Eine Nilkreuzfahrt gehört sicher zu den beeindruckendsten Reisen durch Ägypten. Bei den verschiedenen Stopps warten einzigartige archäologische Stätten.
Da die Touristenzahlen in Ägypten noch nicht wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht haben, starten viele der klassischen Nilkreuzfahrten am Roten Meer im Badeort Hurghada. Nach einer Hotel-Übernachtung beginnt am frühen Morgen der fünf bis sechs Stunden lange Transfer nach Luxor. Die neue Straße durch die sogenannte Östliche Wüste schlängelt sich zwischen Schotterlandschaften und bizarren, je nach Licht rosa, gelb und grau wirkenden Bergen hindurch. Am Straßenrand sehen wir manchmal Lkw-Fahrer vor ihren Brummis zusammen auf einem Teppich hockend ihren Tee-Plausch abhalten. Nach etwa drei Stunden wird die Landschaft flacher. Dörfer tauchen auf. Ein großer Kanal läuft neben unserer Straße und führt, je näher wir dem Nil kommen, immer mehr Wasser. Fellachen verkaufen ihre Orangen unter immergrünen Bäumen.
Größte Tempelanlage Ägyptens
Frisch geerntetes Zuckerrohr wird auf Eselskarren transportiert. Drei Kamelreiter warten an der Kreuzung bei einer Brücke. Erst in der lebhaften Stadt Qena nimmt der Autoverkehr zu. Hier nehmen wir Abdul auf, unseren Reiseleiter für die einwöchige Nilkreuzfahrt. In Luxor liegt unsere blaue „Magic 2" etwas außerhalb am Nil-Pier vertäut mit einigen anderen Kreuzfahrtschiffen. Nach dem Einchecken begrüßen wir den ersten Sonnenuntergang auf dem Nil mit einem Cocktail an Deck. Die erste Nacht in Luxor, dem früheren Theben der Pharaonen. Sehnsuchtsziel! Vorfreude! Morgens, am Tag eins unserer Reise geht es nach Theben Ost. Der Karnak-Tempel, rund drei Kilometer vom heutigen Stadtzentrum Luxors entfernt, ist die größte Tempelanlage des Alten Ägyptens. Geweiht ist sie dem widderköpfigen Amun, Hauptgott der alten Ägypter. Dynastien von Pharaonen haben rund 2.000 v. Chr. daran gebaut. Der „Baedeker"-Führer zählt allein neun Herrscher auf. Jeder von ihnen hat zumindest einen Pylonen errichten lassen. Das ist sozusagen die Schaufassade eines jeden guten Tempels damals. Als eine der ersten Gästegruppen morgens betreten wir den Säulenwald des Hypostyls. 137 Säulen hat die ursprünglich überdachte Halle. 23 Meter hoch sind sie entlang der Mittelachse, mit elegant geöffneten Papyrus-Kapitellen, die anderen mit geschlossenem Säulen-Abschluss. Durch die ineinander verschachtelten Tempel der verschiedenen Herrscher erreichen wir den von malerischen Ruinen umgebenen Heiligen See. Ein junges Pärchen in westlicher Kleidung saust schon zum vierten Mal um einen großen, auf einer abgebrochenen Säule ruhenden Skarabäus, dem heiligen Mistkäfer der Pharaonen. Reiseleiter Abdul schmunzelt. „Der Glückskäfer ist äußerst beliebt unter uns Ägyptern. Wünscht man sich ein neues Auto, geht es dreimal herum und siebenmal, wenn man sich Kinder wünscht." Auf dem Weg zum Ausgang bestaunen wir den 29 Meter hohen Obelisken der Königin Hatschepsut, der höchste Ägyptens. Er ist geschmückt mit Reliefs und Hieroglyphen, die ihre Verehrung des widderköpfigen Amuns schildern. Eine fast drei Kilometer lange, vor Kurzem erst fertig rekonstruierte Sphinx-Allee verbindet den Karnak- mit dem ebenfalls Amun geweihten Luxor-Tempel.
Ein Teil der Sphingen ist widderköpfig, der andere „klassisch" mit Kopfbedeckung à la Tutanchamun. Überragt wird dieses Heiligtum von einer Moschee, die auf „heiligem" Boden, soviel wusste man damals noch, auf einem Teil der damals fast vollständig versandeten Anlage errichtet wurde. Amenophis III., der Schwiegervater der schönen Nofretete, ließ einst den wieder ausgebuddelten Tempel im 14. Jhd. v. Chr. errichten. Er zeigt die Idealform eines ägyptischen Tempels: Pylon, erster Säulenhof, hier mit den wohl schönsten Papyrus-Kolonnaden der Pharaonenzeit, Säulengang, zweiter Säulenhof, Vorhalle und der eigentliche Tempel mit dem Allerheiligsten. Moment, was haben wir denn da? Ein fein gearbeitetes Fachrelief von zwei Herren mit großer Brust und dickem Bauch, die aus Pflanzenstielen eine Art Schleife um eine Stange binden. Seltsam.
