Lange Zeit war die Region Beelitz hauptsächlich zur Spargelzeit in aller Munde, denn das Edelgemüse belebte die Bekanntheit zumindest saisonal. Das ändert sich, denn Beelitz-Heilstätten hat den ersten Baumkronenpfad des Landes Brandenburg.
Kraftvoll vertreibt die Sonne die letzten Spuren des langen Winters, der Frühling hält Einzug am Baumkronenpfad "Baum & Zeit" in Beelitz. Bunte Frühlingsblumen unter altem Baumbestand locken Besucher in die historischen Anlagen. Der Pfad erstreckt sich auf einer Länge von 320 Metern nicht nur über Hunderte von Baumwipfeln, sondern auch über die von Bäumen bewachsenen Ruinen. 7,5 Millionen Euro flossen in die touristische Erschließung des bekanntesten Bereichs der historischen Heilstätten.
Die wohl populärste und eindrucksvollste Attraktion des Wipfelpfads ist der Blick auf den zerstörten und ausgebrannten Frauenpavillon. Er wurde 1945 während der Endkämpfe des Zweiten Weltkriegs stark beschädigt. Auf den Dachresten der Ruine hat sich im Laufe der Jahre eine dicke Humusschicht gebildet. Dort lebt jetzt ein Wald.
Die Bäume sind jedoch nicht so hoch und kräftig wie ihre Artgenossen, die auf natürlichem Waldboden wachsen. Schließlich haben sie für ihr Wachstum nur die ihnen auf dem Dach und im Gemäuer zur Verfügung stehenden Nährstoffe. Üppig ist der Bewuchs trotzdem. Fast sieben Jahrzehnte hatte die Fauna auf dem Dach Zeit, sich zu ihrer heutigen Form zu entwickeln.
Die Besucher können so nicht nur einen ungewöhnlichen Blick in die Baumkronen erhaschen, sondern einen Renaturierungsprozess der ganz besonderen Art verfolgen. In schwindelerregender Höhe ist der Besucher Zeuge, wie die Natur sich den sich selbst überlassenen Gebäudekomplex zurückerobert.
Selbst das Schwingen der Baumkronen im Wind kann man nachempfinden, denn die Stahlkonstruktion federt unter den Bewegungen der Fußgänger mit. Schwindelfrei sein hilft die Einblicke entschädigen aber in jedem Fall für das flaue Gefühl in der Magengegend.
Roman Polanski drehte hier für "Der Pianist
Wie leere Augen starren die unter den Bäumen verbliebenen Fensteröffnungen auf verschiedenen Etagen die Besucher an. Sie geben den Blick frei auf zerstörte Innenräume und tonnenweise Bauschutt. Man kann nur erahnen, wie es früher in den Klinikräumen der prächtigen Jugendstil-Anlagen ausgesehen haben mag.
Es verwundert kaum, dass das über 60 denkmalgeschützte Gebäude umfassende Gelände viele Jahre als Abenteuerspielplatz und Szenerie für alles Mögliche diente. Der verlassene Ort zog vor allem abenteuerlustige Jugendliche, Gruselfans und Partyvolk an. Mangelnde finanzielle Mittel zur Restaurierung und Absicherung sowie Vandalismus trugen ihren Teil zum weiteren Verfall der denkmalgeschützten Anlage bei.
Die interessante Architektur und der morbide Charme des Ortes sind auch heute noch beliebt bei Filmemachern und Fotografen auf der Suche nach sogenannten Lost Places, also verlassenen Orten. Unter anderem drehte Roman Polanski hier Ausschnitte von "Der Pianist". Szenen in "Operation Walküre" mit Tom Cruise sollen ebenfalls hier entstanden sein. Zu eher trauriger Berühmtheit gelangten die Wälder um die Beelitzer Heilstätten zumindest temporär durch grausame Morde an zwei Frauen und einem Säugling.
Seinen Anfang nahm der Gebäudekomplex um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die Bevölkerung Berlins litt unter einer Tuberkuloseepidemie. Wirkungsvolle Medikamente wie Antibiotika gab es noch nicht, die Behandlungsmöglichkeiten waren eingeschränkt. Die von Holz- und Kohlenfeuerrauch durchsetzte Luft tat ihr Übriges. Zur einzigen damals bekannten und weitflächig eingesetzten Therapie zählten Kuraufenthalte an der frischen Luft und gesundes Essen. Man setzte auf die generelle Stärkung der Patienten.
Innerhalb der Stadt boten sich kaum Möglichkeiten, die Bevölkerung vor der hoch infektiösen Krankheit zu schützen und die Erkrankten angemessen gesund zu pflegen. Die Landesversichertenanstalt Berlin kaufte daher von der Stadt Beelitz zunächst etwa 140 Hektar Waldgelände, die sie später aufgrund der hohen Nachfrage nach Therapieplätzen aufstockte.
Beelitz schien der ideale Standort. Es liegt etwa 60 Kilometer von Berlin entfernt und war gut an das Umland und die Hauptstadt angebunden. Mit seiner ruhigen Lage und der sauberen Waldluft bot es die besten klimatischen Voraussetzungen für die Pflege der Patienten.
