Abnehmspritzen wie Ozempic, Wegovy oder Zepbound versprechen schnellen Erfolg ohne großen Aufwand. Allerdings stellen sich bei der Verwendung dieser Wirkstoffe, die ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt wurden, Risiken und Nebenwirkungen.
In der breiten Öffentlichkeit dürfte kaum bekannt sein, womit unser kleines Nachbarland Dänemark mit seinen knapp sechs Millionen Einwohnern im Außenhandel das meiste Geld verdient. Kaum jemand dürfte wissen, dass medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse mit gut 18 Prozent den Hauptanteil der dänischen Exportgüter ausmachen. Wobei allerdings der Name des dänischen Pharma-Riesen Novo Nordisk im Laufe des Jahres 2023 in Zusammenhang mit schier unzähligen Publikationen über das erste wirklich erfolgreiche Medikament zur Gewichtsreduktion immer wieder aufgetauchte. Der weltweite Run nach der von Novo Nordisk entwickelten Abnehmspritze hatte den dänischen Konzern zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen Europas aufsteigen lassen. Der Börsenwert von mehr als 400 Milliarden Euro überstieg sogar das gesamte dänische Bruttoinlandsprodukt und war doppelt so hoch wie die Börsennotierung der drei deutschen Autokonzerne Mercedes, BMW und Volkswagen zusammengenommen.
Der Grund dafür ist naheliegend, weil Adipositas oder krankhaftes Übergewicht eines der drängendsten Probleme der modernen weltweiten Zivilisation darstellt. In Deutschland liegt der Anteil der übergewichtigen Erwachsenen bei 54 Prozent. Schätzungen zufolge kann sich die Zahl der Weltbürger mit einem Body-Mass-Index über 25 bis zum Jahr 2035 auf bis zu vier Milliarden erhöhen. Von daher dürfte es kaum verwundern, dass es einen gigantischen Markt und eine riesige Nachfrage für wirksame Adipositas-Mittel gibt. Laut Analysen der US-Investmentbank Goldman Sachs werden sich die Umsätze mit Abnehmpräparaten bis zum Jahr 2030 versechzehnfachen – von aktuell rund sechs Milliarden Dollar auf stolze 100 Milliarden Dollar. Da der Kuchen so lukrativ ist, hat sich jüngst das US-Unternehmen Eli Lilly, der mit rund 570 Milliarden Dollar an den Börsen höchstdotierte Gesundheitskonzern der Welt, in das Rennen um die Abnehm-Medikamente eingeklinkt. Und dabei mit seinem auf dem Wirkstoff Tirzepatid beruhenden Produkt Zepbound ein Präparat vorgestellt, das in Sachen Gewichtsabnahme den Novo Nordisk-Konkurrenten Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid“ noch weit übertrifft. Zudem plant Eli Lilly, das Medikament Zepbound für den europäischen Markt ab 2027 im rheinland-pfälzischen Alzey in einem eigens errichteten Werk von bis zu 1.000 Mitarbeitern produzieren zu lassen.
Dass der Hype um die Abnehmspritze Wegovy ursprünglich ab dem Jahr 2022 ausgerechnet in den USA ausgebrochen war, lässt sich allein schon damit erklären, dass die Vereinigten Staaten neben Neuseeland das einzige Land sind, in dem die Werbung für rezeptpflichtige Medikamente erlaubt ist. Zusätzlich kamen dem dänischen Hersteller prominente Persönlichkeiten wie Tech-Mogul Elon Musk, Medien-Star Kim Kardashian, Basketball-Legende Charles Barkley, Reality-Star Dolores Catania oder Schauspielerin Amy Schuster zu Hilfe, die Wegovy als Wundermittel für das Purzeln einiger überflüssiger Pfunde angepriesen hatten. Danach wurde die Abnehmspritze in den sozialen Medien dank verschiedenster Influencer quasi ein Selbstläufer, wobei Novo Nordisk schon bald die riesige Nachfrage nicht mehr decken konnte. Sogar bei der Oscarverleihung im März 2023 konnte sich Moderator Jimmy Kimmel einen kleinen Seitenhieb auf das Vorgängerprodukt von Wegovy namens Ozempic nicht verkneifen: „Schaut euch all die hübschen Menschen an! Wenn ich mich in diesem Saal umsehe, frage ich mich: Ist Ozempic auch was für mich?“