Krokodil spielt wichtige Rolle
Am Nachmittag heißt es: Leinen los und den erlebnisreichen Tag an Deck Revue passieren lassen. Gemächlich ziehen Nil-Inseln mit grasenden Wasserbüffeln vorüber. Badende Kinder am Ufer, Fischer, die ihre Netze auswerfen. Nachts fahren wir durch die Schleusenanlagen von Esna. Am Morgen in Edfu finden wir uns in einem Tohuwabohu von rund 200 Pferdekutschen wieder, die mit Passagieren von etwa sechs Schiffen gleichzeitig zum berühmtesten Tempel der Stadt aufbrechen. Die Schönheit des vor rund 2.100 Jahren von den Ptolemäern erbauten Horus-Heiligtums entschädigt dann aber für das Durcheinander am Anfang des Ausflugs. Das „Haus" des mächtigen falkenköpfigen Gottes betritt man – wie sollte es anders sein – durch den 35 Meter hohen Pylonen. Drei Meter hohe Granit-Falken bewachen den Eingang. In vielen Tempeln wird man die „Heilige Barke" mit den Göttern auf Reliefs entdecken. Der Nil und die Götter-Prozessionen auf ihm waren über die Jahrtausende wichtiger Bestandteil der altägyptischen Religion. Nicht nur die Pharaonen kamen zu den Festlichkeiten in dem Boot angereist. Auch Lichtgott Horus reiste mit seiner Barke auf dem Nil nach Norden, um seine Gattin Hathor, die Göttin mit den Kuh-Ohren, in ihrem nördlich von Luxor gelegenen Tempel in Dendera zu besuchen und vice versa. Der Edfu-Tempel besticht durch Erzählungen aus dem Leben von Horus, verquickt mit dem des Pharaos. In einer Szene etwa spießt der höchstselbst seine Feinde in der Darstellung von Nilpferd und Krokodil auf. Das Krokodil spielt auch im flussaufwärts gelegenen Tempel von Kom Ombo eine wichtige Rolle. Das Sanktuarium, ebenfalls aus der Ptolemäer-Zeit, ist gleich zwei Göttern geweiht – die linke Hälfte dem falkenköpfigen Haroeris, einer weiteren Erscheinungsform des Horus, und die rechte dem Krokodilgott Sobek. Heilige Krokodile wurden im Tempel im Andenken an den Gott gehalten. Sie wurden sogar mumifiziert, wie im Sobek-Museum auf dem Gelände zu bestaunen. Assuan begrüßt uns am Morgen unseres dritten Reisetages. Die Stadt der 27 Inseln ist der südlichste und der Wendepunkt unserer Schiffsreise. Hier erkunden wir den Assuan-Staudamm. Besser gesagt zwei. Den alten Damm errichteten die Engländer am ersten Nilkatarakt. Den gigantischen neuen ließ Präsident Nasser mithilfe der Sowjets errichten, erlebte aber dessen Eröffnung 1971 nicht mehr. Nachmittags segeln wir stilecht mit einer Feluke zum Botanical Island hinüber. Dessen seltene Pflanzen und Bäume ließ der damalige britische Gouverneur Lord Kitchener von überall aus dem Kolonialreich für seinen Garten auf die Insel schaffen. Gegenüber liegt die Insel Elephantine, wo Agatha Christie ihren bekanntesten Krimi „Tod auf dem Nil" schrieb. Am vierten Tag brechen wir in aller Herrgottsfrühe auf nach Abu Simbel, dem absoluten Ausflugs-Highlight einer jeden Nilkreuzfahrt.
