Wie definiert man Übergewicht? Wodurch wird es ausgelöst? Und wie wird man die verhassten Pfunde wieder los? Den richtigen Weg zum Normalgewicht kennt Diplom-Oecotrophologin Antje Gahl.
Frau Gahl, ab wann spricht man von Übergewicht?
Von Übergewicht spricht man ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 und darüber. Ab einem BMI von 30 liegt bereits eine Adipositas vor. Der BMI berechnet sich aus Körpergewicht und Körpergröße nach der folgenden Formel: Körpergewicht (in Kilogramm) geteilt durch Körpergröße (in Metern) zum Quadrat.
Ein weiteres Maß für Übergewicht ist der Taillenumfang. Diesen können Sie mit einem Maßband bestimmen, das Sie in der Mitte zwischen den Knochen des Beckenkamms und des untersten Rippenbogens um Ihren Bauch legen. Sie sollten dafür nüchtern sein und vor dem Messen ausatmen. Für Frauen gilt dabei ein Wert über 80 Zentimeter als erhöht, für Männer liegt die Grenze bei 94 cm.
Wie entsteht Übergewicht?
Übergewicht ist hauptsächlich auf eine chronisch überhöhte Energiezufuhr zurückzuführen, verbunden mit einer zu geringen körperlichen Aktivität. Die einfache Verfügbarkeit und der hohe Verzehr energiedichter Lebensmittel und Getränke machen es vielen Verbrauchern und Verbraucherinnen sehr schwer, dauerhaft eine ausgewogene, gesundheitsfördernde Ernährung umzusetzen. Vor allem der übermäßige Verzehr von Fastfood, fett- und zuckerreichen Lebensmitteln sowie zunehmende Portionsgrößen von Lebensmitteln und Mahlzeiten wurden in wissenschaftlichen Studien als besonders ungünstig identifiziert.
Genetik versus Selbstverschuldung: Was sind die überwiegenden Auslöser?
Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle bei der Entstehung von Adipositas. Bislang wurden etwa hundert Gene (Loci) identifiziert, die mit dem Body-Mass-Index in Zusammenhang stehen. Die Funktionen der Gene sowie die biologischen Mechanismen dahinter sind jedoch weitgehend unbekannt. Humanstudien mit einer detaillierten Phänotypisierung beispielsweise aufgrund einer genetischen Vorabanalyse der Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind nötig, um die Wechselwirkungen zwischen genetischen Faktoren und Kostformen auf das Körpergewicht herauszufinden.
Welche Probleme und Krankheiten entstehen durch Übergewicht?
Übergewicht und Adipositas sind ein bedeutender Risikofaktor für zahlreiche chronische Krankheiten, zum Beispiel Herz-Kreislauf- und Stoffwechselkrankheiten. Besteht über einen langen Zeitraum Übergewicht beziehungsweise Adipositas, kann dies die nachfolgenden Auswirkungen mit sich bringen:
• Begünstigung von Bluthochdruck
• Entwicklung einer Fettleber
• Anstieg der Blutzuckerwerte, dies kann sich zu einer Insulinresistenz bis hin zum Typ-2-Diabetes entwickeln
• Entwicklung einer Fettstoffwechselstörung
• Anstieg der Harnsäurewerte mit einer möglichen Gichterkrankung
• erhöhtes Risiko für die Entstehung bestimmter Krebserkrankungen wie Brust-, Dickdarm-, Nieren- und Speiseröhrenkrebs
• übermäßige Belastung von Knochen, Gelenken und des Bewegungsapparates
• psychosoziale Probleme zum Beispiel mangelndes Selbstbewusstsein, soziale Isolation und Diskriminierung
• Nährstoffunterversorgung durch eine unausgewogene Lebensmittelauswahl
Welches sind effektive Wege, um die Pfunde gesund loszuwerden?