Gebaut wurde im ersten Bauabschnitt in den Jahren 1898 bis 1902. Zunächst konnten 600 Patienten aufgenommen werden, streng nach Frauen und Männern getrennt. In späteren Jahren erweiterte man die Gebäude bis zu 1.200 Patienten wurden behandelt. Die Heilstätten nahmen nur Erkrankte aus der Arbeiterklasse auf. Der Träger, die Landesversichertenanstalt, wollte die Arbeiter schnellstmöglich wieder in den Arbeitsprozess integrieren, um zu hohe Kosten durch Arbeitsausfälle und mögliche Invalidität zu vermeiden.
Während des Ersten Weltkriegs zog das Rote Kreuz in die Beelitzer Heilstätten ein und versorgte Verwundete. Unter ihnen befand sich 1916 auch Adolf Hitler. Ab 1920 fokussierte der Klinikbetrieb wieder die Behandlung von Tuberkulosepatienten. Auch während des zweiten Weltkriegs dienten die Heilstätten als militärisches Lazarett.
Nach 1945 gehörte das Gebiet zum militärischen Sperrgebiet der Sowjetunion. Es umfasste das größte Militärhospital der sowjetischen Armee außerhalb des Landes. Das Kriegsgeschehen beschädigte die Gebäude zum Teil schwer. Während der Nutzung durch das sowjetische Militär unterblieben Veränderungen an den Gebäuden weitestgehend. 1990 hielt sich der damals an Leberkrebs erkrankte Erich Honecker vorübergehend in den Heilstätten auf.
Nach der Wende wurde das Gebiet samt der Ruinen und intakten Gebäude an die Stadt Beelitz zurück übertragen. Sie sanierte einige der Häuser. Heute werden auf dem Klinikgelände eine neurologische Rehabilitationsklinik, ein Parkinson-Fachkrankenhaus sowie eine Kinder-Rehaklinik betrieben.
Im März 2017 zeichnete das Land Brandenburg das Tourismusprojekt "Baum & Zeit" mit dem Tourismuspreis aus. Diese Anerkennung sowie die positiven Rückmeldungen der über 200.000 Besucher bestätigen die Betreiber in ihrem Vorhaben und spornen sie zur Entwicklung neuer Besuchermagnete an.
Langfristig will der Investor weitere Gebiete des Waldparks für das Großprojekt erschließen. Dabei setzt er auf die Erhaltung des morbiden Charmes der historischen Gebäude. Für den Sommer ist die Eröffnung des ersten Barfuß- und Naturerlebnisparks in direkter Nachbarschaft zum Baumkronenpfad geplant.
Auf dem verzweigt angelegten Wegenetz mit integrierten Barfußwegen können die Füße der Besucher verschiedenste Untergründe erspüren. Sie reichen von Schlamm über feinen Sand, Stroh, Bucheckern und unterschiedliche Steine. Ein Erlebnis der ganz besonderen Art denn wann haben "Stadt-Füße" schon die Gelegenheit, barfuß die Natur zu erkunden?
Aber nicht nur die Füße kommen im Park auf ihre Kosten das Areal bietet viel für Jung und Alt: zum Beispiel Riech- und Tastkästen, Geschicklichkeitsspiele, Spiele für den Teamgeist und die Ausdauer, Klangkugeln, Hörrohre und mehr. Ein Wildkräutergarten lädt zum Entdecken ein.
Nicht nur für Fotografen von Interesse sind verschiedene Führungen und kleinere Wanderangebote im und um das Areal des Baumkronenpfads. Dabei können Besucher beispielsweise auf historischen Pfaden der Beelitzer Heilstätten wandeln. Sie erfahren Lustiges oder Interessantes aus dem Leben der Patienten oder zu den alten Gebäuden. Besichtigt werden können der Badesaal und ein Patientenzimmer im Chirurgie-Gebäude.
Baumfans nehmen an Rundgängen mit Naturführern durch den alten Baumbestand teil und erfahren Wissenswertes aus Ökologie, Heilkunde und aus kulinarischer Sicht.
Hunde sind auf dem Baumkronenpfad nicht erlaubt. Für sie stehen am Eingang zum Pfad Hundehütten sowie Wassernäpfe bereit.
Die Infrastruktur am Barfußpark stellt am Eingangsbereich Schließfächer für Schuhe zur Verfügung. Am Ausgang können sich die Besucher an einer Waschstation die Füße waschen.
An das leibliche Wohl und die Entspannung ist am Baumwipfelpfad genauso gedacht wie beim Barfußpfad. Ein Café mit nahe gelegenem Spielplatz im Eingangsbereich des Parks lädt zur Rast und zum Verweilen ein. Das Angebot umfasst kleine herzhafte und süße Gerichte. Die Betreiber achten nach eigenen Angaben auf regionales und saisonales Angebot. In unmittelbarer Nähe des Geländes finden sich weitere Gaststätten.
Von Heike Pander
Info:
Öffnungszeiten: April bis Oktober täglich 10 bis 19 Uhr. In den Wintermonaten sind die Öffnungszeiten eingeschränkt.
Eintrittspreise: Zwischen 7,50 und 9,50 Euro (nur Baumkronenpfad); Kinder bis sechs Jahre in Begleitung von Erwachsenen frei; ferner können Gruppen-, Jahres- und Kombi-Tickets erworben werden.
Mehr Info zum Baumkronenpfad:
www.baumundzeit.de
Mehr Info zum Barfußpark:
www.derbarfusspark.de