Erstmals seit zehn Jahren werden wieder vermehrt Firmen in Deutschland pleite gehen, sagt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Dabei können Unternehmer vieles retten, wenn sie früh reagieren, sagt Franz Abel, der mehr als 300 Firmeninsolvenzen betreute.
Herr Abel, beim Thema Insolvenz zucken die deutschen Wirtschaftsmanager regelmäßig zusammen, ganz im Gegensatz zum Ausland. Dabei können Unternehmen in einer Krise doch durchaus gerettet werden, wie Sie vielfach gezeigt haben. Woran liegt’s?
Der Gesetzgeber stellt mittlerweile eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, ein in Schieflage geratenes Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Vor allem nach der Bankenkrise ist in diesen Bereich Bewegung gekommen wie mit dem 2013 verabschiedeten ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen). Trotzdem haftet dem Thema Insolvenz in Deutschland ein Negativ-Image an. Stellen Sie sich vor, im Lebenslauf eines Unternehmers stünde erfolgreiche Insolvenzabwicklung. Im Gegensatz zu den USA hätte er sicherlich ein Problem, hierzulande eine neue Stelle als Manager zu bekommen.
Also alles halb so schlimm, wenn es zum Beispiel heißt „Unternehmen pleite – 200 Arbeitsplätze weg"?
Sie könnten es ja auch positiv ausdrücken: „Unternehmen zukunftssicher gemacht – 400 Arbeitsplätze gerettet". Unser Blick ist immer auf die Zukunft gerichtet. Wir wollen ein in die Krise geratenes Unternehmen nach vorne entwickeln, es auf solide Beine für die Herausforderungen der Zukunft stellen. Dass so etwas Spuren hinterlässt, ist nun einmal so, sprich Arbeitsplatzabbau. Aber wenn wir zum Beispiel ein Unternehmen sanieren, eine echte Zukunftsperspektive aufzeigen und die Hälfte der Arbeitsplätze erhalten, dann ist das doch unbestritten die bessere Lösung als irgendwann den Betrieb „an die Wand zu fahren" und alles zu verlieren. Zugegebenermaßen fällt mir das Verkünden vom Arbeitsplatzabbau auch nicht leicht, zumal persönliche Schicksale und viele Emotionen damit verbunden sind.
Im Klartext: Auf Einzelschicksale wird keine Rücksicht genommen, oder?
Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Auch in einem im Insolvenzverfahren befindlichen Unternehmen gelten die Grundsätze des Arbeitsrechts, insbesondere die Sozialauswahl wie Betriebszugehörigkeit, Alter und so weiter.
Zur Überbrückung werden für drei Monate Insolvenzgelder gezahlt. Letztere stammen übrigens nicht aus Steuergeldern wie fälschlicherweise vielfach behauptet wird. Alle Unternehmen in Deutschland zahlen in eine Insolvenzversicherung ein, deren Auszahlung die Bundesagentur für Arbeit überwacht und managt. Meine Erfahrung zeigt: offen und ehrlich kommunizieren gegenüber allen Beteiligten – und dies ist Grundlage meines Handelns. Dazu zählen Gewerkschaften und Betriebsrat, Belegschaft sowie Gläubiger und Gesellschafter. Ob nun Insolvenzverfahren oder Schutzschirmverfahren: Bei jedem Mandat nehmen wir alle Beteiligten von Anfang an mit ins Boot. Nur so können wir aufgrund der dringend gebotenen Zeit gemeinsam tragfähige Lösungen erarbeiten. Deshalb ist es so wichtig, dass kompetente und erfahrene Personen im Gläubigerausschuss vertreten sind, um ideologische Grabenkämpfe oder nicht umsetzbare Einzelinteressen zu vermeiden. So hart es klingt, aber Einzelschicksale sind leider nicht immer zu vermeiden. Das kann durchaus tränenreich sein, wenn langjährige verdiente Mitarbeiter gehen müssen. Wenn im laufenden Sanierungsverfahren alle fair miteinander arbeiten, sind sozialverträgliche Lösungen aber oftmals machbar.