Bis 2030 werden die Umsätze von sechs Milliarden auf 100 Milliarden US-Dollar steigen
Dass sich Novo Nordisk die PR für das ursprünglich für die Diabetes-Behandlung entwickelte Ozempic und das den gleichen Wirkstoff in höherer Dosierung enthaltende Wegovy, das seit 2021 in den USA und seit 2022 in der EU zur Bekämpfung von Adipositas zugelassen wurde, durchaus etwas kosten ließ, kann getrost angenommen werden. Auch wenn die Dänen Gerüchte über Zahlungen in Höhe von 25 Millionen Euro an Influencer oder sogenannte Key Opinion Leaders, wie sie beispielsweise in einem MDR-Bericht vom Sommer 2023 enthalten waren, als unrichtig zurückgewiesen hatten. Die von der britischen Zeitung „Observer“ im Frühjahr 2023 und vom MDR im Dezember 2023 für Deutschland enthüllten Überweisungen an prominente Ärztevertreter, Adipositas-Experten oder medizinische Fachverbände wurden von Novo Nordisk allerdings nicht bestritten. Was zwangsläufig die Diskussion um mögliche Interessenkonflikte angefacht hatte. Vor allem konnte man sich womöglich am ständigen Gebrauch des Wortes „Gamechanger“ im Zusammenhang mit Wegovy stören, auch wenn der Wirkstoff Semaglutid tatsächlich die erste Substanz für einen nennenswerten Gewichtsverlust gewesen ist. Während in Europa Wegovy nur auf ärztliche Verordnung hin erhältlich ist, ist in Amerika dieses Medikament wie auch das im November 2023 von der FDA für die Gewichtsabnahme zugelassene Konkurrenz-Präparat Zepbound von Eli Lilly leicht und häufig ohne jegliche medizinische Begleitung erhältlich – sofern man das nötige Kleingeld in der Tasche hat. Denn der Preis für die Abnehmspritze Wegovy ist in den USA mit bis zu 1.350 Dollar für die Monats-Ration in Höchstdosierung deutlich höher angesiedelt als in Deutschland.
Der relativ freizügige Zugang zu den Abnehmspritzen in den USA rückt die Präparate dort schnell in den Rang von Lifestyle-Medikamenten, ähnlich wie Fettabsaugen oder plastische Chirurgie. Obwohl die Medikamente eigentlich nur für die Anwendung bei ernsthaft Erkrankten konzipiert wurden. Und es daher keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen über möglichen Folgen der Applikation bei gesunden Menschen gibt. In Deutschland wird ohne ärztliche Verschreibung niemand an die Medikamente herankommen. Aber selbst dann wird es teuer werden, für Wegovy wird man für eine vierwöchige Ration mit höchster Dosierung rund 300 Euro veranschlagen müssen. Denn die hiesigen Krankenkassen werden die Kosten für die Präparate wie bislang nur bei der Behandlung von Diabetes erstatten, nicht aber für eine Therapie gegen Adipositas. Selbst krankhaft Übergewichtige müssen die Abnehmspritzen daher aus eigener Tasche bezahlen. Wofür Betroffene kaum Verständnis aufbringen werden, weil Übergewicht lange Zeit als Folge eines individuellen Lebensstils eingestuft worden war und nicht als Krankheit deklariert wurde. Aber 2020 hatte der deutsche Bundestag Adipositas offiziell als Krankheit anerkannt. Die Krankenkassen verweigern dennoch bislang die Kostenerstattung für Abnehmspritzen, weil sie es bislang als nicht erwiesen ansehen, dass sich durch eine pharmakologische Gewichtsreduktion auch Folgeerkrankungen verhindern lassen. Letztlich dürfte es nur ums Geld gehen, weil bei einer Behandlung von rund 16 Millionen adipösen Bundesbürgern mit den gewichtsreduzierenden Medikamenten die Kosten ganz immens ausfallen würden.
