In diesem Jahr können Touristen die Blütenpracht der Kamelien im Tessin wegen Corona nicht bewundern – aber sich mit diesem Ausblick auf nächstes Jahr freuen.
Die Kamelie ist gut fürs Auge und für das Herz", sagt Daniele Marcacci. Der Chefgärtner von Locarno mit dem auffälligen Kinnbart hat den „Parco delle Camelie" gestaltet. Beim alljährlichen Kamelienfest drängeln sich Kenner und Liebhaber der Kamelie an den blütenreichen Sträuchern entlang.
In dem Park mit seinen 950 Kamelienarten bestaunen die Gäste aus aller Welt das Blütenmeer – von rosa bis rot, von creme-weiß bis gelb. Der Kamelienpark in Locarno grenzt direkt an den Lago Maggiore. Der Bergsee leuchtet in einem majestätischen Blau.
Solche Seeblicke kerben sich in das Gedächtnis des Tessin-Reisenden ein. Die Sonne scheint sowieso, denn das Tessin gilt als sonnenreichster Kanton der Schweiz. Dieses milde Klima und die eher sauren Böden lassen die Kamelien auf der Südseite der Alpen gut gedeihen.
In Locarno gehört die Kamelienzucht seit Langem zur Tradition. „Die älteste Kamelie in der Stadt ist mindestens 150 Jahre alt", erzählt Manfred Walder von der Schweizer Kamelien-Gesellschaft und versichert: „Der klassische Kamelienliebhaber ist ein sympathischer Mensch."
Auch für Rito Eisenhut spielt die Kamelie eine große Rolle im Leben. Der Schweizer Pflanzenzüchter bewirtschaftet am Monte Gambarogno auf der anderen Seite des Lago Maggiore den „Parco Eisenhut". Der Tessiner hat den Park nach dem Tod seines Vaters übernommen – ein Pflanzenparadies mit dazugehörigem Panoramablick auf den Lago Maggiore.
Panoramablick auf den Lago Maggiore
Schmale Wege führen durch den urwaldartigen Garten in Hanglage. Auf 17.000 Quadratmetern wachsen die unterschiedlichsten Pflanzen. Vor allem Magnolien, Rhododendren, Zitrusbäume – und natürlich auch Kamelien. „Am liebsten würde ich meinen Park vergrößern, um noch mehr seltenere Arten pflanzen zu können", meint Rito Eisenhut. Allerdings ist die Vielfalt der Pflanzen jetzt schon so groß, dass der Park als botanischer Garten gilt.
Ob in professionellen Parks oder privaten Vorgärten: Im Tessin beginnt die Frühjahrsblüte früher als sonst wo in der Schweiz. Dabei erfreut sich der botanisch flexible Reisende nicht nur an den Kamelien, sondern ebenso an anderen Frühblühern wie Azaleen, Mandel- oder Zitronenbäumchen. Hauptsache, nach dem Winter wird das Gefühl von Frühling und Süden geweckt.
Bei der anmutigen Kamelie denken die meisten wohl an die „Kameliendame", den berühmten Roman von Alexandre Dumas. Eine Blüte aus der Halbwelt, voller Anmut, aber nur von kurzer Dauer. Schnell verwelkt sie, dafür bildet sie ein Übermaß an Knospen. Ihre Ausstrahlung ist von Eleganz und Harmonie, doch zumeist ohne intensiven Duft. Beim Anblick der verwelkten Blütenblätter kommt ein Hauch Vergänglichkeit auf.
Um 1900, also zur selben Zeit, als die Schauspielerin Sarah Bernhardt Welterfolge als Kameliendame feierte, wurde Ascona, gleich neben Locarno, zum Treffpunkt der Lebensreformer. Auf dem legendären Monte Verità trafen sich Künstler, Aussteiger und Theosophen. Mitten in der damals bäuerlich geprägten Gesellschaft lebten sie auf dem „Berg der Wahrheit" in der Aura des Besonderen.
Heute thront auf dem Berg ein elegantes Bauhausgebäude, ein Hotel. In seinem Garten wachsen Kamelien. Gleich daneben überrascht eine Teeplantage. „Die Teepflanze ist nichts anderes als eine Kamelienart", erklärt Corinne Denzler, die Herrin des Kamelienhains.
Asiatische Exotik empfängt den Gast. Eine japanische Steinlaterne steht mitten in den Reihen der Teeplantage. „Dank eines besonderen Mikroklimas ernten wir von den 1.200 Pflanzen zwei Kilo Tee", sagt Corinne Denzler. Im einzigen Teegarten der Schweiz wird die Ernte von Hand gerollt und in 20-Gramm-Päckchen verkauft.
Steiler Wanderweg zum Künstlerdorf
Auch am Luganer See im Süden des Tessins blühen die Kamelien. Im beschaulichen Dorf Morcote wird der Kamelien-Tourist schnell fündig: im „Parco Scherrer". Dieser Garten am Hang mit dem prächtigen Seeblick erweist sich als Mix aus orientalischen und exotischen Pflanzen. Der Gartenbegründer gesellte in den 1930er-Jahren Kunstwerke dazu, die er aus verschiedenen Ländern und Kulturen mitgebracht hatte.
Wer sich auf dem steilen Wanderweg mit gefühlt Tausenden von Treppenstufen nach oben wagt, gelangt in das Künstlerdorf Carona. Hermann Hesse und Bertolt Brecht weilten einst hier. Auf 600 Meter Meereshöhe sprießen im Garten der Villa Carona Palmen, Bananenstauden, Glyzinien und mächtige Kamelien. Cornelia Deubner-Marty schneidet einige Zweige ab und schmückt damit das Foyer ihres Familienhotels, ein Patriziergebäude aus dem 18. Jahrhundert. „Zu einem historischen Hotel passt ein üppiger Garten", sagt die Schweizerin. In einer Atmosphäre zurückgezogener Glückseligkeit sitzen die Gäste auf Sesseln im Giardino – im Angesicht einer blühenden Kamelie.
Zur Ortschaft von Carona gehört der botanische Garten San Grato. Natürlich wachsen auch dort Kamelien, dazu Azaleen, Rhododendren und Koniferen. Zwischen den Pflanzen sind Kunstwerke platziert. Doch das erhabenste Gefühl hat der Besucher im Parco San Grato, wenn er in die Tiefe blickt – auf den von Bergen umgebenen Luganer See.
Keine Reise ins Tessin ohne einen Besuch in einem typischen „Grotto". In so einem rustikalen Ausflugslokal wird auf Steintischen Risotto, Polenta und Tessiner Platte mit Wurst und Käse aufgetischt. Wenn die Frühlingssonne mitmacht, sitzt und isst der Gast draußen im Garten, wo sicherlich eine Kamelie blüht. Ein blumiger Moment im Tessin für Bauch, Auge und fürs Herz.