Mehr Sicherheit und Akzeptanz in Sachen Datenschutz und endlich auf Augenhöhe mit dem Silicon Valley sein: Diese Vision einer europäischen Cloud-Plattform zerschellt derzeit am Klein-Klein der EU. Klassisches Silodenken behindert den Traum von Europas digitaler Souveränität.
Große Worte, nichts dahinter? Wenn es um die digitale Souveränität Europas geht, mangelt es nicht an guten Vorschlägen und Vorsätzen aus der Politik und der EU-Kommission. Die europäische Cloud-Infrastruktur Gaia-X, das Gesetz für digitale Dienste Digital Services Act als eine Art Plattformgrundgesetz, Station F als größter Start-up-Campus der Welt in Paris oder die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Künstlichen Intelligenz stehen beispielhaft für das Bemühen Europas, allen voran Deutschlands und Frankreichs, den digitalen Rückstand gegenüber den USA und China aufzuholen. Doch die europäische digitale Realität sieht anders aus. Als zu langsam, zu kleinteilig, zu wenig nutzerorientiert und zu überreguliert bemängeln Vertreter der IT-Branche die Bemühungen Europas, den digitalen Anschluss zu erreichen.
Wie Europa dennoch die Kurve kriegen könnte, darüber diskutierten Mitte Januar Nadine Schön, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Henri Verdier, von Emmanuel Macron eingesetzter französischer Botschafter für Digitalisierung, und Ulrich Wilhelm, bis Ende Januar Intendant des Bayerischen Rundfunks, im Netzwerk der universitären Frankreich- und Frankophoniezentren in Deutschland unter der Moderation von Andreas Noll von der Deutschen Welle. Der digitale Funke müsse dabei vor allem vom deutsch-französischen Motor auf Europa überspringen, betonte die Botschafterin Frankreichs in Deutschland, Anne-Marie Descôtes, in ihrem Grußwort. Die verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der neuen Technologien, die Cybersicherheit und die Verteidigung demokratischer Werte in der digitalen Welt seien die größten Herausforderungen. Die jüngste Entwicklung in den USA mit den Präsidentschaftswahlen habe gezeigt, wohin Missachtung von Demokratie und Freiheit sowie die Verbreitung von Fake News in den sozialen Netzwerken führen könne.
Mehr Gründer, mehr Risikokapital
Doch was läuft in Europa schief? Warum suchen junge talentierte Fachleute ihr Glück vor allem im Silicon Valley? Entgegen aller Unkenrufe gilt Europa als Wirtschaftsmacht, als Anker demokratischer Werte, als finanzstark und verfügt über gut ausgebildete junge Menschen mit Erfahrung und gute Unternehmensstandorte. Aber es fehlt an einigen Ecken. „Wir brauchen mehr Gründerkultur und auch mehr Risikokapital", nennt Nadine Schön zwei der Gründe. Henri Verdier, der selbst unternehmerische Verantwortung im IT-Bereich hatte, sieht die Bezahlung der Topleute als Schwachpunkt. „Wenn wir beim Geld an unsere Grenzen gegangen sind, haben Google & Co. einfach mal das Gehalt verdoppelt. Da können wir nicht mithalten."
Ulrich Wilhelm stellt vor allem das Silodenken in Europa an den Pranger. Leider herrsche durchgehend das Ressortdenken vor, ob in der EU, auf nationaler Ebene der jeweiligen Staaten und selbst unter den Bundesländern. Jeder reguliere in seinem eigenen Bereich. „Für das große Ganze müssten wir in Europa ein gemeinsames länderübergreifendes Ziel formulieren und die durchaus vorhandenen Kapitalgeber, zum Beispiel über die zentrale Börse in Frankfurt mit eigenen Fonds, hinter diese Idee bringen." Die Politik denke oft zu klein. Elysée-Palast in Paris, Bundeskanzleramt in Berlin und die EU-Institutionen könnten gemeinsam viel mehr bewegen und sich gegen die digitale Abhängigkeit Europas von den USA und China stemmen.
Europa ist jedoch meilenwert von eigenen Online-Plattformen entfernt. Facebook, Amazon, Google und Co in den USA oder Tik-Tok und Alibaba in China sind die unangefochtenen Platzhirsche. Vertreter der Digitalbranche bringen das Problem auf den Punkt: Es vergehen Wochen und Monate mit Installationen und Einrichtungen zum Arbeiten in der Cloud in Europa. Bei Amazon in den USA könne man nach Bestellung am nächsten Tag loslegen.