Alles begann mit dem Medikament Ozempic, das Novo Nordisk im Februar 2018 als Fertigpen zum Spritzen für die Behandlung des Typ-2-Diabetes bei Patienten, bei denen Ernährungsumstellung und Bewegung nicht zur ausreichenden Senkung des Blutzuckerspiegels führte, auf den Markt brachte. Überraschenderweise konnte bei den Betroffenen, die sich das Medikament selbst einmal wöchentlich in das Unterhautfettgewebe von Oberarm, Bauch oder Oberschenkel injizieren mussten, gewissermaßen als durchaus erwünschter Nebeneffekt eine deutliche Gewichtsreduktion festgestellt werden. Um diesen Sachverhalt zu überprüfen, gab das dänische Unternehmen eine Studie mit 1961 unter deutlichem Übergewicht leidenden Probanden in Auftrag. Wobei diesen Testpersonen eine im Vergleich zur Diabetes-Behandlung doppelt so hohe Dosierung des Wirkstoffs Semaglutid von 2,4 Milligramm verabreicht wurde. Im Verlauf des Untersuchungszeitraums von 68 Tagen konnten die Probanden ihr Körpergewicht im Schnitt um stolze 14,9 Prozent reduzieren und dabei durchschnittlich 15,3 Kilogramm an überflüssigen Pfunden abspecken. Bei einem Drittel der Probanden lag der Gewichtsverlust sogar bei mehr als 20 Prozent. Solche Abnehmerfolge konnten zuvor noch niemals mit Medikamenten erzielt werden. Die Gewichtsreduktion mithilfe des bis dahin unter dem Handelsnamen Saxenda oder Victoza gebräuchlichen und täglich zu injizierenden Medikaments mit dem Wirkstoff Liraglutid war weit von den Semaglutid-Werten entfernt. Obwohl beide Wirkstoffe zur Gruppe der sogenannten Ingretinmimetika oder der sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten gehören, die als synthetisch hergestellte Peptide die Wirkung des im Zwölffingerdarm natürlich produzierten Hormons GLP-1 nachahmen können. Der hormonartige Wirkstoff Semaglutid kann an Rezeptoren im Körper andocken, wo normalerweise auch körpereigene Hormone ansetzen. Beispielsweise in der Bauchspeicheldrüse, wodurch es zur einer gesteigerten Freisetzung des blutzuckersenkenden Insulins kommen kann. Oder auch im Gehirn mit einem positiven Effekt für ein frühzeitigeres Sättigungsgefühl. Semaglutid kann das Hungergefühl drosseln, weil es sowohl die Magenentleerung als auch die Aktivität des gesamten Magen-Darm-Trakts verlangsamen kann.
In der EU darf Wegovy erst ab einem BMI von über 30 verschrieben werden
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen war es für Novo Nordisk ein geradezu logischer Schritt, sein Diabetes-Medikament Ozempic durch eine höhere Dosierung des Inhaltsstoffs Semaglutid auch zu einem preislich deutlich höher angesiedelten Präparat mit dem Handelsnamen Wegovy gegen Adipositas zu entwickeln. Die Zulassung für Wegovy, das signifikant in den menschlichen Stoffwechsel eingreift, erfolgte in den USA im Juni 2021, in der EU im Januar 2022. Bevor Wegovy in der EU von Ärzten als Mittel gegen krankhaftes Übergewicht verschrieben werden kann, müssen Betroffene schon sämtliche konservativen Therapiemaßnahmen wie etwa Ernährungsberatung, Bewegungs- oder Verhaltenstherapie ohne ausreichende Gewichtsreduktion durchlaufen haben. Die Abnehmspritze ist nur für diejenigen gedacht, bei denen alle anderen Behandlungsansätze nicht geholfen haben. Und kann daher auch als ideale Alternative zu einer Magen-Verkleinerungs-OP angesehen werden.
Verschrieben werden darf das Medikament Wegovy in der EU nur an Patienten mit einen Body-Mass-Index von mindestens 30 oder für Betroffene mit einem BMI von mindestens 27, sofern sie schon an einer gewichtsbedingten Begleiterscheinung wie Diabetes, Bluthochdruck, Fettwechselstörungen, Gefäßerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Der Wirkstoff Semaglutid kann bei diesen Personen nicht nur den Blutzuckerspiegel senken, sondern durch die Gewichtsreduktion auch vorbeugend gegen das Auftreten der typischen Adipositas-Folgeerkrankungen wirken. Das Medikament Wegovy, das einmal wöchentlich gespritzt werden muss, ist in fünf Semaglutid-Dosisstärken erhältlich. Wobei die Dosierung schrittweise monatlich gesteigert wird, beginnend mit 0,25 Milligramm in den ersten vier Wochen bis hin zum Maximalwert von 2,4 Milligramm. Die langsame Erhöhung sorgt dafür, dass sich mögliche Nebenwirkungen oder Beschwerden in Grenzen halten lassen. Zur Unterstützung des Gewichtsverlust wird zu reichlich Bewegung und einer Ernährungsumstellung geraten. Das Medikament wirkt nur so lange, wie es tatsächlich verabreicht wird. In Studien konnte schon festgestellt werden, dass Patienten, die es nach 20 Wochen abgesetzten, wieder an Gewicht zunahmen. Über Langzeitfolgen der Einnahme von Semaglutid liegen bislang keinerlei Erkenntnisse vor, was auch über mögliche negative Wechselwirkungen von Semaglutid mit anderen Medikamenten oder einem möglichen Wirkungsverlust von Semaglutid bei Langzeiteinnahme gilt. Bei gesunden Personen mit einem BMI-Wert von deutlich unter 27 bringt die Einnahme vergleichsweise wenig. Zwar werden auch da einige Pfunde purzeln können, wie es die Promis in den USA verkündet hatten, aber generell gilt, dass der Gewichtsverlust umso größer ist, je mehr Fettmasse vorhanden ist. Was durch Tierversuche bereits bestätigt werden konnte. Bei Nagetieren mit Normalgewicht konnte durch eine Semaglutid-Gabe kaum ein Abnehmeffekt registriert werden.
