Mit der Gründung Israels erfüllte sich nicht nur der Traum von einer staatlichen Existenz, sondern für viele Juden bedeutete das Ereignis auch das Ende einer fast 2.000-jährigen Diaspora. Für die arabische Bevölkerung Palästinas hingegen gilt der 14. Mai 1948 als Katastrophe.
Nach jüdischer Zeitrechnung war es der fünfte Tag des als Ijar bezeichneten zweiten Monats des Jahres 5708. Vor dem Gebäude des Stadtmuseums in Tel Aviv am Rothschild-Boulevard hatte sich am Nachmittag jenes 14. Mai 1948 unter den wachsamen Augen schwer bewaffneter Soldaten der paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana eine größere Menschenmenge versammelt. Trotz größter Geheimhaltungsvorkehrungen war offenbar öffentlich durchgedrungen, dass sich an diesem Ort und an genau diesem Tag Historisches ereignen würde – auch wenn die völkerrechtlichen Vorgaben das eigentlich gar nicht erlaubt hatten. Denn die von David Ben Gurion per Radioansprache um 16 Uhr übermittelte Ausrufung des Staates Israel hätte erst einige Stunden später erfolgen dürfen.
Das Ende des am 24. Juli 1922 ratifizierten britischen Völkerbundmandats für Palästina war eigentlich exakt auf Mitternacht des 14. Mai 1948 terminiert worden. Das Problem für David Ben Gurion, den Vorsitzenden der Jewish Agency for Israel und damit der maßgeblichen israelischen Migrantenorganisation in Palästina, und die versammelten Mitglieder der geplanten provisorischen Volksregierung bestand darin, dass es sich beim 14. April 1948 um einen Freitag handelte. Da also ab Mitternacht der Sabbat anstand, an dem sich gläubige Juden auch von politischen Aktivitäten fernzuhalten haben, musste die Staatsproklamation notgedrungen vorgezogen werden. Die jüdischen Verantwortlichen wollten augenscheinlich so früh wie möglich den am 29. November 1947 von der UN-Generalversammlung als „Resolution 181 (II)“ verabschiedeten UN-Teilungsplan für Palästina in die Tat umsetzen.
Palästinenser nicht geeint
Dieser sah die Etablierung zweier unabhängiger Staaten – ein israelischer und ein palästinensischer – auf einem rund 25.000 Quadratkilometer umfassenden Territorium vor, auf dem (laut Angaben der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung) der Jischuv, wie die jüdischen Bewohner Palästinas vor Gründung des Staates Israel genannt wurden, mit 649.000 Menschen ein Drittel der – mehrheitlich arabischen – Gesamtbevölkerung stellte. Dennoch wurde Israel ziemlich großzügig mehr als die Hälfte, genauer gesagt 56,4 Prozent des Gebietes zugeschlagen. Nur ein Drittel der Fläche, mit der Küstenebene samt Galiläa, galt als landwirtschaftlich nutzbar, während zwei Drittel auf die große Region der unfruchtbaren Negev-Wüste entfielen. Das projektierte israelische Staatsgebiet bestand genauso wie das geplante palästinensische Territorium aus drei größeren Teilen, die über exterritoriale Korridor-Straßen miteinander verbunden sein sollten. Zusätzlich wurde die Teilungsregelung dadurch weiter verkompliziert, dass die Stadt Jerusalem einschließlich einiger umliegender Gemeinden zu einer internationalen Zone unter UN-Verwaltung deklariert worden war.
Die israelischen Juden hatten unter Führung der Jewish Agency den UN-Teilungsplan akzeptiert, wie sie es auch schon 1937 bei der ersten, von den Briten noch ziemlich halbherzig formulierten Zwei-Staaten-Lösung mit einem deutlich kleineren, auf Galiläa und einen Küstenstreifen beschränkten israelischen Territorium getan hatten. Von arabischer Seite wurden alle Teilungsvorschläge strikt abgelehnt. Der Jischuv hatte von vornherein eine überwiegend urbane Gesellschaftsform angestrebt und in Kooperation mit den Briten die nötigen vorbereitenden Schritte für einen selbstständigen Staat frühzeitig eingeleitet. Die vornehmlich bäuerlichen arabischen Bewohner Palästinas hatten es hingegen versäumt, eigene politische, administrative oder auch militärische Strukturen aufzubauen. Es existierten keinerlei Vorgängerorganisationen von PLO oder Fatah, auch auf militärischer Seite war der 1946 in Ost-Jerusalem gegründete palästinensische Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft kein Vergleich zur viel späteren Hamas.
Den auch kulturell, gesellschaftlich und religiös zerstrittenen arabischen Palästinensern fehlte eine einheitliche politische Führung und ein entsprechendes Sprachrohr. Für die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen waren sie auf die 1945 gegründete Arabische Liga angewiesen. Deren Mitglieder hatten allerdings neben der Sicherung der eigenen Unabhängigkeit und der Schaffung einer nebulösen arabischen Einheit ziemlich divergierende Zielsetzungen. Letztlich standen sie nur in der gemeinsamen Front gegen die Entstehung eines israelischen Staates fest zusammen. Durch die Einwanderungswellen von Juden drohte dieser neue Staat zu einem großen Problem für die arabische Welt zu werden.
