Nur noch drei Wochen – bis 20. Februar – ist die bemerkenswerte Ausstellung „Charlotte Berend-Corinth – Wiederentdeckt!" in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums zu besuchen.
Eine Tragödie geht der Begegnung Charlotte Berends mit dem Künstler Lovis Corinth voran. Ihr Vater, der jüdische Kaufmann Ernst Berend, verzockt bei Börsenspekulationen sein Vermögen und erschießt sich. Das sorgenfreie Leben der 20-jährigen Berlinerin endet im Jahre 1900 abrupt. Um das begonnene Kunststudium fortzusetzen, fehlen fortan die Mittel. Charlotte, die bereits als Schülerin Zeichenunterricht erhalten hatte, verfolgt weiter ihren Wunsch Künstlerin zu werden. Der Privatunterricht in der „Malschule für Akt und Porträt" ist günstig. Der Gründer der „Malschule für Weiber" war von München nach Berlin umgezogen und hatte dort sein Atelier errichtet. Charlotte Berend wird Lovis Corinths erste Schülerin. Bald schon folgen die Berufe und Berufungen als Muse, Gattin und Mutter. Sohn Thomas wird 1904 – im Jahr der Eheschließung – Tochter Wilhelmine im Jahr 1909 geboren.
Erste Schülerin in Lovis Corinths Berliner Malschule
Die Karriere von Lovis Corinth nimmt rasch Fahrt auf. Lovis malt Charlotte im Wochenbett. Als sie das Werk sehen möchte, verkündet der Künstler-Mann, dass er es schon verkauft habe. „Die Farbe war, sozusagen, noch nicht trocken." Die Anekdote erzählt Dr. Kathrin Elvers-Švamberk, Kuratorin der Ausstellung „Lovis Corinth – Das Leben, ein Fest!", die parallel, jedoch räumlich getrennt, in der Modernen Galerie läuft. Lovis Corinth war unzweifelhaft eine der überragenden Künstlerpersönlichkeiten der Jahrhundertwende.
Lässt sich neben solch einem Berserker-Künstler-Mann überhaupt eine Eigenständigkeit als Künstlerin realisieren und behaupten? Das Realisieren zielt auf den Zeitaufwand. Neben den genannten Berufen und Berufungen gesellten sich Aufgaben als Agentin und Ausstellungsmitorganisatorin, aber auch Pflegerin – Corinth erleidet 1911 einen Schlaganfall. Das Besetzen und Behaupten einer künstlerischen Position ist für jeden Künstler Herausforderung und Notwendigkeit – für eine Künstlerin jener Zeiten allemal kein einfaches Unterfangen. In der Ausstellung „Charlotte Berend-Corinth – Wiederentdeckt!" lässt sich diesen Fragen nachgehen. Antwort gibt der eigene Blick. Die Direktorin des Saarlandmuseums, gleichzeitig Kuratorin der Ausstellung, Dr. Andrea Jahn, gibt Ihre Antwort: „Insbesondere die Begegnung mit dem Frühwerk von Charlotte Berend, ihre Einblicke in die turbulente Berliner Theaterszene der 1920er-Jahre und die eindringlichen Selbstporträts bezeugen eine Eigenständigkeit und Modernität dieser Künstlerin."
Im Jahr 1908 wagt Charlotte Berend-Corinth etwas noch nicht Dagewesenes. Der nackte weibliche Körper, der immerzu erotisch, sinnlich und in Schönheit dargestellt wurde, erfährt eine Darstellungsweise, die die Klischees bricht. Sie malt, was sich hinter geschlossener Tür abspielt: „Die schwere Stunde" zeigt eine Gebärende. In der Saarbrücker Ausstellung ist eine kleinformatige Vorstudie in Öl zu sehen, daneben hängt, in Originalgröße 120 mal 150 Zentimeter, eine schwarz-weiße Reproduktion. Das Original ist im Zweiten Weltkrieg verschollen. Im Katalogbeitrag von Dr. Andrea Jahn lassen sich Reaktionen der Zeitgenossen von „Sensationserfolg" bis „widerlicher Beigeschmack" nachlesen.
„Etwas ganz Eigenes für sich alleine"
Frech und frivol. Charlotte Berend-Corinths Blätter aus der Welt des Theaters überzeugen durch präzise, klare Linienführung. Der Charme beschwingter Leichtigkeit überträgt sich geradezu. Das Betrachten der Lithografien, ein Vergnügen! Die Tänzerinnen Anita Berber und Valeska Gert sind Inspirationsquelle dieser einnehmenden grafischen Arbeiten. Dem Schauspieler Max Pallenberg widmet sie eine Blattfolge von neun Farblithografien. Diese wurden in Saarbrücken im Zuge der Ausstellungs-Recherche im Kunsthandel aufgefunden und sogar erworben. Wahrlich ein Coup! Die Farblithografien zeigen Pallenberg, porträtiert in unterschiedlichen Charakterrollen. Mit dem Porträt – als auch dem Landschaftsaquarell und dem Stillleben – beschäftigte sie sich auch im amerikanischen Exil. Charlotte Berend-Corinth war 1939 in die Vereinigten Staaten emigriert.
Im Zuge der wissenschaftlichen Recherche fand Dr. Roland Augustin heraus, dass Charlotte Berend-Corinth am 10. Januar 1932 – fast genau vor 90 Jahren – in Saarbrücken gewesen ist. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung „Werke deutscher Künstlerinnen". Sie stellte unter anderen mit Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker im Staatlichen Museum Saarbrücken aus. In einem Vortrag zur Eröffnung äußert sie sich zu ihrem künstlerischen Selbstverständnis. Die Saarbrücker Landeszeitung zitiert, dass sie in ihrer Kunst das Glück erfahre „etwas ganz Eigenes für sich allein zu besitzen".