Erste leichte Lockerungen der rigiden Einschränkungen geben Hoffnung. Die sollte aber nicht zu trügerischer Leichtfertigkeit führen. Der Kampf gegen den heimtückischen Feind Sars-CoV-2 ist ein Langstreckenlauf.
ie Krise ist nicht vorbei. Das ist wohl einer der Sätze, die insbesondere in den Tagen vor Ostern besondere Konjunktur hatten. Den Tagen, an denen die Diskussion um eine schrittweise Rückkehr aus der Ausnahmesituation Fahrt aufnahm und in die sich, neben den inzwischen hinlänglich bekannten Gesichtern, selbst der Deutsche Ethikrat mit bemerkenswerten Anmerkungen eingeschaltet hat. Dazu gehört unter anderem der Hinweis: „Wissenschaftliche Beratung der Politik ist wichtig, sie kann und darf diese aber nicht ersetzen". Das gilt dann eben auch für die Frage nach dem Weg aus den „aktuellen rigorosen, massiv und flächendeckend freiheitsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen". Aus dieser Situation müsse es „Öffnungsperspektiven" geben mit Etappenzielen von der „Eskalations- auf eine Normalisierungsstrategie".
Es war also Licht am Ende des Kontaktbeschränkungstunnels zu sehen. Gleichzeitig bleibt der Satz im Raum, dass der Kampf gegen das Virus noch lange nicht gewonnen ist – selbst wenn die Entwicklung der Infektionszahlen rückläufig ist. Die Warnungen vor zu schnellen Lockerungen aller Einschränkungen sind auch von der Sorge getragen, in eine zweite große Infektionswelle zu schlittern. Ein Grund für die in manchen Augen übervorsichtig erscheinende Haltung: Es gibt nach wie vor keine Medikamente oder Impfstoffe gegen das allgemein als „tückisch" bezeichnete Sars-CoV-2.
Dabei tobte bereits eine heftige Auseinandersetzung, als ruchbar wurde, US-Präsident Trump wolle sich das Tübinger Pharma-Unternehmen Curevac unter den Nagel reißen, um sich so einen in der Entwicklung befindlichen Impfstoff exklusiv für die USA zu sichern. Bundesregierung und EU sprangen daraufhin sofort dem Unternehmen bei. Aus Brüssel wurde Bereitschaft zur millionenschweren Forschungsunterstützung signalisiert, damit das Know-how in Europa bleibe, das mögliche Ergebnis aber der ganzen Welt zugutekommen sollte. Zwar gab es an dieser Darstellung Zweifel, das Unternehmen selbst dementierte sogar angebliche Kaufangebote, aber die Geschichte schien zunächst ziemlich plausibel.
Das hat nicht nur damit zu tun, wie sich Präsident Trump grundsätzlich auf dem internationalen Parkett aufführt. Es hat auch mit der allgemeinen Verunsicherung und nicht zuletzt mit dem für die meisten wenig durchschaubaren Verhalten der Pharmaunternehmen zu tun, mit dem sie Kritikern offene Flanken boten und bieten. Pharmakonzerne sind Wirtschaftsunternehmen, die Milliarden-Investitionen in Forschung stecken, logischerweise nicht mit dem Kalkül, das Geld in den Sand zu setzen.
Dass Wirtschaftlichkeits- und Gesundheitsinteressen nicht zwingend deckungsgleich sind, ist zwar keine besonders neue Erkenntnis. Die Corona-Krise hat dies aber in unterschiedlichsten Bereichen schonungslos offengelegt. Unabhängig davon hängen längerfristige Erfolge im Kampf gegen die Pandemie entscheidend davon ab, ob es Forschern in Wissenschaft und Industrie gelingt, Mittel und Impfstoffe gegen den „unsichtbaren Feind" zu entwickeln – und Unternehmen, diese ausreichend zu produzieren. Dazwischen allerdings liegt ein schwieriger Weg.
Entscheidend ist: nachweisbar wirksam und sicher
Ganz so einfach, wie es sich der bereits zitierte US-Präsident vorstellt, verhält es sich keineswegs. Trump hatte bekanntlich schnell und öffentlich einen bekannten Wirkstoff ins Gespräch gebracht, ohne dass es auch nur halbwegs abgesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit gab. Die hatte auch der Präsident nicht, dafür aber, wie er betonte, „ein gutes Gefühl".
Darauf verlässt man sich in der Welt wissenschaftlicher Forschung eher nicht, wenn es um Zulassung von Wirkstoffen und Medikamenten geht. Das Bundesgesundheitsministerium dämpft Erwartungen an schnelle Durchbrüche. Impfstoffe müssten nachweisbar wirken und müssten sicher sein, also keine anderen Gesundheitsschäden verursachen. Viren haben die unangenehme Eigenschaft, die gleichzeitige Erfüllung beider Kriterien äußerst schwer zu machen.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit mehr als 40 Impfstoffentwicklungen am Laufen, darunter eben auch bei Curevac. Dessen Chef, Franz-Werner Haas, lässt offen, ob ein Impfstoff „noch dieses Jahr oder erst 2021 für die breite Masse verfügbar" ist. Davor stehen klinische Tests, wie sie bereits angelaufen sind.
Experimentiert wird auch mit Antikörpern von geheilten Patienten. Die würden allerdings nur kurzfristig helfen können – im Gegensatz zu Impfungen mit langfristigem Schutz.
Welche Forschung auch immer zum Erfolg führt: Insgesamt wird einigermaßen übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Entwicklung eines verlässlich getesteten Impfstoffs zwölf bis 18 Monate dauert. Alles, was vorher angepriesen wird, sollte mit großer Zurückhaltung und Skepsis betrachtet werden. Mit dieser Perspektive wird auch die Sorge vor einer möglichen zweiten Welle der Infektionen begründet. Das könnte die Versuchung befördern, Kriterien im Zulassungsverfahren möglicherweise zu raffen. Gegen die durchaus nachvollziehbare Ungeduld sollte der Contergan-Skandal mit seinen verheerenden Folgen hinreichend Mahnung sein.