Um gesund abzunehmen, muss der Lebensstil dauerhaft verändert werden. Crash-Diäten können zwar kurzfristig helfen, sind aber langfristig schlecht für den Körper. Es kommt weniger darauf an, Mahlzeiten wegzulassen oder abends nichts mehr zu essen. Entscheidend für die Gewichtsabnahme ist immer noch die Energiebilanz am Ende des Tages. Besser auf Zwischenmahlzeiten und Snacks verzichten, statt auf die Hauptmahlzeiten, um Heißhungerattacken zu vermeiden. Aktuell wird zum Abnehmen ein Kaloriendefizit von 500–600 kcal/Tag von der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG-Leitlinie) empfohlen. Damit ist mit einem Gewichtsverlust von circa 0,5 Kilogramm pro Woche zu rechnen. Dabei ist es wichtig, vor allem pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Getreideprodukte, am besten aus Vollkorn, zu sich zu nehmen, denn diese versorgen den Körper mit vielen wichtigen Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen sowie sekundären Pflanzenstoffen. Zu jeder Mahlzeit sollte daher viel Grünzeug auf dem Teller liegen. Am besten drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst. Auch Nüsse sind wertvoll, eine kleine Portion (25 Gramm pro Tag) liefert wertvolle einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Eiweißhaltige Lebensmittel wie Fisch und Milchprodukte machen, ebenso wie volumenreiche Kost, zum Beispiel Salate, Gemüse, Getreideprodukte, länger satt. Wenn es Fleisch sein soll: Lieber fettarmes Huhn, Roastbeef oder Rinderlende anstatt Ente und Schwein, zum Beispiel Fisch oder Hähnchenbrust mit Salat oder gemischter Salat mit Brot.
Bei einer Ernährungsumstellung kann es helfen, sich bestimmte Lebensmittel nicht komplett zu verbieten. Wichtig beim Abnehmen ist immer die Energiebilanz am Ende des Tages. Wer sich also einmal das Stück Sahnetorte gönnen möchte, sollte darauf achten, dass er diese Kalorien bei anderen Mahlzeiten an diesem Tag einspart oder sich eben entsprechend mehr bewegt. Oder versuchen Sie es doch mal mit leichteren Alternativen: eine Beeren-Schichtspeise anstelle von Tiramisu oder einen Pflaumenkuchen mit einem Löffel Schlagsahne statt Marmorkuchen. Die DGE empfiehlt, maximal 50 Gramm freien Zucker, entsprechend weniger als zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr bei einer Gesamtenergiezufuhr von 2.000 kcal/Tag, zu konsumieren.
Neben der Ernährung hat auch die körperliche Aktivität maßgeblichen Einfluss auf das Körpergewicht. Wer seinen Stoffwechsel auf Trab bringt, sorgt dafür, dass der Körper in Ruhe mehr Energie verbrennt. Täglich sollten rund 30 bis 60 Minuten moderate Bewegung in den Alltag eingeplant werden. Es muss niemand zur „Sportskanone“ werden. Wichtig ist, sich täglich zu bewegen, dazu zählt auch Treppen steigen statt Aufzug fahren, öfter mal zu Fuß gehen oder mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Und schließlich ist es wichtig, auf das Sättigungsgefühl zu hören. Gerade beim Essen in Gesellschaft wird dieses oft nicht bemerkt. Wer satt ist, sollte mit dem Essen aufhören, egal wie nett die Runde gerade ist. Man darf übereifrige Gastgeber durchaus freundlich in ihre Schranken weisen: „Bitte füll mir nicht so viel auf, ich habe keinen großen Hunger.“
Stichwort Jo-Jo-Effekt. Wie lässt sich dieses Problem umgehen?
Crash-Diäten sind langfristig schlecht für den Körper, denn eine zu rasche Gewichtsreduktion birgt die Gefahr des Jo-Jo-Effektes. Bei jeder Gewichtsreduktion baut der Körper nicht nur Fett-, sondern auch Muskelmasse ab. Je rascher das Gewicht reduziert wird, desto größer der Verlust an Muskelmasse. Weniger Muskelmasse bedeutet aber auch einen geringeren Energieverbrauch. Wird nach der Gewichtsreduktion die Energiezufuhr nicht dauerhaft angepasst, steigt das Gewicht wieder. Bei einem längeren größeren Energiedefizit stellt sich außerdem ein Hungerstoffwechsel ein. Dieser drosselt den Energieverbrauch und der Appetit wird größer. Um den Jo-Jo-Effekt zu vermeiden, sollte die Ernährung daher langfristig umgestellt werden.
Diäten und Ernährungstrends? Was ist gerade beliebt und verspricht die besten Erfolge?
