Wohnen wird teurer in Deutschland. Das hat nicht nur mit zu wenigen Wohnungen, sondern auch mit höheren Preisen für Bauland zu tun, sagt Fabian Rohland. Der Immobilienökonom forscht für den Verband für Wohnen und Stadtentwicklung.
Herr Rohland, als Wissenschaftler beschäftigen Sie sich mit Wohnen und Stadtentwicklung. Wie wohnen Sie selbst?
Meine Familie und ich wohnen seit etwa sieben Jahren in einem Reihenhaus in der Nähe von Berlin, quasi im Speckgürtel der Stadt. Deshalb pendeln wir üblicherweise, abgesehen von der Corona-Krise, in der wir auch viel von zu Hause aus arbeiten.
Eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung stellt fest, dass eine Million Menschen in Deutschland am Existenzminimum oder darunter leben, nachdem sie Ihre Wohnkosten bezahlt haben. Was sind die Gründe für dieses Problem?
Hohe Wohnkosten spielen bei einer zielgruppengerechten Wohnraumversorgung eine große Rolle. Seit rund zehn Jahren sehen wir Steigerungen bei Mieten, vor allem bei den Neuvertragsmieten, wie auch bei Preisen für Wohneigentum. Auch wenn wir seit der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise Ende der 2000er-Jahre einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, hinkt im Mittel die Entwicklung der verfügbaren Einkommen den Steigerungsraten im Miet- und Eigentumssegment hinterher. Ein Grund ist die zu geringe Bautätigkeit. Es wurde über Jahre zu wenig gebaut. Seit 2010 steigen die Zahlen der Neubauten wieder, doch die Nachfrage und das Angebot bei preisgünstigen Wohnungen klaffen insbesondere in den wachsenden Regionen immer noch weit auseinander.
Vor allem kleine und mittlere Einkommen sind betroffen, Alleinerziehende, Paare mit Kindern. Sie wohnen auf besonders kleiner Wohnfläche, im Gegensatz zu Singles. Woran liegt das?
Paare mit Kindern sowie Alleinerziehende haben Mehrkosten durch Kinder, die Singles oder Paare ohne Kinder nicht haben. Darüber hinaus kann die berufliche Situation von Eltern – und damit ihr Einkommen – durch eine zeitintensive Kinderbetreuung beeinträchtigt werden; als Beispiel hierfür kann die in vielen Familien schwierige Vereinbarkeit von Homeoffice und Homeschooling während der Corona-Pandemie herangezogen werden. Entsprechend steht weniger Einkommen für das Wohnen zur Verfügung. Leider bestätigen Studien, dass das Armutsrisiko in Deutschland mit der Kinderzahl in der Familie steigt. Dementsprechend kann der Wohnflächenkonsum von Singles größer sein als der von Familien oder Alleinerziehenden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert nun nicht nur mehr Bautätigkeit, sondern einen effektiven Mietenstopp. Ist dies die richtige Strategie?
Die Forderung „mehr Wohnungsbau" alleine reicht sicherlich nicht. Ob jedoch ein Mietenstopp an dieser Stelle der Königsweg wäre, wage ich zu bezweifeln. Zwar werden derzeit so viele Wohnungen gebaut, wie zuletzt vor rund 20 Jahren, es stellt sich aber zugleich die Frage, in welchem Preissegment und in welchen Regionen die Wohnungsbautätigkeit stattfindet. So werden derzeit in den Ballungsgebieten vor allem hochpreisige Wohnungen geschaffen, die nur eingeschränkt – über sogenannte Sickereffekte – zur Entspannung bei der Wohnraumversorgung einkommensschwächerer Haushalte beitragen. Was fehlt, ist eine höhere Bautätigkeit preisgünstiger und geförderter Wohnungen. Der Bestand an Sozialwohnungen geht seit etlichen Jahren kontinuierlich zurück. Gab es 2007 noch etwas über zwei Millionen geförderte Wohnungen, waren es 2020 nur noch rund 1,1 Millionen. In den vergangenen 13 Jahren hat sich ihre Anzahl damit nahezu halbiert. Ein Mietenstopp bei knappem Wohnraum birgt die Gefahr, dass Investoren und Wohnungsunternehmen ihre Neubautätigkeit zurückfahren und hierdurch vielmehr eine Angebotsverknappung als eine Angebotsausweitung bewirken, was auch den sozialen Wohnungsbau betrifft. Zielführender wäre es, die Voraussetzungen zu verbessern, damit bezahlbarer Wohnraum in den hochpreisigen nachgefragten Wohnungsmarktregionen in einer größeren Stückzahl geschaffen werden kann.
Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen fordert im Land mindestens 100.000 neue Sozialwohnungen und eine gemeinnützige Landeswohnungsgesellschaft. In Berlin diskutiert die Politik die Verstaatlichung von Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen. Was halten Sie von diesen Ansätzen?
Die Diskussionen über die Schaffung und Sicherung bezahlbarer Wohnungen sind immer sehr emotional, nicht selten verbunden mit Forderungen an die öffentliche Hand. Sicher übernimmt diese eine wichtige Funktion, um zu ausgeglichenen Wohnungsmärkten zu kommen, wofür sie effektive Instrumente benötigt. Wie Sie bereits andeuten, sehen wir derzeit eine Renaissance kommunaler Wohnungsunternehmen, da viele Städte ihren Wert für eine soziale und nachhaltige Wohnraumversorgung erkannt beziehungsweise wiedererkannt haben. Aber wir dürfen bei der Forderung nach einer stärkeren öffentlichen Hand nicht die weiteren Akteure, wie private Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften oder auch die Zivilgesellschaft nicht verschrecken, da sie den erheblichen Teil des Baugeschehens in Deutschland stemmen. Eine Bewältigung der wohnungspolitischen Herausforderungen unserer Zeit kann nur im Dialog mit allen involvierten Akteuren gelingen. Wir als Verband sehen darüber hinaus das Nadelöhr für mehr bezahlbaren Wohnraum vor allem auf dem Bodenmarkt. Grund und Boden ist ein knappes Gut. In den vergangenen Jahren konnte beobachtet werden, dass die hohen Preise auf dem Wohnungsmarkt auch von den immer weiter steigenden Bodenpreisen getrieben wurden. Hier sehen wir Handlungsbedarf und einen Hebel, um mehr Bauflächen für Wohnungen im bezahlbaren Bereich zu schaffen und zu aktivieren.
Hier greift ja unter anderem auch das Baulandmobilisierungsgesetz, das kürzlich in Kraft getreten ist, um für Städte und Kommunen einfacher Bauland zu schaffen.
Mit der Gesetzesnovelle wird seitens der Politik das Ziel verfolgt, den Städten und Gemeinden im Umgang mit Grund und Boden mehr Gestaltungsoptionen zu verschaffen. Ein wichtiger und richtiger Schritt, wie wir es bereits gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik und einem Kreis unabhängiger Expertinnen und Experten in der Bodenpolitischen Agenda 2020-2030 gefordert haben. Um zu einer Bodenpolitik zu gelangen, die den zukünftigen Herausforderungen einer sozial gerechten, nachhaltigen und resilienten Wohnraumversorgung und Stadtentwicklung gerecht wird, ist es jedoch noch ein weiter Weg. So fehlt derzeit beispielsweise ein wirkmächtiges planungsrechtliches Instrument, mit dem dispers verteilte Flächenpotenziale im Innenbereich mobilisiert werden können. Zwar wurde bereits von der Arbeitsgruppe ‚Aktive Liegenschaftspolitik‘ des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen mit der ‚Innenentwicklungsmaßnahme‘ ein solches Instrument entwickelt, den Weg in das Baulandmobilisierungsgesetz hat es jedoch leider nicht gefunden.
Bauland ist das eine, die Nachfrage das andere. Studien zeigen, dass die Menschen stärkeres Interesse am Wohnen im Speckgürtel als in der Innenstadt haben. Warum?
