Immer mehr Frauen nehmen „Freezing“ in Anspruch und lassen ihre Eizellen für einen späteren Kinderwunsch einfrieren. Christoph Müller-Guntrum von Fertilly hat mit uns über mögliche Gründe und den Ablauf gesprochen.
Herr Müller-Guntrum, aus welchen Gründen entscheiden sich Frauen dafür, Eizellen einfrieren zu lassen?
Es gibt eine Reihe von Gründen, Eizellen einfrieren zu lassen, medizinisch „Kryokonservierung“ genannt. Ursprünglich wurde dies aus medizinischen Gründen durchgeführt (sogenanntes „Medical Freezing“), um die Fruchtbarkeit im Vorfeld einer Eierstock-schädigenden Therapie (zum Beispiel einer Krebsbehandlung) möglichst zu erhalten.
Und heute?
Heute überwiegt das sogenannte „Social Freezing“, also der Fruchtbarkeitserhalt aus persönlichen Motiven. Dabei ist die genaue Motivation von Frau zu Frau unterschiedlich. Allerdings handelt es sich bei der häufig verbreiteten Ansicht, Social Freezing werde primär aus Karrieregründen durchgeführt, um einen Mythos. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019 geben knapp 90 Prozent aller Frauen, die sich für Social Freezing entscheiden, als Grund an, noch keinen geeigneten Partner zur Familiengründung zu haben. Nur rund 25 Prozent der Frauen nannten ihre Karriereplanung als Grund (Mehrfachnennungen waren möglich).
Gibt es noch andere Unterschiede zwischen Medical Freezing und Social Freezing?
Beim Verfahren selbst gibt es keinen Unterschied. Was sich unterscheidet, ist die Motivation: Aus medizinischen Gründen (zum Beispiel vor einer Krebsbehandlung) oder aus persönlichen Gründen, das heißt wenn jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt für eine Schwangerschaft ist.
Allerdings gibt es in Deutschland sowie in Teilen der Schweiz und Österreichs das Netzwerk FertiPROTEKT, in welchem sich die teilnehmenden Kinderwunschzentren speziell mit dem Thema Medical Freezing befassen.
Ist hierfür eine Hormonbehandlung notwendig?
Ja – über einen Zeitraum von meist zehn bis 14 Tagen wird ein Hormonpräparat zu Hause selbst injiziert. Die genaue Dosierung hängt dabei unter anderem von der Eizellreserve, dem Alter der Frau, ihrem BMI, weiteren individuellen Faktoren sowie dem Protokoll, welches vom behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin festgelegt wird, ab.
Wie genau sieht die Entnahme aus?
Die Entnahme der Eizellen wird meist unter einer Kurz-Narkose durchgeführt; dieser Eingriff dauert nur etwa 15 bis 30 Minuten. Dabei entnimmt der Arzt/die Ärztin die Follikel an den Eierstöcken durch eine sogenannte „vaginale Follikelpunktion”.
Die Follikel, die im Idealfall alle eine reife Eizelle enthalten, werden mithilfe einer sehr dünnen Nadel abgesaugt. Wie viele Eizellen müssen entnommen werden?
Stark vereinfacht kann man sagen, dass eine größere Menge an Eizellen die Chancen auf eine spätere Schwangerschaft erhöht.
Häufig wird empfohlen, für das Social Freezing mindestens eine Anzahl von zehn bis 20 Eizellen zu entnehmen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 haben Frauen mit 34, 37 und 42 Jahren bei 20 eingefrorenen Eizellen jeweils eine 90-prozentige, 75-prozentige und 37-prozentige Wahrscheinlichkeit für mindestens eine Lebendgeburt.
Es kann durchaus sein, dass es mehrere Zyklen (Durchgänge) braucht, um auf die gewünschte Anzahl Eizellen zu kommen.
In welchem Alter sollte dies optimaler Weise durchgeführt werden?
Das Alter der Frau bei der Eizellentnahme ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für eine spätere Schwangerschaft: Dies liegt daran, dass mit zunehmendem Alter die Qualität der Eizellen abnimmt. Ebenso nimmt die Quantität der Eizellen ab, das heißt, es braucht unter Umständen mehrere Zyklen, um die gewünschte Anzahl Eizellen zur Einlagerung zu erreichen.