Doch amerikanische Plattformen bergen ein großes Problem für Europäer. Von China ganz zu schweigen, das auch im technologischen Rennen eher einen Wettbewerb der politischen Systeme sieht. Wenn etwas von einer Plattform aufgrund zwielichtiger Inhalte gelöscht oder gesperrt werden soll, entscheidet das niemand in Europa, sondern die amerikanischen Digitalgiganten selbst. Europa bleibt in diesem Verhältnis immer Bittsteller. Hinzu komme, dass europäische Forscher kaum Einblick in das Innenleben hätten, sprich, was sich genau auf den Plattformen abspiele, so Nadine Schön. „Wir verstehen die Mechanismen nicht." Es müsse gelingen, die europäischen Kunden zum Umdenken zu bewegen, sonst werde die Abhängigkeit immer größer.
Die EU-Staaten alleine können das allerdings nicht ändern. „Wir brauchen ein neues Öko-System mit staatlicher und privatwirtschaftlicher Initiative zusammen für diese gigantischen Investitionen, einen Aufbruch des Silodenkens, offene Standards und Schnittstellen." Ulrich Wilhelm spricht von einer „Open-Source Software, die für größtmögliche Transparenz und Fairness sorgt". Sorge bereite ihm, dass die digitale Identität soweit entwickelt sei, dass beispielsweise über die Apple-ID oder Google-ID die Online-Giganten inzwischen mehr persönliche Daten zur Verfügung hätten als der eigene Staat. „Wir brauchen eine vernünftige Plattform in Europa, mit der Bereiche wie Schule oder Gesundheitswesen abgedeckt werden." Erschreckend sei doch, dass die europäischen Institutionen keine eigene Infrastruktur hätten. Einen Grund für den fast uneinholbaren Vorsprung der Amerikaner sieht Wilhelm in der Distribution. „Messenger-Dienste wie Whatsapp sind nicht kompliziert zu bauen. Das können wir in Europa auch. Aber die Technik ist auf den Geräten vorinstalliert, sodass den Amerikanern die Distribution viel leichter fällt."
„Jeder für sich funktioniert nicht"
Hoffnung machen soll ein wenig die europäische Cloud-Infrastruktur Gaia-X, um die digitale Abhängigkeit europäischer Unternehmen gegenüber amerikanischen und chinesischen Anbietern zu verringern. Über 100 Organisationen und Unternehmen von Start-ups über mittelständische Unternehmen bis zu Großkonzernen sind nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums in das Projekt bereits eingebunden. Die eigens dafür gegründete Gesellschaft hat ihren Sitz in Brüssel. Aber so ganz europäisch scheint das alles mit der Cloud-Allianz nicht mehr zu laufen, denn US-Unternehmen wie Amazon, Microsoft und Google und die Chinesen mit Huawei sollen oder sind bereits mit an Bord dieses ehrgeizigen Projekts.
Nadine Schön sagt dann auch ganz pragmatisch, dass „wir nicht alles in Europa alleine machen können, um letztendlich doch nur hinterherzuhecheln". Besser wäre es, Zukunftsbereiche schneller zu erkennen und dort eigene Akzente zu setzen. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich im Bereich Künstlicher Intelligenz beispielsweise sei recht vielversprechend. Die Chancen, die zum Beispiel der Green Deal der EU biete, müssten künftig von den Europäern genutzt werden.
Henri Verdier sieht es nüchtern und spricht von vielen gescheiterten Projekten in Europa wie in der Schwerindustrie oder Luft- und Raumfahrttechnik, aus denen wir nichts gelernt hätten. Jeder für sich, das könne nicht funktionieren. Frankreich habe einen atomar betriebenen Flugzeugträger, aber nicht einmal eine eigene Plattform für soziale Medien. Die Geschwindigkeit der digitalen Veränderung sei so hoch, dass politische und staatliche Strukturen kaum mithalten könnten. „Wir brauchen in Europa dringender denn je eine Strategie für Interoperationalität, um verschiedene Schnittstellen zusammenzubringen." Die Worte klingen gut, allein es bleibt bislang nur bei wolkigen Visionen – auch von einer europäischen Cloud.