Zu den aktuellen Ernährungstrends gehören beispielsweise die ketogene Diät, das Intervallfasten und die DASH-Diät. Bei der ketogenen Diät wird auf Kohlenhydrate weitgehend verzichtet und vor allem fetthaltige Lebensmittel wie fettreiche Milch- und Fleischprodukte, Avocados und Nüsse verzehrt. Etwa 70 bis 80 Prozent der aufgenommenen Kalorien stammen dabei aus Fett. Solch eine Ernährung kann nicht als ausgewogen angesehen werden und ist daher nicht empfehlenswert.
Beim Intervallfasten handelt es sich in der Regel um einen zeitlich begrenzten Essensverzicht, der unterschiedliche Formen haben kann, zum Beispiel 16:8 (16 Stunden essfreie Zeit am Tag, nur in den vordefinierten acht Stunden darf gegessen werden). Es kann sich aber auch statt eines Verzichts um eine zeitlich begrenzte, dafür sehr starke Kalorienreduktion handeln, zum Beispiel 5:2 (fünf Tage pro Woche normokalorisch, zwei Tage nur 500 kcal/Tag). Diese Methode kann im Einzelfall sinnvoll sein, ist jedoch nicht für jeden geeignet. Darüber hinaus gibt sie kaum Empfehlungen zur Lebensmittelauswahl, weshalb in der Regel keine Ernährungsumstellung hin zu einer ernährungsphysiologisch günstigen Lebensmittelauswahl stattfindet.
Die DASH-Diät zeichnet sich durch eine salzarme, pflanzlich betonte Ernährung aus und wurde ursprünglich zur Blutdrucksenkung entwickelt. Im Wesentlichen werden Obst, Gemüse, Vollkornprodukte sowie fettarme Milchprodukte verzehrt. Dies deckt sich mit den Empfehlungen der DGE und kann als gesundheitsfördernde, ausgewogene Ernährung bezeichnet werden.
Wunderwaffe: Ozempic. Hilft das Medikament wirklich so gut?
Ozempic und Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid erleben zurzeit in Apotheken und im Internet eine große Nachfrage. Semaglutid ahmt das Darmhormon GLP-1 nach, das an Rezeptoren im Gehirn und im Magen bindet. Die Magenentleerung wird verlangsamt und damit der Appetit verringert. Die Abnehmspritze Wegovy lässt sich bei starkem Übergewicht zum Abnehmen und zur Gewichtskontrolle nach ärztlicher Verschreibung einsetzen. Zusätzlich zur Anwendung ist auch eine angepasste Lebensweise (energiereduzierte Ernährung, mehr Bewegung) notwendig. Um nicht wieder Gewicht zuzunehmen, ist von einer lebenslangen Anwendung auszugehen, wobei die Langzeitfolgen noch nicht genügend erforscht sind. Wegovy hat wie jedes Medikament auch Nebenwirkungen. Am häufigsten treten Kopfschmerzen und Beeinträchtigungen des Magen-Darm-Trakts (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen und so weiter) auf. Zu den selteneren Nebenwirkungen gehören Gallensteine, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und Augenerkrankungen bei Diabetikern. Für den Einsatz bei ein paar überschüssigen (Urlaubs-)Pfunden ist die Abnehmspritze nicht geeignet. Hier überwiegen eindeutig die Nachteile den Nutzen.
Warum wird die Bevölkerung immer dicker, wenn es doch mehr Aufklärung über die Folgen von Übergewicht gibt?
Wie bereits von der DGE und anderen Fachgesellschaften festgestellt, zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass eine alleinige Verhaltensprävention zur Verbesserung der Ernährungs- und Gesundheitssituation in Deutschland nicht zur gewünschten Senkung der Häufigkeit von Übergewicht beziehungsweise Adipositas und ernährungsmitbedingten Erkrankungen auf Bevölkerungsebene geführt hat. Langfristig ist eine abgestimmte Kombination verbindlicher Maßnahmen der Verhältnisprävention im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes sinnvoll, um der Komplexität der Ernährungs- und Gesundheitssituation auf Bevölkerungsebene gerecht zu werden und langfristig eine messbare Veränderung gesundheitsrelevanter Parameter zu erzielen.
Welche Rolle spielen dabei die Lebensmittelindustrie und Konzerne?
