Lange wurden für die unterschiedlichen Einstellungen von Männern und Frauen in Sachen Shopping vor allem Prägungen aus der menschlichen Frühzeit verantwortlich gemacht. Doch inzwischen wird nicht mehr nur die Sammlerin-/Jäger-Theorie vertreten, sondern es gibt modernere Erklärungsansätze.
Was für die meisten Frauen eines der schönsten, geradezu lustvollen Hobbys ist, ist für die überwiegende Mehrzahl der Männer der reinste Horror: stundenlanges Shopping. Laut einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts Allensbach gaben 59 Prozent der teilnehmenden Frauen an, dass ihnen das Shoppen großen Spaß macht, während nur 29 Prozent der Männer diese Ansicht teilten. "Man fragt sich", so die "FAZ" in einem kommentierenden Beitrag, "wie die Ergebnisse wohl ausgesehen hätten, wenn man auch noch ausdrücklich nach dem Kauf von Schuhen gefragt hätte."
Für Frauen ist Shoppen nicht nur ein kommunikatives, sondern ein geradezu sinnliches Erlebnis, das laut einer Studie der University of Michigan vergleichbare Glücksgefühle wie beim perfekten Sex auszulösen vermag. Für die meisten Männer ist Shoppen dagegen nichts anderes als zugreifen, bezahlen und gehen. Laut einer repräsentativen Studie des Marktforschungsinstituts Dr. Grieger & Cie. aus dem Jahr 2015 halten 64 Prozent der deutschen Männer im Alter zwischen 30 und 60 Jahren Shopping für "reine Zeitverschwendung". Daher wünschten sich 80 Prozent der befragten Studienteilnehmer, das jemand anderes, im Idealfall natürlich Frau oder Freundin, ihnen diese lästige Aufgabe abnehmen sollte. Nicht nur der Zeitaufwand wurde von den Männern als nervig angegeben, sondern auch das stressige Warten an der Kasse oder die stickige Luft in den Läden.
Contra: Stickige Luft und Schlange stehen
Die Gründe, warum Männer und Frauen speziell beim Shoppen so unterschiedliche Einstellungen an den Tag legen, wurden lange von der offenbar noch immer prägenden menschlichen Frühzeit abgeleitet. "Männer sind Jäger, Frauen Sammlerinnen. Der Mann", so der bekannte US-Psychologe und Leiter eines eigenen Marktforschungsunternehmens Paco Underhill, "geht in ein Geschäft, sucht nach etwas und verlässt den Laden, so wie er in den Wald geht, um nach Wild zu jagen. Frauen waren im Wald auf der Suche nach Beeren, wenn sie aber auf Nüsse stießen, ließen sie sie nicht einfach links liegen. Es bereitet ihnen auch heute noch Vergnügen, sich auf die Suche zu begeben und die Gunst der Stunde zu nutzen."
Ähnliche Erkenntnisse hatte der Bestseller-Autor Hauke Brost in seinem Buch "Wie Männer & Frauen ticken" veröffentlicht: "Der Mann ging zur Jagd. Er spürte das Wild auf, erlegte es und schleppte es nach Hause. Das war anstrengend genug. Alles andere wäre Zeitverschwendung und hätte den Rest der Herde nur verscheucht." Die Damen waren während seiner Abwesenheit "durch die sonnendurchfluteten Büsche gestreift, haben gekichert und gescherzt, die Kinder geherzt, Beeren gesammelt, hier mal geguckt, da mal geluschert."
Dass die weibliche Vorliebe für das Shoppen vermeintlich nichts anderes sein kann als die moderne Variante des steinzeitlichen Sammlertriebs, hatten bereits 2009 die beiden US-Forscher Daniel Kruger und Dreyson Byker von der University of Michigan in einer im "Journal of Social, Evolutionary und Cultural Psychology" publizierten Studie wissenschaftlich nachgewiesen. Frauen verfügen demnach auch heute noch über Fähigkeiten, die dem Sammeln zuträglich sind, während Männer sich durch Jagdqualitäten auszeichnen. Männern geht es demnach um schnelle Beute, während Frauen seit Urzeiten ein Sammel-Gen in sich tragen, das früher ausschweifendes Streifen durch die Natur und heute durch die Boutiquen mit sich bringt.
