Das eigene Kind zu verlieren, ist wohl das Schrecklichste, was Eltern passieren kann. Der Verein Sterneneltern Saarland hilft Betroffenen, deren Kind vor oder nach der Geburt gestorben ist.
Als Sandra Kern in der 31. Schwangerschaftswoche zur Routineuntersuchung zu ihrem Frauenarzt ging, deutete nichts auf die kommende Tragödie hin. Statt im Ultraschall das pochende Herzchen ihres Sohnes zu sehen, war da nichts. Kein Herzschlag. Kein Lebenszeichen.
Die damals 30-Jährige musste in die Klinik, die Geburt wurde eingeleitet. Während die Wehen einsetzten, dachte sie über die Bestattung nach. Kurze Zeit später brachte sie ihr totes Kind zur Welt. Ärzte und Klinikpersonal ließen die junge Frau das tote Kind im Korb vom Kreißsaal zu Frauenstation tragen, schickten sie wenig später nach Hause.
„Es gab nur wenig Zeit, mich von meinem Kind zu verabschieden, mich mit der schrecklichen Situation auseinanderzusetzen. Erst der Bestatter fragte mich, ob ich denn irgendein Andenken an mein Kind haben möchte? Aber was? Vielleicht Fotos oder ein Gipsabdruck von den Füßchen und Händchen. Zuerst zögerte ich, dann waren mein Mann und ich froh, dass uns auf diese Weise ganz wertvolle Erinnerungsstücke an unseren Sohn Raphael ermöglicht wurden."
Die Zeit nach der Beerdigung war für das junge Paar schwierig. „Zuerst dachte ich, ich stehe ganz alleine da. Ich hatte auch viele Ängste. Was sage ich den Nachbarn, wenn sie fragen, was passiert ist? Ich hatte dazu keine Kraft, wollte nicht erklären, wie es mir geht." Sandra Kern zog sich zurück, wollte noch nicht mal mehr einkaufen gehen. „Mein Mann musste stark sein. Er hat funktioniert. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte. Er musste arbeiten, musste bei der Krankenkasse anrufen und sagen, dass unser Kind gestorben ist und sich auch um unsere eineinhalb Jahre alte Tochter kümmern. Das war alles sehr hart für uns." Während Sandra Kern liebevolle Erinnerungsstücke an ihren Sohn hat und an seinem Grab wenigstens einen Ort, an dem sie trauern kann, ist Rebecca Körner nach einer Fehlgeburt nichts von ihrem ungeborenen Kind geblieben. Die damals 33-jährige Hautärztin aus Berus erzählt: „Ich habe mein Kind in der neunten Schwangerschaftswoche verloren, ‚ein verhaltener Abort‘ sagt man dazu. Ich wurde ausgeschabt und am nächsten Tag nach Hause entlassen". Im Krankenhaus hat man ihr nicht gesagt, was mit dem Fötus passiert.
„Ich hatte viele Ängste"
Laut Gesetz werden Föten unter 500 Gramm nicht bestattet, sie landeten früher oft im Klinikmüll. Als vor rund 20 Jahren bekannt wurde, dass in der Berliner Charité Föten zu Granulat für den Straßenbelag verarbeitet wurden, gab es einen lauten Aufschrei, und eine neue Verfahrensweise wurde in Gang gesetzt. Mittlerweile gibt es in vielen Kliniken sogenannte Fötensammelbestattungen auf einem extra angelegten Friedhofsbereich. Rebecca Körner und ihr Mann wurden darüber nicht informiert. Sie weiß bis heute nicht, ob die Klinik ihren Fötus würdevoll bestattet hat. Als Sandra Kern anfing, sich mit dem Tod ihres Sohnes auseinanderzusetzen, hat sie Hilfe gesucht und eine Facebook-Gruppe ins Leben gerufen. „Schnell habe ich gemerkt, dass der persönliche Kontakt mit den betroffenen Eltern wichtiger ist als der Austausch über Facebook. Ich habe dann 2017 die Selbsthilfegruppe Sterneneltern Saarland gegründet und ein erstes Treffen in der Hebammenpraxis in Schwalbach organisiert. Ein Jahr lang haben wir uns dort mit einer Handvoll Betroffener regelmäßig ausgetauscht" Aus der Selbsthilfegruppe wurde 2018 ein eingetragener Verein Sterneneltern e.V. „Seit September 2019 treffen wir uns in unseren neuen größeren Räumlichkeiten im Clubheim des Radsportvereins Schwarzenholz in der Hohlstraße 61a. Unser neues Heim ist behaglich eingerichtet, und es gibt mittlerweile zwei Gesprächskreise. Einer für Frauen, die nach ihrem Sternenkind noch einmal schwanger sind oder es werden wollen und viele Ängste mit sich herumtragen. Ein zweiter Gesprächskreis kümmert sich um Familien in der akuten Notsituation."