Laut der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ist Semaglutid „relativ gut verträglich“. Allerdings können wie bei jedem Medikament dennoch einige Nebenwirkungen auftreten. Wobei Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung am häufigsten genannt werden. Auch ein erhöhtes Risiko für die Bildung von Gallensteinen oder für eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse sowie für eine Erhöhung der Herzfrequenz können nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Bei Nagetieren konnte durch die Vergabe von Semaglutid ein potenziell erhöhtes Risiko für die Ausbildung bestimmter Schilddrüsenkrebserkrankungen festgestellt werden. Daher sollten gesunde Menschen auf der Suche nach einer Traumfigur besser die Finger von Wegovy lassen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Semaglutid und Co., die es womöglich bald auch in Tablettenform geben könnte, künftig zu gängigen Pharma-Präparaten oder gar Massenprodukten aufsteigen könnten, sofern die Krankenkassen die Kosten dafür doch noch übernehmen sollten. „Im Moment zeichnet sich ab, dass sich diese Substanzklasse der GLP-1-Rezeptoragonisten mittelfristig zu Blockbuster-Medikamenten entwickeln und dann ganz ähnlich eingesetzt werden könnten wie vielleicht ACE-Hemmer bei Bluthochdruck oder Statine bei erhöhten Cholesterinwerten“, so Prof. Robert Ritzel, Chefarzt der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie der München Klinik Schwabing gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.
Zumal es aus dem Hause Eli Lilly nun ein Medikament mit dem Handelsnamen Zepbound gibt, mit dessen Hilfe Adipositas-Betroffene noch deutlich mehr Gewicht als mit Wegovy verlieren können. Ähnlich wie der dänische Konkurrent Novo Nordisk hatte das US-Pharma-Unternehmen zunächst im Mai 2022 nur ein Diabetes-Präparat unter dem Handelsnamen Mounjaro mit dem Wirkstoff Tirzepatid auf dem US-Markt eingeführt. Wobei das Unternehmen vorab in gleich fünf klinischen Studien den Nachweis erbrachte, dass der Einsatz von Tirzepatid neben der Senkung des Blutdrucks auch eine massive Reduktion des Körpergewichts bewirken konnte. Bei der Zulassung hatten die US-Gesundheitsbehörden auf nahezu identische mögliche Nebenwirkungen wie bei Wegovy hingewiesen. Nach einer Indikationserweiterung darf Tirzepatid inzwischen in den USA als auch in der EU (wo die entsprechende Zulassung als Adipositas-Medikament Ende Dezember 2023 erfolgt war) zum Gewichtsmanagement verwendet werden. Zepbound, das aktuell preislich in den USA mit knapp 1.060 Dollar für die Monats-Ration etwas günstiger als Wegovy angeboten wird, verspricht für Eli Lilly, das zudem in den Staaten Sonderrabatte gewähren möchte, zu einer Goldader zu werden. Es muss wie Wegovy wöchentlich injiziert werden, auch die Dosierung wird schrittweise von 2,5 Milligramm auf maximal 15 Milligramm erhöht. Die Abgabebeschränkungen sind identisch mit Wegovy, sprich es darf in der EU nur für adipöse Erwachsene mit einem BMI-Wert von mindestens 30 oder an Übergewichtige mit einem Body-Mass-Index zwischen 27 und 30 mit einer zusätzlichen gewichtsbedingten Begleiterkrankung verschrieben werden.