In ihrem aktuellen Sachbuch "Why She Buys" bringt die renommierte US-Marketing-Expertin Bridget Brannon einen verwandten Erklärungsansatz für die weibliche Shopping-Vorliebe neu mit ins Spiel: das Kümmer-Prinzip. Demnach kümmere sich die Frau in fast jeder Gesellschaft um die ihr Nahestehenden, sie kaufe nicht nur für sich ein, sondern für praktisch jeden in der Familie. "Frauen stehen hinter 70 bis 80 Prozent der Kaufentscheidungen, ob in der bezahlenden oder beratenden Funktion. Viele Anschaffungen geschehen auf Anraten einer Frau oder platzen, weil sie ein Veto einlegt", so Brannon. Das Shoppen sei demnach ganz eng mit dem Kümmern verbunden, also auch eine ganz emotionale Angelegenheit, die möglichst schnell hinter sich gebracht werden soll.
Auch wenn beim Shopping Nützlichkeits- oder Dringlichkeitsüberlegungen längst keine wesentliche Rolle mehr spielen. Laut einer im März 2017 veröffentlichten, im Auftrag von Greenpeace erstellten Studie gaben 40 Prozent der 1.015 befragten Frauen an, dass sie sich regelmäßig zu Shopping-Touren aufmachten, obwohl sie eigentlich gar nichts Zusätzliches für den Kleiderschrank brauchten. Was damit erklärt wird, dass die Frauen sich wahrscheinlich positive Emotionen vom Shoppen versprechen: "Mehr als die Hälfte der Frauen geht shoppen, um sich aufzumuntern. Die jeweils geshoppte Kleidung steigert das Selbstwertgefühl von 54 Prozent der Frauen. Fast jede Dritte kann mit Shopping Stress abbauen. Und für 40 Prozent wäre das Leben ohne Shopping schlichtweg weniger spaßig. 39 Prozent der Frauen verschafft shoppen zu gehen einen regelrechten Kick und ein Gefühl von Erfülltheit. Beides hält jedoch nur wenige Stunden bis maximal einen Tag an und verfliegt dann wieder. Wem das Shopping-Erlebnis einen emotionalen Kick verleiht, der shoppt in der Regel häufiger und gibt mehr Geld aus."
Jede vierte Frau ist "Häufig-Shopperin"
Durchschnittlich gibt eine deutsche Frau laut Greenpeace an statistisch insgesamt 2,4 Tagen pro Monat rund 96 Euro für Kleidung, Schuhe, Taschen und Accessoires aus. "Häufig-Shopper", zu denen jede vierte Frau zählt, verbringen wesentlich mehr Zeit auf ihren Touren und geben im Schnitt 130 Euro für neue Klamotten & Co. aus. Wenn dann auch noch verführerische Angebote oder Rabatte hinzukommen, kann die Versuchung zusätzlich geschürt werden. Der gleiche Effekt wird Promi-Vorbildern in sozialen Medien wie Instagram oder Facebook zugeschrieben. "Ein Großteil der deutschen Frauen", so die Greenpeace-Studie, "zwischen 18 und 40 Jahren hat eigenen Angaben zufolge mehr im Kleiderschrank als benötigt. 60 Prozent besitzen zu viel Kleidung, gefolgt von 50 Prozent, die angeben, zu viele Paar Schuhe zu besitzen. Und auch bei Taschen und Accessoires haben 45 Prozent der deutschen Frauen zwischen 18 und 40 Jahren deutlich mehr als benötigt."
Auch negative Emotionen, speziell Angstgefühle, können Shopping-Süchte zusätzlich schüren. Das belegt eine im Januar 2017 in "ScienceDirect" veröffentlichten Studie kanadischer Psychologen auf der Basis von 437 weiblichen und männlichen Teilnehmern. Beim Einkaufen können demnach ängstliche Menschen optimal Stress abbauen, sich von Grübeleien über den eigenen Seelenzustand ablenken, weil sie sich ganz mit ihrem Äußeren befassen können. Allerdings neigen besonders ängstliche Charaktere demnach dazu, weit mehr als nötig auszugeben oder gar einen Kaufzwang zu entwickeln.
Schließlich kann die weibliche Shopping-Vorliebe auch als Produkt oder Folge früher weiblicher Emanzipation angesehen werden. Laut der US-Psychologin Polly Young-Eisendrath boten die großen amerikanischen Warenhäuser wie Macys in New York oder Altmans den Damen der amerikanischen Mittelschicht vor 100 Jahren dank des Aufkommens der Ready-to-Wear-Linien erstmals die Möglichkeit, sich nicht mehr nur ein- oder zweimal im Jahr mit Klamotten einzudecken, sondern häufiger. "Warenhäuser und Frauen hatten beide ihren Anteil daran, dass sich die Einkaufskultur änderte und Frauen offen dazu ermuntert wurden, den eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu folgen", so Young-Eisendrath. Das war damals gleichzeitig auch in Europa zu beobachten. Frauen genossen das freie, selbstbewusste Flanieren in der Öffentlichkeit ohne männliche Begleitung.
Peter Lempert