In der Tat scheint es aktuell so, dass die Attraktivität der Außenbereiche der Städte und der Umlandgemeinden der Ballungszentren zugenommen hat. Hier spielen auch die durch die Corona-Pandemie angestoßenen oder verstärkten Entwicklungen und Transformationsprozesse eine Rolle; Stichwort ‚Homeoffice‘. Allerdings müssen wir abwarten, wie nachhaltig diese Entwicklungen sein werden und ob eher die preistreibenden oder die preisdämpfenden Entwicklungen Oberhand behalten werden. Wie sich also der Nachfragedruck in den Innenstädten perspektivisch entwickeln wird, lässt sich derzeit nur schwer absehen. Was jedoch bereits jetzt konstatiert werden kann, ist, dass mit Blick auf das Wohneigentum die Preisdynamik auch in den Zentren der Städte weiterhin hoch ist.
Warum ist die Preisdynamik so unterschiedlich beim Mieten und Kaufen?
Ungewisse ökonomische Perspektiven, das weiterhin bestehende Niedrigzinsumfeld, der Wunsch nach Sicherheit bei der Wohnfrage und der Vermögensbildung sowie natürlich nicht zuletzt ein knappes Angebot können als Triebfeder für die Preise im Wohneigentumssegment gesehen werden. Hierbei trägt natürlich auch die Corona-Pandemie ihren Teil dazu bei. Insbesondere in unsicheren Zeiten und Zeiten stark schwankender Aktienmärkte steigt die Bereitschaft, mehr Geld in den Kauf von Wohneigentum zu investieren, in das sichere Betongold.
Ein entscheidender Faktor aber ist auch die Konzentration: Deutsche Wohnen und Vonovia, die größten privaten Wohnungseigentümer, wollen fusionieren. Welchen Einfluss hat dies?
Eine Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen würde einen Zusammenschluss der beiden größten privaten Wohnungsunternehmen in Deutschland bedeuten und einen Wohnungsbestand von über 500.000 Wohneinheiten unter einem Dach vereinen. Eine zunächst große Zahl, die sich jedoch im Verhältnis zum gesamten Wohnungsbestand in Höhe von über 42 Millionen Wohnungen und der Tatsache, dass sich insbesondere die Bestände der Vonovia über weite Teile des Bundegebietes verteilen, relativiert. Zudem hat das Bundeskartellamt eine Fusion der beiden Unternehmen geprüft und hierbei keine mögliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs festgestellt. Darüber hinaus lassen Aussagen und Ankündigungen der Unternehmen, wie eine Begrenzung der Mieterhöhungen von Bestandsmieten vorzunehmen, vermuten, dass sie sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. Inwieweit die Kosten einer Fusion auf die Mieterinnen und Mietern übertragen werden, wird sich jedoch erst noch zeigen.
Wird Bauland angesichts des Klimawandels weiter verknappt, wenn wir davon ausgehen müssen, nicht mehr überall bauen zu können wie derzeit im Ahrtal?
Natürlich wird dies den Konflikt um Boden weiter verschärfen, auch in Städten: Dort werden in Zeiten des Klimawandels und in Anbetracht einer notwendigen Klimaanpassung mehr Grünschneisen erforderlich, andererseits braucht die Stadt mehr Flächen für Infrastruktur wegen ihres Wachstums. Da sind viele weitere Konflikte vorprogrammiert, wenn unter anderem aus Gründen des Flutrisikos nun noch weniger Boden bebaut werden darf. Aber dieser Interessenkonflikt wirft dann die Frage auf, wie das Interesse an Wohnraum umgelenkt werden kann. Und zwar dorthin, wo noch genügend Boden zum Wohnen, sicher und bezahlbar, vorhanden ist. Solche Konzepte müssen Kommunen untereinander ausarbeiten, um Angebot und Nachfrage auszugleichen. Dazu gehören dann auch Fragen zum öffentlichen Personennahverkehr, die beantwortet werden müssen, zum Straßen- und Radwegenetz, zum schnellen Internetzugang. Die Antworten darauf entscheiden, wo die Menschen in Zukunft gern leben.