Ein kritisches Alter hinsichtlich der Eizellreserve wird häufig bei 35 Jahren gesehen, da statistisch ab diesem Alter der monatliche Verlust an Eizellen überproportional ansteigt.
Wir erleben oft, dass Frauen zu uns kommen, wenn es in der Tendenz schon etwas spät ist, also Ende 30, Anfang 40. Ideal aus medizinischer Sicht wäre eine Kryokonservierung Mitte/Ende 20 beziehungsweise Anfang 30. Dies sind aber wie gesagt nur Statistiken – man muss immer die individuelle medizinische Situation der Frau betrachten.
Wie lange kann man Eizellen einlagern und so den Kinderwunsch hinauszögern?
Die Eizellen sind bei minus 196 Grad Celsius eingefroren, und können theoretisch unbegrenzt gelagert werden. Allerdings hängen Möglichkeit und Erfolgsaussicht auf eine Schwangerschaft auch vom Alter der Frau bei der Kinderwunschbehandlung, sowie diversen weiteren Kriterien – und nicht zuletzt von der Samenqualität des
biologischen Vaters – ab.
Welche Frauen nehmen dieses Angebot vor allem in Anspruch?
Das Durchschnittsalter der Frauen, die sich bei Fertilly über das Thema Social Freezing informieren, ist 38 Jahre. Damit hat es sich allerdings schon mit den Gemeinsamkeiten – hinsichtlich Beruf, Stand et cetera sind die Situationen sehr individuell.
Wie viel kostet die Einlagerung?
Die Einlagerung kostet meist zwischen 300 und 500 Euro pro Jahr.
Sind die Erfolgsaussichten auf eine Schwangerschaft durch eingefrorene Eizellen wesentlich geringer als mit „frischen“ Eizellen oder mittlerweile ähnlich hoch?
Die Erfolgsaussichten sind mit eingefrorenen Eizellen mittlerweile in der Regel genauso gut wie mit frischen Eizellen. Aber auch hier gilt: Die individuellen Erfolgsaussichten hängen von verschiedenen Faktoren, einschließlich des Alters der Frau bei der Eizellentnahme, sowie anderen individuellen Gesundheitsfaktoren ab.
Wovon ist es noch abhängig, ob die Behandlung dann Erfolg hat?
Das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Neben der Anzahl der eingefrorenen Eizellen (und dem Alter der Frau zum Zeitpunkt der Kryokonservierung) spielt vor allem auch das Alter bei der späteren Schwangerschaft eine Rolle. Mit fortgeschrittenem Alter steigt zum Beispiel leider auch das Risiko einer Fehlgeburt. Mit einer steigenden Anzahl der Behandlungsversuche nimmt natürlich auch die Chance auf ein Wunschkind zu. Konkrete Erfolgsaussichten für das Erreichen einer klinischen Schwangerschaft durch eine künstliche Befruchtung können zum Beispiel in den Jahrbüchern des Deutschen IVF-Registers („DIR“) eingesehen werden.
Wer bietet das alles an?
Eine Kryokonservierung von Eizellen wird in der Regel in einem Kinderwunschzentrum vorgenommen, von denen es rund 140 in Deutschland gibt. Da es für die Kryokonservierung ein embryologisches Labor braucht, kann diese zum Beispiel nicht bei den niedergelassenen Gynäkologen und Gynäkologinnen durchgeführt werden.
Wie sieht die Entwicklung aus – nehmen immer mehr Frauen dieses Angebot in Anspruch?
Absolut! Insbesondere in den letzten zwei Jahren haben wir einen starken Anstieg der Anfragen zu diesem Thema gesehen. Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass die Themen (Un-)fruchtbarkeit und künstliche Befruchtung gesellschaftlich immer mehr destigmatisiert und offen diskutiert werden. Im Übrigen lohnt es sich auch für Männer, eine Kryokonservierung ihrer Samenzellen in Betracht zu ziehen.