Der Konsum und die Produktion von stark verarbeiteten Lebensmitteln nimmt immer weiter zu. In Deutschland stammten laut Berechnungen der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) bereits Anfang der 2000er-Jahre etwa 50 Prozent der gesamten Energieaufnahme von Erwachsenen aus stark verarbeiteten Lebensmitteln. Erwachsene, die viele stark verarbeitete Lebensmittel (Ultra-Processed Foods, UPF) konsumieren, haben wahrscheinlich ein höheres Risiko für Übergewicht, Adipositas, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das zeigen die meisten Studien, die das Team der Arbeitsgruppe „(Stark) verarbeitete Lebensmittel“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in die zweite Vorveröffentlichung zum 15. DGE-Ernährungsbericht einbezogen hat. Im Vergleich zu frischen oder nur minimal verarbeiteten Lebensmitteln tendieren stark verarbeitete Lebensmittel zu einer höheren Energiedichte und enthalten häufig große Mengen an Zucker. Oft verwenden Lebensmittelhersteller dabei andere Zuckerarten oder süßende Zutaten, die mit ihrer kompliziert klingenden chemischen Bezeichnung zum Teil nur schwer als Zucker zu erkennen sind, dies ist dann der „versteckte Zucker“. Zu Zuckern und zuckerreichen Zutaten gehören:
• Saccharose
• Dextrose
• Raffinose
• Glukose
• Fruktosesirup oder Fruktose-Glukose-Sirup
• Glukosesirup, Glukose-Fructose-Sirup oder Stärkesirup
• Karamellsirup
• Laktose
• Maltose oder Malzextrakt/Gerstenmalzextrakt
Eine hohe und häufige Zuckerzufuhr steht im Zusammenhang mit Übergewicht beziehungsweise Adipositas und erhöhten Risiken für zahlreiche mit Übergewicht assoziierte Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen. Daher schließen sich die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG), die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) der Empfehlung der World Health Organization (WHO) aus dem Jahr 2015 an, und sprechen sich für eine maximale Zufuhr freier Zucker von weniger als zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr aus. Die tatsächliche Zufuhr in Deutschland liegt jedoch laut Daten der Nationalen Verzehrstudie II mit 13 bis 13,9 Energieprozent bei 15- bis 80-Jährigen deutlich darüber, wobei Jugendliche und junge Erwachsene die höchste Zufuhr aufweisen.
Was raten Sie persönlich Menschen, die bemüht sind, ihr Gewicht wieder in die richtige Bahn zu lenken?
Stecken Sie sich realistische Ziele.
So wichtig Ziele sind, genauso wichtig ist es, sie nicht zu hochzustecken. Ziele sollten erreichbar sein. Diäten wirken langfristig, sollten deshalb machbar sein und nicht mit Radikallösungen schnelle Erfolge versprechen. Um ein Kilogramm Körperfett abzubauen, müssen rund 7.000 kcal eingespart werden. Das passiert nicht von heute auf morgen.
Verbieten Sie sich bestimmte Lebensmittel nicht komplett, gestatten Sie sich bewussten Konsum. Das Problem an strengen Verboten ist, dass sie schon beim kleinsten Missachten gescheitert sind und das zu Gewissensbissen, Selbstvorwürfen und Frustration führt. Dies ist gar nicht nötig, da im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung kein Lebensmittel komplett aus dem Speiseplan gestrichen werden muss. Genießen Sie einfach in geringeren Mengen, dafür bewusst und mit Freude. Gehen Sie nicht zu streng mit sich um.
Der selbstkritische Blick betont oft vermeintliche Mängel, dabei ist nicht alles schlecht. Führen Sie sich immer wieder vor Augen, was Sie schon erreicht haben und betrachten Sie eventuelle Ausrutscher als Erfahrungen auf Ihrem Weg zu einem Körper, in dem Sie sich wohlfühlen. Fangen Sie einfach an. Jede noch so große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt. Sie müssen nicht von Anfang an alles perfekt machen. Dies kann dazu führen, dass die Motivation sinkt und man sich überfordert fühlt. Suchen Sie sich am besten eine Gewohnheit aus und verändern diese. So können Sie Schritt für Schritt Ihren Alltag umgestalten, hin zu einer gesundheitsfördernden Lebensweise.