen das titelgebende Monstrum, das passenderweise phallische Züge trägt. Auch wenn der erste Teil der Science-Fiction-Saga eher Horror und Thriller ist, geht Weaver dank der krachenden Fortsetzungen als erster wirklicher weiblicher Actionheld in die Filmgeschichte ein. Später tritt sie in actionlastigen Komödien wie „Ghostbusters“ und „Galaxy Quest“ oder in den Megaerfolgen um James Camerons „Avatar“-Universum auf.
Cameron ist es auch, der 1984 Sarah Connor – nicht die deutsche Sängerin – in die Filmwelt einführt. In „Terminator“ ist Linda Hamilton zwar noch auf die Hilfe eines starken Mannes angewiesen, um der finsteren Maschine aus der Zukunft zu entkommen. Doch der Film ist so erfolgreich, dass 1991 die Fortsetzung folgt, diesmal mit Arnold Schwarzenegger als „gutem Terminator“. Und Hamilton brilliert als bis an die Zähne bewaffnete Mutter, die alles tut, um ihren Sohn zu schützen – dennoch bleibt das meiste an aufwendig inszenierter Action natürlich dem Star Schwarzenegger vorbehalten. Ebenso wie Sigourney Weaver ist Linda Hamilton zwar als Action-Ikone legendär, doch ihre Rollen sind eher im Charakterfach als im Actiongenre zu finden – im Gegensatz zu Bruce Willis, Schwarzenegger, Stallone, Jean-Claude Van Damme und Steven Seagal, die munter krachend weiter meucheln.

Die 80er- und 90er-Jahre bleiben in Sachen „in den Arsch tretende Frauen“ dünn besiedelt. Brigitte Nielsen scheitert an durchwachsenen Drehbüchern wie „Red Sonja“ und zu großem Ego. Der französische Regisseur Luc Besson versucht zumindest, weibliche Actionheldinnen wie Anne Parillaud in „Nikita“ (1990) zu etablieren und bringt die damals 13-jährige Natalie Portman in „Léon – Der Profi“ sowie Milla Jovovich in „Das fünfte Element“ (1997) auf die Leinwand. Auch in Comicverfilmungen gibt es immer wieder Ansätze, etwa mit Michelle Pfeiffer als Catwoman in „Batmans Rückkehr“ oder mit Lori Petty in „Tank Girl“ (1995). Doch die weiblichen Actionstars sind meist schmückendes Beiwerk für muskelbepackte „echte Kerle“ oder bleiben in B-Movies versteckt, wie Cynthia Rothrock, die in Martial-Arts-Filmen ihre Kampfkunst zeigt.
Erst um die Jahrtausendwende schlagen Frauen ein und zu. Langsam und punktuell, aber immerhin. Charlize Theron überzeugt ab Ende der 90er-Jahre in „Mein großer Freund Joe“, „The Italian Job“ und „Æon Flux“, „Hancock“, „Mad Max: Fury Road“ oder „Atomic Blonde“. Halle Berry spielt in Titeln wie „Einsame Entscheidung“, „Passwort: Swordfish“, „Catwoman“ und natürlich den Filmen aus der „X-Men“-Reihe. Angelina Jolie zeigt ihre natürliche Urgewalt in erfolgreichen Actionkrachern wie „Hackers“, „Nur noch 60 Sekunden“, „Wanted“, „Salt“ und selbstverständlich als Lara Croft in den beiden „Tomb Raider“-Streifen. Ihr Einsatz als UNHCR-Sonderbotschafterin und prophylaktische Krebsoperationen lassen sie in den vergangenen Jahren leider etwas ruhiger werden.
Langes warten auf Spin-offs

Die beiden „3 Engel für Charlie“-Filme mit Cameron Diaz, Drew Barrymore und Lucy Liu von 2000 und 2003 sind eher komödiantische Männerträume als Actionfilme, die sich ernsthaft gegen Männervorherrschaft zur Wehr setzen. Aber immerhin haben sie anständige Budgets und spielen ordentlich Kohle ein. Der Film gleichen Namens mit Kristen Stewart von 2019 lehnt sich eher auf – hat aber kein gutes Drehbuch und floppt. Ernster nehmen ihre Rollen Kate Beckinsale in der „Underworld“-Horroractionreihe (seit 2003) und Milla Jovovich, die seit 2002 Dämonen im „Resident Evil“-Franchise zur Strecke bringt.
Mit den stetig erfolgreicher werdenden Comicverfilmungen aus dem Marvel- und dem DC-Universum betreten immer öfter weibliche Stars die Bühne. Scarlett Johansson etwa als Black Widow in den Blockbustern rund um die Avengers. Oder Gal Gadot als Wonder Woman in den Filmen um Batman und Superman. Bezeichnend: Es dauert dennoch bis 2017, bis mit „Wonder Woman“ ein dem Männer-Actionkino budgetmäßig ebenbürtiger Film in die Kinos kommt – „Black Widow“ kommt sogar erst 2021, obwohl Scarlett Johansson längst ein Star ist und die Rolle bereits seit 2010 spielt.
Jennifer Lawrence nun spielt Katniss Everdeen in den „Hunger Games“-Verfilmungen 2012 zum ersten Mal. Da war sie jedoch bereits zwei Jahre zuvor als junge Mystique in den neuen „X-Men“-Filmen zu sehen, also in einem actionlastigen Franchise – mit Männern in den Hauptrollen. Nach den heftigen Reaktionen auf ihren eingangs erwähnten Spruch ruderte sie übrigens zurück: „Ich weiß, dass ich nicht die einzige Frau bin, die jemals einen Actionfilm geleitet hat. Was ich betonen wollte, war, wie gut es sich anfühlt. Ich hatte Nerven, mit einer lebenden Legende zu sprechen.“ Actionheldinnen sind eben auch nur Menschen.