Zerklüftete Felslandschaften, skurrile Gesteinsformationen. Die Badlands im Osten Albertas gelten weltweit als eine der wichtigsten Fundstellen für Dinosaurierskelette.
Meilenweit ziehen sich schnurgerade Straßen an einem Patchwork aus Weizen-, Raps und Luzernefeldern entlang, leicht ins bräunlich wechselndes Gelb trifft auf sattes Grün und zartes Blau. Dann wieder taucht in der Ferne am Ende eines abzweigenden Schotterwegs ein Farmhaus auf, davor Weiden, auf denen einige Kühe und Pferde grasen. Nennenswerte Städtchen gibt es im Osten Albertas kurz vor der Grenze zur Nachbarprovinz Saskatchewan kaum und die Landschaft scheint auf den ersten Blick ziemlich eintönig. Bis hinter dem Städtchen Brooks dicht neben der Straße Erdspalten in den Wiesen und Feldern sichtbar werden.
Was zunächst noch wie Bewässerungsgräben oder Ausschachtungen für Kabelarbeiten wirkt, ähnelt bald einem Netzwerk von mal flacheren Tälern, dann wieder tieferen Schluchten. Wir sind auf dem Weg zum Dinosaur Provincial Park, der inmitten der Canadian Badlands in der Provinz Alberta liegt. Und der schon 1979 zum Unesco-Welterbe ernannt wurde und damit eine der ersten Welterbestätten überhaupt ist. Denn ebenso einzigartig wie die Landschaft sind Pflanzen- und Tierwelt dieser karg wirkenden Region. Die Badlands sind tatsächlich ein Ökosystem, in dem allein rund 160 verschiedene Vogelarten, aber auch Dutzende Reptilienarten sowie der sogenannte Gabelbock, der entfernt afrikanischen Antilopen ähnelt, zu Hause sind.
Überraschend vielfältiges Ökosystem
Vor rund 75 Millionen Jahren bedeckte tropische Vegetation die Landschaft, mehrere Flüsse zogen sich hindurch, mündeten östlich in ein Binnenmeer, das damals den Westen vom Osten Kanadas trennte. Flugsaurier schwebten über gigantischen Redwood Trees und stattlichen Farnen, eine üppige Pflanzenwelt bot reichlich Nahrung für Dutzende Dinosaurierarten. Später veränderten sich Klima und Landschaft, Wasser und Wind gruben sich durch weichere Gesteinsschichten, in denen sich organisches Material abgelagert hatte. Flüsse suchten sich neue Wege durch die einer Mondoberfläche ähnelnden Landschaft, aus der bizarre Felsformationen, die sogenannten Hoodoos, als Überbleibsel früherer Gesteinsschichten emporragten. „Schlechtes Land“ nannten bereits die First Nations das Land und französische Pelzjäger prägten den Begriff „les mauvaises terres à traverser“ – also „das schwer zu durchquerende Land“. Heute fahren Besucher zumindest bis zum Besucherzentrum des Dinosaur Provincial Park bequem mit dem Auto, schauen sich dort die Ausstellung und einen Film über Dinosaurierfunde an und starten dann zu einer Tour mit Ranger-Begleitung.
Amanda ist heute unser Guide. Die junge Frau hat ein Requisit dabei – einen barbiepuppengroßen Tyrannosaurus rex aus grüngelbem Kunststoff. Der wird auf dem Armaturenbrett des Minibusses platziert, in dem die Rangerin ihre Gruppe erst mal auf Staubpisten in den Park hineinfährt. Rechts und links ragen ocker- und kreidefarbene Hoodoos auf, mal schmal wie Orgelpfeifen, dann wieder wie gigantische Pilze. Und schon halten wir auf einem kleinen Felsplateau, von hier hat man einen guten Blick über die zerklüftete Landschaft.
Die Badlands in Alberta seien aus mehrerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes, sagt Amanda. Hier gebe es eine Vielfalt von fossilen Funden wie an kaum einem anderen Ort. Dass man inzwischen Hunderte von Dinosaurierskeletten unterschiedlichster Arten ausgegraben habe, gehe auf zwei Pioniere der amerikanischen Paläontologie zurück.
Nämlich auf Barnum Brown und Charles Hazelius Sternberg, denen es Anfang des 20. Jahrhunderts gelang, in einem Zeitraum von nur sieben Jahren über 300 Skelette aus dem trockenen Boden zu bergen. Unter heute kaum vorstellbaren Bedingungen: Das Team wohnte in Zelten oder einfachen Holzhütten, das Klima in den Badlands setzte den Wissenschaftlern zu, das Bergen der tonnenschweren Fossilien war schwerste körperliche Arbeit. So schildert es Amanda und fordert dann ihre Gäste auf, doch immer wieder den Blick nach unten zu richten. Mit etwas Glück ließen sich hier quasi am Wegesrand Bruchstücke von Knochen, vielleicht sogar ein versteinerter Schildkrötenpanzer entdecken.
Zahlreiche Originalskelette
Einmal selbst Paläolontologe sein, das ist zwei Autostunden weiter nordwestlich in Drumheller möglich, der Dinosaurier-Hauptstadt Albertas. Nahe des 8.000-Einwohner-Städtchens am Red Deer River entdeckte der Geologe und Forschungsreisende Joseph Burr Tyrrell Ende des 19. Jahrhunderts Skelett und Schädel eines riesigen fleischfressenden Sauriers, dem Albertosaurus. Weitere spektakuläre Funde folgten. Heute sind in dem aufwendig gestalteten Royal Tyrrell Museum zahlreiche Originalskelette zu sehen, dazu die auf dieser Grundlage rekonstruierten Saurier, die hier vor der dazu gehörenden Vegetation quasi in ihrem natürlichen Lebensraum ausgestellt sind. Mindestens genauso spannend ist es, durch große Glasfenster in den Ausstellungsräumen in die Werkstätten zu schauen, wo wissenschaftliche Mitarbeiter mit spachtelähnlichen Werkzeugen oder Pinseln Fundstücke nach und nach vom umgebenden Sediment befreien. So wie Ramone, der gerade versucht, mit einem Skalpell eine dünne Sandsteinschicht von einem Knochenfragment abzuschaben. Höchst vorsichtig natürlich, schließlich ist das Fundstück 70 bis 75 Millionen Jahre alt.
Doch im Royal Tyrrell geht es nicht nur ums Zuschauen, wie in fast jedem nordamerikanischen Museum stehen Mitmachangebote hoch im Kurs. Und so geht’s am Nachmittag mit den Studentinnen Joanne und Lisa in ein nahe gelegenes ausgetrocknetes Flussbett, die Konturen unter dem staubigen Boden lassen es erahnen, unter dem bröckligen Gestein könnte etwas verborgen sein. Also hocken wir uns in den Staub, beginnen vorsichtig, den Sand und das Gestein von den darunter liegenden Dinosaurierknochen zu kratzen. An diesem Nachmittag sind unsere Übungsobjekte zwar nur aus Kunststoff, das Royal Tyrrell Museum bietet aber für alle Altersgruppen richtige Forschercamps an. In denen kann man dann unter fachkundiger Leitung eine ganze Woche lang nach Dinosaurierknochen graben und mit etwas Glück vielleicht das nächste Ausstellungsstück fürs Museum aus dem Gestein befreien.