„Hierfür haben wir ganz neu ein spezielles Notfallteam ins Leben gerufen, das als Ansprechpartner in Kliniken betroffenen Eltern zur Seite steht", erzählt Rebecca Körner. „Wir stellen Kleidung für das tote Kind zusammen, kümmern uns um einen Fotografen, der Fotos macht, wenn das gewünscht wird, oder nehmen Hand oder Fußabdrücke in Gips vor. Außerdem bieten wir kleine Armbändchen für Eltern an, die sie ihrem toten Kind ums Handgelenk binden oder mit ins Grab legen können, und von dem die Eltern ein gleiches Bändchen für sich aufbewahren können. Für Geschwister überreichen wir ein Kinderlehrbuch, damit sie verstehen, was mit dem erwarteten Nachwuchs passiert ist."
Zerstörtes Familienglück
Mit seinem Notfall-Team steht der junge Verein noch am Anfang. „Viele Ärzte der Kliniken kennen uns nicht und können deshalb betroffenen Eltern nichts von unserem Hilfsangebot erzählen. Doch wir arbeiten daran, uns bekanntzumachen", erklärt Sandra Kern, die auch Flyer für Frauenarztpraxen ausgearbeitet hat. Da mehr Frauen als Männer die Gesprächsangebote der Selbsthilfegruppe nutzen, denken Sandra Kern und Rebecca Körner darüber nach, eine spezielle Männergruppe ins Leben zu rufen. „Männer trauern anders als Frauen. Ihnen wollen wir eine Möglichkeit geben, unter ihresgleichen über Gefühle, Ängste und Sorgen zu sprechen. Viele Partnerschaften zerbrechen an der Trauer oder an der unterschiedlichen Art der Trauerbewältigung. Das muss nicht sein, da sehen wir Handlungsbedarf."
Das Engagement des Vereins hat auch die Firma Prowin überzeugt. Deshalb war Sterneneltern e.V. auf der Prowin Charity-Gala 2018 einer der Vereine und Projekte, die mit 10.000 Euro unterstützt wurden.
Im Saarland müssen pro Jahr mindestens 50 bis 60 Eltern den Tod eines ungeborenen Kindes betrauern. Dazu kommen die Eltern, bei denen Fehlgeburten das geplante Familienglück zerstört haben. „Saarlandweite Zahlen konnten wir nicht ermitteln, aber ein Seelsorger hat uns erzählt, dass allein im Raum Saarlouis pro Jahr rund 300 Frauen Fehlgeburten erleiden. All diesen Frauen und Männern möchten wir beistehen und unsere Hilfe anbieten, damit sie nicht in ihrer Trauer stecken bleiben." Dass das gelingen kann, dafür sind Sandra Kern und Rebecca Körner gute Beispiele. Beide gehen mit großer Offenheit mit ihrem Schicksal um und reden von ihren Sternenkinder in großer Selbstverständlichkeit. So antwortet Sandra Kern auf die Frage, wie viele Kinder sie habe: „Zwei Mädchen, fünf und drei Jahre, einen drei Monate alten Sohn und ein Sternenkind." Rebecca Körner sagt: „Ich habe zwei Jungs, zwei und vier Jahre alt, und ein Sternenkind." So hat jedes Kind seinen Platz und ist unvergessen.