Künstliche Intelligenz ist schon lange keine leise Zukunftsmusik mehr, sondern Realität – auch in der Medizin. Im immer bedeutsameren Kampf gegen den Krebs soll sie eine tragende Rolle spielen, betont auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Rund 493.000 Deutsche erkrankten 2020 an Krebs. Das geht aus Schätzungen des Zentrums für Krebsregisterdaten hervor. Das sind zwar weniger Neuerkrankungen als im Vorjahr, dennoch sind die Zahlen der Gesamterkrankten steigend. Das liegt nicht zuletzt an einer immer älter werdenden Gesellschaft. Viel häufiger sind ältere Menschen von Krebs betroffen als junge. „Die Krebsforschung zielt darauf ab, die Erkrankungen zu verhindern oder zu heilen. Durch Fortschritte in Prävention, Früherkennung, Therapie und Nachsorge kommen wir diesem Ziel immer näher“, betont ein Sprecher des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Nachfrage. Die Behandlung und (Früh-)Erkennung von Krebs wird dabei aber zunehmend komplexer. Krebs ist in unserer Gesellschaft die zweithäufigste Todesursache und die am meisten gefürchtete Krankheit. „Allein in Deutschland ist in den kommenden Jahren mit einem Anstieg der Krebsneuerkrankungen von derzeit 500.000 auf 600.000 Fälle jährlich zu rechnen“, so das Ministerium weiter. Der Einsatz neuer Technologien werde somit immer wichtiger.
Eine davon ist Künstliche Intelligenz (KI). Als „bedeutsame Schlüsseltechnologie“ wird sie nicht nur im zuständigen Ministerium, sondern auch von weiteren Experten gesehen. Sie wird zum Beispiel genutzt, um krankheitsbedingte Auffälligkeiten in Gewebeschnitten zu finden und so bei der Diagnose von Krebserkrankungen zu unterstützen. Ebenso kann sie genutzt werden, um den Krankheitsverlauf vorherzusagen oder Tumoren anhand von molekularen Markern zu erkennen. Denn je früher die Krankheit erkannt wird, desto besser ist sie in den meisten Fällen auch zu behandeln. „Gerade bei der Detektion von Mustern in Bildern spielt Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle“, erklärt der Ministeriumssprecher. So erkennen heutzutage Programme zuverlässig den Unterschied zwischen erkranktem Tumorgewebe und gesundem. Dies reicht soweit, dass Algorithmen kleinste Veränderungen von Gewebe in Bildern erkennen, welche mit dem bloßen Auge auch von geschulten Experten nicht in einem so frühen Stadium erkannt werden.
Algorithmen sind in der Lage, schon minimale Veränderungen von Gewebe in einem frühen Stadium zu erkennen
Aber nicht nur bei der Erkennung und Diagnose revolutioniert KI die Krebsforschung. Individuelle Behandlungsoptionen können mit ihr besser geplant und umgesetzt werden. Und am Ende könnte es auch der Schlüssel sein, Krebs bereits vor der Entstehung zu bekämpfen: „Die Möglichkeiten der Datenauswertung durch KI tragen zum Verständnis der Krebsentstehung bei. Daraus können Rückschlüsse gezogen werden, wie Krebs verhindert werden kann“, so das Ministerium. Das BMBF unterstützt die Weiterentwicklung auf diesem Gebiet daher auch mit Projekten, wie beispielsweise dem Projekt „Schwarmlernen und Generative Modelle zur Synthese und Nutzbarmachung hochqualitativer Daten in der Krebsmedizin“ – kurz SWAG, das sich vorranging mit der computergestützten Vorhersage des Krankheitsverlaufs bei Nierenkrebs beschäftigt. Da Nierenkrebs zu den seltensten Krebsarten gehört, gibt es im Moment nur wenige Daten, wie beispielsweise Röntgenaufnahmen oder Computertomografien von Betroffenen. SWAG soll diese Daten miteinander verbinden, ohne dass diese dabei den geschützten Klinikraum verlassen müssen. Ausgetauscht werden sollen also am Ende nur Algorithmen. „Wir werden zeigen, wie synthetische medizinische Bilddaten in einem kollaborativen Ansatz mehrerer Partner durch Schwarmlernen erzeugt werden können“, so Projektleiterin Bettina Baeßler vom Universitätsklinikum Würzburg. Die erzeugten synthetischen Daten sind frei von Datenschutzbeschränkungen und Eigentumsansprüchen von Interessensgruppen. Sie lassen sich dann für die Entwicklung von KI-Algorithmen, die mit echten Daten arbeiten, frei teilen. So sollen die Ergebnisse von SWAG den Bereich der medizinischen KI-Entwicklung maßgeblich vorantreiben.
Auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sieht „großes Potential“ in der Verwendung von KI-Anwendungen im Gesundheitswesen. Doch dafür muss sich auch einiges im aktuell geltenden Recht ändern – Stichwort Datenschutz. „Der Datenschutz in Deutschland muss im Sinne eines „ermöglichenden Datenschutzes“ weiterentwickelt werden, sodass die Daten wirksam gegen Missbrauch gesichert sind und zugleich ihre kontrollierte, auch KI-gestützte, Nutzung für bessere Versorgung und Forschung möglich ist“, teilt das BMG auf Anfrage mit. Das soll mit entsprechenden Gesetzesvorschlägen zur Elektronischen Patientenakte (DigiG) und zur Gesundheitsdatennutzung (GDNG) erreicht werden, die bereits auf den Weg gebracht wurden. Das GDNG ist eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur, die es ermöglichen soll, bisher separat gehaltene Datensätze zu verknüpfen und in pseudonymisierter Form in einer sicheren Verarbeitungsumgebung zu Zwecken der Forschung und Qualitätssicherung zu nutzen. „So können bald Daten aus Krebsregistern mit Versorgungsdaten der Krankenkassen zusammengeführt werden. Auf dieser Grundlage können entsprechend repräsentative Datensätze beispielsweise zur Entwicklung von KI-Anwendungen bereitgestellt werden, wobei eine Identifizierbarkeit von Personen jederzeit ausgeschlossen ist“, erklärt ein Sprecher des BMG.
Dass das BMG große Ziele in diesem Bereich hat, betont auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der im vergangenen Jahr das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg besuchte, das mit KI forscht. Von der Vision Deutschlands als „weltweites Zentrum der Krebsforschung auf Basis von KI“ sprach der Minister. Dafür müsse Deutschland sein Potenzial in den Bereichen KI und Krebsforschung aber besser nutzen. „Mit KI bringe ich künftig jeden Onkologen in einem kleinen Krankenhaus näher an das Wissensniveau eines Spezialisten“, so Lauterbach. „Heute kommt ein Patient mit viel Glück zu einem Spezialisten, der eine gute Versorgung macht. Wenn er Pech hat, landet er bei einem Arzt, der diese Krebsart – fast jeder Krebs ist anders – noch nie behandelt hat.“ Er betont aber auch: „KI wird Ärzten helfen, aber sie nicht ersetzen.“
Daher unterstützte, beziehungsweise unterstützt sein Haus auch in den Jahren 2020 bis 2025 insgesamt 38 Projekte mit 180 Zuwendungsempfängern, um zu erproben, wo KI sinnvoll und nutzbringend für eine verbesserte Versorgung der Patienten eingesetzt werden kann, mit einem Gesamtvolumen von über 180 Millionen Euro. Eines der geförderten Projekte ist das „Skin Classification Project: Smarte Algorithmen zur Unterstützung in der Melanomdiagnostik“ (SCP2) Projekt am DKFZ. Das Ziel des Projekts ist die Weiterentwicklung und Erprobung eines Assistenzsystems, das mithilfe von Künstlicher Intelligenz bei der Diagnostik des Malignen Melanoms („Schwarzer Hautkrebs“) im Klinikalltag unterstützt.
Deutschland war in den vergangenen Jahren nicht untätig im Bereich der Krebsforschung. Unterschiedliche Forschungsergebnisse haben bereits zu erheblichen Verbesserungen in der Forschung geführt, teilweise die Lebenserwartung bestimmter Patienten deutlich erhöhen können. Immuntherapien können dafür sorgen, dass Krebszellen sich nicht vor dem Immunsystem „verstecken“ und eine entsprechende Immunantwort somit blockieren. Die Forschung im Bereich der „Biomarker“, also die Untersuchung gewisser Merkmale, die mit einer Krebsart einhergehen, bietet neue Möglichkeiten zu einer zielgerichteten, individualisierten Therapie. Bestimmten Krebsformen, wie Gebärmutterhalskrebs, die durch ein Virus oder Bakterien ausgelöst werden – in diesem Fall durch das Humane Papillomvirus – können durch Impfungen vorgebeugt werden. Die Präventionsforschung nimmt immer weiter an Fahrt auf. Mit der weiteren Forschung an KI-Anwendungen und dem Schaffen entsprechender (auch rechtlicher) Rahmenbedingungen könnte bald ein neuer Meilenstein in der Forschung erreicht werden. „Künstliche Intelligenz ist eine Revolution, ist ein Durchbruch“, betonte DKFZ-Vorstand Michael Baumann jüngst. „Und daraus können wir Rückschlüsse ziehen, wie wir Krebs verhindern können.“ Vielleicht ein für allemal.