Friede, Freude, Eierkuchen herrscht trotzdem nicht. Wenn Sie gerufen werden, ist es oftmals schon zu spät. Was können Unternehmer besser machen?
Vorsorge ist die beste Therapie. Unternehmenslenker brauchen ein mit Zahlen unterlegtes Frühwarnsystem und sie müssen daraus rechtzeitig die richtigen Schlüsse ziehen. Dazu gehören zum Beispiel Kenntnisse über die Marktentwicklung, Controlling samt Analysefähigkeit und eine Zukunftsstrategie. Wo soll mein Unternehmen in fünf bis zehn Jahren stehen? Wer nur auf kurzfristige Änderungen am Markt reagiert, handelt meist kurzsichtig. Es ist wie bei einem Autorennen. Die erste Kurve schaffen Sie noch mit 200 km/h, dann geraten Sie ins Schlingern und bei der nächsten Kurve fahren Sie gegen die Wand. Um im Sprachbild zu bleiben: Ein umsichtiger Arzt schaut bei einer schwerwiegenden Krankheit ja auch auf die anderen Organe, den allgemeinen Gesundheitszustand und die Verträglichkeit der vorgeschlagenen Therapie beim Patienten. Das Ganze im Blick, dem Kranken ehrlich sagen, woran er ist, und vor allem an die Einsicht des Managers appellieren, das ist das Geheimnis.
Leider ist die Sanierungsdenke in Deutschland noch nicht so ganz verbreitet. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Ein modernes Insolvenzverfahren ist nichts Ehrenrühriges und den Mut dazu zu haben, eröffnet dem Unternehmen ganz neue Perspektiven. Hier appelliere ich auch an die vielen Steuer- und Wirtschaftsberater, aber auch an die Banken. Sie sind nah dran an den Unternehmen und verfügen über das notwendige Zahlenmaterial. Es ist kein guter Rat, aus Angst, sein Mandat zu verlieren, die wirtschaftlichen Folgen bestimmter Entwicklungen dem Unternehmer nicht objektiv aufzuzeigen oder lediglich im eigenen Interesse weitere Sicherheiten einzufordern.
Wieso sind die handelnden Personen denn so uneinsichtig?
Klein- und mittelständische Unternehmen tun sich besonders schwer. Oftmals sind Geschäftsführer in den Unternehmen groß geworden, kennen kaum einen anderen Betrieb von innen und sind mit den Mitarbeitern persönlich eng verbunden. Dann fallen knifflige Personalentscheidungen oftmals schwer. Die wirtschaftspolitische Lage mit Zöllen, Handelsembargo, der demografische Wandel einhergehend mit Fachkräftemangel, die Digitalisierung und der technologische Wandel bis hin zum Verschwinden ganzer Branchen erschweren das Lenken eines Unternehmens ungemein.
Meine Erfahrung zeigt aber auch, dass selbst bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Hälfte der Unternehmen noch sanierungsfähig ist. Allerdings sind bei den handelnden Personen nur zehn Prozent auch sanierungswürdig. Uneinsichtigkeit oder Beratungsresistenz sorgen dafür, dass solche Betriebe keine Zukunft haben. Ein Gesellschafterwechsel und Austausch der Geschäftsführung sind unabdingbar.
Es gibt also einen sanierungsfähigen Bestand von 50 Prozent und es ist in der Praxis auch so, dass in 75 Prozent der Fälle neue Gesellschafter beziehungsweise Investoren in der laufenden Sanierungsphase auf uns zukommen. Die Wettbewerber kennen halt ihren Markt. Bei der Suche nach neuen Gesellschaftern schlagen natürlich Private Equity Unternehmen auf mit dem Ziel, wenig zu bezahlen und zum höchstmöglichen Preis möglichst kurzfristig wieder zu verkaufen. Wer letztendlich zum Zuge kommt, wird von uns aber mitentschieden.