Statuen von 20 Meter Höhe
Nach rund drei Stunden Wüstenfahrt erreichen wir die gewaltigen Tempelanlagen von Ramses II. und seiner Lieblingsfrau Nefertari, direkt oberhalb des Nasser-Stausees. Auch dieses Sanktuarium wurde, wie viele andere, in den 1960ern versetzt, um sie vor den steigenden Fluten des Stausees zu retten. Nach dem Motto „Klotzen nicht kleckern" ließ der Pharao sich hier, tief im Land der Nubier, mit gleich vier Kolossalstatuen seiner selbst, jede 20 Meter hoch, verewigen. Und er protzt mit seinen kriegerischen Erfolgen. Gefangene Nubier sind an überzeichneten Merkmalen gut als Schwarzafrikaner zu identifizieren, als die Feinde aus dem Norden – Libyer an ihren Spitzbärten, Syrer an Bart und üppigen Locken. Auch hier entdecken wir wieder „unsere" großbusigen Herren. Hapi, Gott der alljährlichen Nilschwemme, trägt als Garant für reiche Ernte Brüste und Wohlstandswampe. Aber wieso ist er doppelt? Zehn Meter hohe weiße Osiris-Wächter geleiten uns nun ins Tempelinnere. Erstaunlich ist die Farbigkeit der dramatischen Darstellungen, bei denen es häufig um Mord und Totschlag geht – der König schlachtet seine Feinde ab, aber ungeheuer ästhetisch. Gegnerische Truppen fächern sich mit Armen und Beinen auf wie in einem Ballett. Zweimal jährlich ereignet sich, abgesehen von der Umsetzung Abu Simbels, seit mehr als 3.200 Jahren das „Sonnenwunder". Drei der vier Götterskulpturen im Allerheiligsten werden von der Sonne beschienen. Nur Ptah, der Unterweltsgott bleibt im Dunkeln. Der kleinere Tempel von Ramses Gattin Nefertari ist der Liebesgöttin Hathor geweiht. In vielen prächtigen Darstellungen wird sie gefeiert.
Frau wurde zum Pharao gekrönt
Sechs Kolossal-Skulpturen bewachen hier den Eingang: Ramses II. nebst Gemahlin Nefertari. Am nächsten Tag kreuzen wir gemächlich auf dem Nil. Zeit für einen Besuch bei Präsident Mahmoud, einem „Rais", wie die Nil-Kapitäne genannt werden. Der Mittfünfziger sitzt gemütlich im traditionellen Dschallabija, einer Art Kaftan und Wickelturban auf dem Kopf, hinter dem Steuerrad – im Schneidersitz. Nein, studiert hat er nicht, sondern alles von der Pike auf gelernt. Computer? Wozu! Als wir am Abend in Luxor anlegen, fährt unser Rais sein 73 Meter langes Baby ohne jedes Rempeln sanft an die Kaimauer. Am letzten Tag der Kreuzfahrt wartet noch ein Knaller auf uns – Theben West, die Stadt der Toten oder das Tal der Könige auf der anderen Nilseite. Ein Elektro-Bähnchen bringt uns dort vom Eingang in das abgeschiedene Wüsten-Tal. Von den rund 65 Pharaonengräbern sind aus konservatorischen Gründen abwechselnd nur sieben geöffnet. Drei davon empfiehlt uns Abdul. Das Doppelgrab Tausert und Setnakht wurde noch von Pharaonin Tausert begonnen, aber von ihrem Konkurrenten Setnakht übernommen. In den unterirdischen Grabkammern haben sich die Farben besonders gut erhalten, in denen der Gang der Pharaonen in die andere Welt geschildert wird, mit Anubis, dem schakalköpfigen Totengott an ihrer Seite. Die Anlage des Ramses III. zählt zu den größten im Tal der Könige. Dreizehn Säle und Korridore sind mit Geschichten aus den altägyptischen Totenbüchern – überwältigend in ihrer Fülle – ausgestaltet. Die Grabstätte des Merenptah liegt gegenüber vom alten Gasthaus. Dieser Pharao widmete seine Totenstätte dem Sonnengott Amun-Re. Der Skarabäus-Käfer, Sinnbild der aufgehenden Sonne, ist gleich über dem Eingang zu sehen. Im Inneren gibt es einen der wenigen Sarkophage mit aufgestelltem Deckel. Man erkennt im Inneren ein Relief des Königs, auf dem Oberteil ruht der Herrscher in Rosengranit gemeißelt.
Auch das Grab des Tutanchamun war von Howard Carter vor 100 Jahren hier entdeckt worden. Im Talkessel von Deir el-Bahari liegt ein Totentempel in Cinemascope an einer ansteigenden Bergwand, den man abends, dramatisch erleuchtet, vom Schiffsdeck sieht: Es ist der Terrassentempel der berühmtesten Königin des Altertums – Kleopatra einmal ausgenommen – Hatschepsut. Sie hatte sich mit dem männlichen Namen Maatkare zum Pharao krönen lassen. Ungeheuerlich für ihre Zeit! Der dreistufige Kolonnaden-Tempel ist mit seiner Architektur singulär in der Zeit des Doppelreiches. Der doppelte Nilgott Hapi – nun haben wir es endlich heraus – symbolisiert hier, wie im Luxor-Tempel und in Abu Simbel, die beiden Teile des Alten Ägypten. Vereinigt durch die Verschlingung der Stiele von Lotus für Unter- und von Papyrus für Ober-Ägypten. Nach einem letzten Foto-Stopp bei den Memnon-Kolossen geht es zurück aufs Schiff, und wir lassen unsere ereignisreiche Nilkreuzfahrt, wie vielleicht einst auch Agatha Christie, stilecht bei einem Gin-Tonic ausklingen.