Das große Dilemma der Transplantationsmedizin ist der große Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage. Zu vielen Patienten, die auf ein Organ warten, stehen zu wenige Spender gegenüber.
Laut Statistik der Stiftung Eurotransplant warteten im Jahr 2017 in Deutschland 7.620 Patienten auf eine Niere, 1.044 auf eine Leber, 703 auf ein Herz. Dem gegenüber standen lediglich 769 Spender in Deutschland, ein historischer Tiefstand. Allein durch eine höhere Spendenbereitschaft in anderen europäischen Ländern, allen voran Spanien, kann der deutsche Bedarf im acht-Länder-Verbund der Verteilungsorganisation Eurotransplant geringfügig ausgeglichen werden. Wir importieren Organe, und trotzdem reicht es hinten und vorne nicht.
Warum ist das so? Viele vermuten als Grund für den Notstand mangelnde Spendebereitschaft in Folge des Organspende-Skandals von 2012. Damals konnten Patienten durch Bestechung auf der Warteliste nach oben wandern. Doch die Vermutung ist falsch. Die Spendebereitschaft ist sogar leicht gestiegen. Einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge stehen 84 Prozent der Deutschen der Organ- und Gewebespende positiv gegenüber, fünf Prozent mehr als 2010. Der Anteil der Befragten, der angab, einen Organspendeausweis zu besitzen, nahm von 2008 bis 2018 von 17 auf 36 Prozent zu.
Doch Ärzte entnehmen immer weniger Organe. Warum? Weil die Entnahmekliniken einen immer kleineren Anteil der möglichen Organspender melden. Dies haben Mediziner um Kevin Schulte und Thorsten Feldkamp vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in einer umfassenden Studie herausgefunden, die sie im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten. Danach sei in Deutschland nicht nur die Spendebereitschaft, sondern auch die Zahl der medizinisch möglichen Organspender gestiegen: von 2010 bis 2015 um 13,9 Prozent. Im selben Zeitraum sei aber die Anzahl der realisierten Organspenden um 32,3 Prozent zurückgegangen. Im Jahr 2015 zum Beispiel gab es in Deutschland 925.500 Todesfälle. Davon wären laut Schulte und Feldkamp 27.258 medizinisch gesehen für eine Organspende infrage gekommen. Selbst mit nur 10 Prozent Einverständnis wären dies 2.700 Spender gewesen. Aber nur 877 Organspenden wurden tatsächlich durchgeführt.
Dahinter stecken Probleme in der Infrastruktur. Entgegen vieler Vorurteile ist Transplantationsmedizin für viele Kliniken kein gutes Geschäft, insbesondere bei der Organentnahme legen viele drauf. Es herrschen vielerorts Personalmangel und finanzielle Engpässe. Kurz: Es sind derzeit viel mehr Deutsche zur Organspende bereit und medizinisch geeignet, als tatsächlich einer Organentnahme zugeführt werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will jetzt dagegen etwas unternehmen. Mehr dazu auf Seite 18.