Der ab Anfang 1946 in Kraft getretene Wirtschaftsboykott der Arabischen Liga gegen die Juden in Palästina half den arabischen Palästinensern wenig. Nach Verabschiedung der UN-Resolution 181 ab dem Dezember 1947 wurden sie immer stärker in einen Bürgerkrieg mit der paramilitärischen Hagana und deren Elitetruppe Palmach sowie der noch radikaleren Terrormiliz Irgun verwickelt. Die Briten, für die das Mandatsgebiet Palästina nach der Unabhängigkeitserklärung Indiens im Sommer 1947 jegliche strategische Bedeutung verloren hatte, hielten sich weitestgehend aus den lokalen Scharmützeln heraus. Und das, obwohl die Irgun die Briten am 22. Juli 1946 sogar direkt angegriffen hatte und es bei einem verheerenden Sprengstoff-Attentat auf das King David Hotel in Jerusalem, wo Teile der britischen Mandatsverwaltung untergebracht waren, 91 Tote gegeben hatte.
Angriff auf Israel von drei Seiten
Somit hatten die Briten ein weiteres unrühmliches Kapitel in ihrer Rolle in Palästina geschrieben. Bereits während des Ersten Weltkriegs hatte das British Empire ein Doppelspiel betrieben. Zum einen hatten sie den Zionisten Unterstützung bei der Errichtung eines jüdischen Staates durch die sogenannte Balfour-Deklaration vom November 1917 versprochen. Gleichzeitig aber hatten sie auch den Arabern als Dank für deren Aufstände gegen das Osmanen-Reich durch den Offizier T. E. Lawrence die Gründung eines eigenständigen Palästinenser-Staates fest zugesagt. Schlussendlich hatten sie schließlich beide Parteien durch die Fortsetzung einer quasi-kolonialen Herrschaft übergangen, ohne sich ernsthaft um die im Völkerbund-Mandat durch Aufnahme der Balfour-Deklaration ausdrücklich vorgeschriebene Verpflichtung zur Schaffung einer „nationalen Heimstätte“ für die Juden zu kümmern und einen wichtigen Teil Palästinas – das es als eigenständiges Staatsgebiet bis dahin nie gegeben hatte – als Emirat Transjordanien abtrennen zu lassen.
„Ende April 1948 sah es so aus, als ob die Juden ohne eine Intervention von außen, die die Offensive der Hagana stoppen würde, das ganze Land übernehmen würden. Dies würde den drohenden Untergang des arabischen Palästinas und einen starken Anstieg der Flüchtlingsströme in die angrenzenden Staaten verursachen“, so die rückblickende Einschätzung des renommierten israelischen Historikers Prof. Yoav Gelber zur Lage in Palästina am Vorabend der israelischen Staatsgründung. Von daher dürfte der am 15. Mai 1948 kurz nach Mitternacht von drei Seiten erfolgte Angriff auf Israel durch die Streitkräfte Ägyptens, Jordaniens, Syriens, des Libanons und des Iraks keinen der jüdischen Verantwortlichen ernsthaft überrascht haben.
750.000 arabische Flüchtlinge
Trotz anfänglicher militärischer und personeller Überlegenheit der Angreifer konnte Israel im ersten arabisch-israelischen Krieg dank einer schnellen Umwandlung seiner paramilitärischen Einheiten in reguläre Streitkräfte und effizienter illegaler Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und vor allem aus der Tschechoslowakei sowie finanzieller Unterstützung durch die USA das Blatt schnell wenden. Nicht zuletzt, weil der Waffennachschub für die Gegner durch ein vom UN-Sicherheitsrat im Mai 1948 verhängtes Embargo abgeschnitten worden war, das von Großbritannien, dem militärischen Hauptlieferanten der meisten arabischen Armeen, strikt eingehalten wurde. Der erste Nahostkrieg endete faktisch im Juli 1949 nach diversen Waffenstillstandsvereinbarungen mit einem totalen Sieg Israels, das 40 Prozent des im UN-Teilungsplan für einen unabhängigen Palästinenser-Staat vorgesehenen Territoriums erobert hatte und fortan statt über 56,4 Prozent Palästinas nun über 77,4 Prozent einschließlich West-Jerusalems verfügen konnte.
Ägypten besetzte den Gazastreifen, Jordanien verleibte sich das Westjordanland und Ost-Jerusalem ein. Eindeutiger Verlierer waren die Palästinenser, die nun keine Chance mehr zur Verwirklichung ihres Traums vom eigenen Staat hatten und von denen zudem mehr als 750.000 Menschen ihre Heimat verloren hatten, weil sie während des Kriegs in die Nachbarländer geflohen waren. Eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge oder auch nur Entschädigungszahlungen für enteignete Besitztümer hatte Israel trotz entsprechender UN-Beschlüsse schon im Sommer 1948 kategorisch ausgeschlossen.