Edward Debicki schreibt seine Erinnerungen auf und durchbricht mit dem Roman „Totenvogel" die Mauer des Schweigens, die die Sinti und Roma um ihr Volk hochgezogen haben. Man bleibt unter sich. Debicki nennt sich ganz bewusst nicht Rom von Roma, sondern „Zigeuner". Das ist der Name, den die Nazis aufgriffen, weil er im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte steht, die in der Ermordung einer halben Million Sinti und Roma endete. Der 1933 oder 1934 geborene Autor schildert seine Kindheit und Jugend in der Vorkriegszeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Es beginnt nahezu idyllisch mit den vielen Verwandten, die als eine große Familie im Sommer auf Pferdewagen von Dorf zu Dorf ziehen, während sie sich für den Winter ein festes Haus suchen. Die Männer sind Pferdehändler und Musiker, die Mütter lesen aus der Hand. Ganz natürlich nimmt Edward als kleiner Junge ein Instrument in die Hände, erst ein Schlagzeug, später die Geige. Den Kriegsbeginn erleben sie in Polen. Und gleich von Anfang an müssen sie immer wieder fliehen vor den sogenannten Volksdeutschen, die mit den Deutschen paktieren, vor Hitlers Soldaten, vor den Bandera-Leuten aus der Ukraine, die mit den Faschisten zusammenarbeiten. Es geht hin und her zwischen Polen und der Ukraine. Vergessene Namen tauchen auf: Wolhynien, auch Lemberg (heute Lwiw). Debicki schildert unglaubliche Grausamkeiten: Einmal entkommen er und sein Vater nur mit knapper Not aus einer Schule, die zugesperrt und dann angezündet wird. Doch immer können sie sich retten, weil die Nazis sich vor den Wäldern und den Partisanen fürchten, sagt der Vater. Dort, wo es am unzugänglichsten ist, in den Sümpfen, wo sie nichts anderes zu essen haben als Pilze, Waldfrüchte und Blätter, wo der „Totenvogel" wohnt, gelingt es der Sippe, zu überleben. Das Buch ist trotz aller Härte und Tragik ein Bericht, der das Leben feiert; für Leser, die sich für eine Zeit interessieren, als Grenzen noch nichts galten.
KULT[UR]
Foto: Friedenauer Presse
Buch-Tipp: Immer auf der Flucht
Edward Debicki: Totenvogel: Erinnerungen. Friedenauer Presse Berlin. ISBN 978-3932109867.
Kult[ur] - Buch-Tipp
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