Als Familienministerin und Bundestagspräsidentin wurde die Christdemokratin zu einer der profiliertesten deutschen Politikerinnen. Sie kämpfte für Frauenrechte und Demokratie. Die 87-Jährige wurde im Januar Ehrenvorsitzende des Deutschen Polen-Instituts.
Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen! So hatte Rita Süssmuth 2020 ihr persönlichstes Buch betitelt, das sie als „Brief an ihre fünf Enkel“ verfasst hat und das sie als Aufforderung an alle versteht, die Zukunft unserer Gesellschaft mitzugestalten. Die nachfolgenden Generationen dürften ihr Schicksal nicht „Blendern, Machtversessenen und Zynikern“ überlassen. Auch in ihren politischen Ämtern hat die streitbare Erziehungswissenschaftlerin stets versucht, unmenschliche Entscheidungen zu verhindern, den Einfluss der Mächtigen zu begrenzen sowie Engstirnigkeit und Vorurteile zu entlarven. So wurde Süssmuth seit den 80er Jahren zu einer humanitären Institution, die mit fast unzähligen Ehrungen und Preisen überschüttet wurde. Neun internationale Ehrendoktorwürden, das Großkreuz des bundesrepublikanischen Verdienstordens, der Theodor-Heuss-Preis und der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen gehören zu den herausragenden Würdigungen der gesellschaftlich engagierten Christdemokratin. Im Vorjahr konnte Süssmuth sich noch über drei weitere Auszeichnungen freuen. So erhielt sie am 18. März 2023 als erste Frau als „unbequeme Streiterin für Gleichberechtigung, Vielfalt und Integration“ die Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt Neuss verliehen, und im September wurde dort eine weiterführende Schule in „Rita-Süssmuth-Realschule“ umbenannt. Und schließlich gab es dann im November in Hamburg für Süssmuths langjährigen Einsatz für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen den Lebenswerk-Ehrenpreis des German Diversity Awards. Gerade erst im Januar 2024 wurde sie als langjährige Präsidentin des Deutschen Polen Instituts zu dessen erster Ehrenvorsitzenden gewählt. Zu Ehren Süssmuths hat das Land Nordrhein-Westfalen 2021 den „Rita-Süssmuth-Forschungspreis“ ausgelobt, der exzellente Forschung mit Gender-Bezug honoriert.
Eine Schule nach ihr benannt
Süssmuth beobachtet weiterhin aufmerksam die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen unserer Zeit und zeigte sich kürzlich in dem Queer-Magazin „Fresh“ bestürzt über den verstärkt aufkommenden Hass in unserer Gesellschaft. Ebenso kritisiert sie den rauer gewordenen Ton auch im Parlament: „Dieses Aufeinander-Einhauen“ sei nicht zielführend! Angesichts des wachsenden Rechtsextremismus verweist sie auf historische Parallelen mit massiven Menschenrechtsverletzungen und appelliert an Politik und Bürger: „Passt auf, lasst es nicht so weit kommen!“ Die Menschen dürften zu demokratiefeindlichen Auswüchsen nicht schweigen, sondern sollten sich verbünden und „eine Mauer gegen den Hass bilden.“ Auch in Sachen Gleichberechtigung sei noch längst nicht alles erreicht. „Gleichberechtigung ist keine Frauensache, sondern geht uns alle an!“ Dass die CDU, deren Mitglied sie seit 1981 ist, den zweitniedrigsten Frauenanteil im Bundestag hat, empfindet Süssmuth als persönliche Niederlage, weil sie möglicherweise bezüglich der Gleichberechtigung „nicht forsch genug“ aufgetreten sei. „Die Schritte waren zu klein. Wir hätten uns nicht mit einer Anfangsquote von 25 Prozent zufriedengeben dürfen!“, gesteht Süssmuth im Vorjahr dem „Focus“. Dass sich inzwischen auch CDU-Chef Merz für eine Frauenquote ausgesprochen hat, wagt sie kaum zu glauben: „Meint er das ernst oder denkt er, bei einer Überprüfung fällt das wieder weg?“ Die CDU jedenfalls könne es sich nicht erlauben, „eine reine Männerpartei zu bleiben und weiterhin auf Frauen zu verzichten!“
Ehrenamtliches Engagement
Auch mit 87 Jahren will Süssmuth weiter für die Gleichberechtigung kämpfen: „Für mich wäre es schwierig, herumzusitzen und darauf zu warten, dass ich sterbe!“ Bei ihrer Ernennung zur Neusser Ehrenbürgerin regte sie im Vorjahr einen neuen Preis an, der Ideen für die Stadterneuerung würdigen und bei der Umsetzung Alte und Junge zusammenbringen sollte. Sie bot an, ein solches Vorhaben auch persönlich zu begleiten. Süssmuths Engagement gilt schon lange auch der Bekämpfung von AIDS, wo sie sich schon früh für Aufklärung, Vorbeugungsmaßnahmen und ärztliche Beratung eingesetzt hat. 1987 initiierte sie die Gründung der Nationalen AIDS-Stiftung, unterstützte 1996 deren Fusion mit der Deutschen AIDS-Stiftung „Positiv leben“, war dort lange Vorsitzende des Stiftungskuratoriums und ist heute Ehrenvorsitzende. Ehrenpräsidentin ist Süssmuth seit 2015 im Deutschen Volkshochschulverband, dessen Präsidentin sie zuvor 27 Jahre lange war. Schon seit 2009 ist sie Präsidentin im Konsortium der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul, von der sie 2022 ihren inzwischen neunten Ehrendoktorhut erhielt. Bis vor vier Jahren war Süssmuth auch Kuratoriumsvorsitzende der McDonalds Kinderhilfe Stiftung. Heute ist sie noch Vorstandspräsidentin des Düsseldorfer Vereins „Education Y -Bildung.Gemeinsam.Gestalten.“ Viele weitere Präsidenten- und Ehrenämter dokumentieren die Wertschätzung, die Süssmuth überall genießt: als Wissenschaftlerin, Politikerin und als Mensch. Ihr Fachwissen und ihre politische Erfahrung hat sie auch in mehreren Büchern dargelegt.