Frankfurt (Oder) hat etwas Spezielles: das weltweit einzige Literaturmuseum zu Leben und Werk des Dichters Heinrich von Kleist (1777 – 1811). Allein dafür lohnt sich eine Reise in die kleine Stadt am äußeren Rand der Republik.
Zugreisende machen die Bekanntschaft mit dem größten Sohn der Stadt, Heinrich von Kleist, bereits auf dem Bahnsteig: Ein Plakat empfängt sie mit seinem Bildnis und der Aufschrift „Ich bin dir wohl ein Räthsel …? " Das macht neugierig. Wer der Kleistroute folgt, findet das Kleistmuseum leicht, nur in Wurfweite von der Oder entfernt, in Nachbarschaft der wuchtigen Marienkirche und des mittelalterlichen Rathauses. Das Museum residiert in der ehemaligen Garnisonschule, einem anmutigen zweigeschossigen Bau mit gewölbtem Mansardendach – es ist eines der wenigen historischen Gebäude im Stadtzentrum, das den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Denn das Zentrum der Stadt brannte 1945 aus, auch das Geburtshaus Kleists gibt es nicht mehr.
Die Garnisonschule – das heutige Kleistmuseum – hatte Leopold von Braunschweig 1777 für Kinder minderbemittelter Soldaten bauen lassen. Das war im Geburtsjahr von Kleist. Er kam am 18. Oktober als Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist zur Welt, war fünftes Kind und erster Sohn von Joachim Friedrich von Kleist. Der stand als Stabskapitän beim Regiment des schon erwähnten Generalmajors Leopold von Braunschweig, einem Verwandten des preußischen Königs, in Diensten.
Garnisonschule wird Museum
Dem jungen Heinrich, Spross einer weitverzweigten pommerschen Ur-Adelsfamilie, war es vorbestimmt, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen. Als Fünfzehnjähriger nahm er es hin, war aber keineswegs glücklich damit. Nach Entlassung auf eigenen Wunsch versuchte er es mit dem Studium der Naturwissenschaften, belegte unter anderem Physik und Mathematik an der alten Universität Frankfurt (Oder), einer Vorgängerin der heutigen Europa-Universität Viadrina. Nach drei Semestern jedoch schmiss der unangepasste Studiosus Kleist enttäuscht hin, weil es auch in den Wissenschaften mit wirklich „freier Geistesbildung" nicht weit her war, wie er meinte, und machte abermals einen harten Schnitt.
Fortan mäanderte er durch ein scheinbar planloses Leben, wollte Ehemann und Bauer werden, Schriftsteller, Verwaltungsangestellter, Zeitungsverleger. Nie reichte es zum Leben. Selbst Goethe, den er in einem Brief 1808 „… auf den Knien meines Herzens …" um Aufführung seiner Stücke bat, ließ ihn harsch abblitzen. Kleist verließen die Kräfte. 1811 schoss er sich am Kleinen Wannsee im Süden von Berlin eine Kugel in den Kopf, „… die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war", schrieb er im Abschiedsbrief an seine Halbschwester Ulrike. Da war er gerade 34 Jahre alt.
Umso bemerkenswerter ist, was uns dieser rastlose, sich immer wieder infrage stellende Autor in seinem kurzen Leben hinterlassen hat: Dramen wie „Das Käthchen von Heilbronn" und „Prinz Friedrich von Homburg", Komödien wie „Der zerbrochne Krug" und Erzählungen wie „Michael Kohlhaas". Sie zählen heute zu den Schwergewichten in der deutschsprachigen Literatur und Dramatik. Dieser Schatz wird im Kleistmuseum in Frankfurt (Oder) bewahrt, gesammelt und erforscht.
Lange Zeit war die Garnisonschule in der Faberstraße Frankfurts der einzige Schau- und Gedächtnisort für Kleist. Die Stadt richtete das Haus in den 60er-Jahren mit den damaligen Möglichkeiten her. So konnte das KleistMuseum 1969 hier einziehen. Es ging beengt zu, die wachsenden Bestände mussten schließlich in einem nüchternen Zweckbau aus den 50er-Jahren untergebracht werden.
Nach der Wende setzte sich ein Trägerverein dafür ein, ein „neues Haus für Kleist" zu bauen. Doch die Stadt Frankfurt, der die Arbeitsplätze wegbrachen und ein Drittel der Bevölkerung abhandenkam, war völlig überfordert. Erst Wolfgang de Bruyn, der 2007 die Leitung des Kleist-Museums übernahm, fand Mittel und Wege, diesem Ziel näherzukommen. „Ich kannte letztlich alle, die in Kultur- und Denkmalschutz etwas zu sagen hatten und wusste, wie die Stadt tickt", so de Bruyn in einem Interview.
5,4 Millionen Euro kamen schließlich von Bund, Land, der Europäischen Union und Stadt zusammen. Der 200. Todestag des Dichters war Anlass für ein nationales Kleistjahr, das die Republik 2011 bundesweit ausrichtete. Die Stadt stellte ein Grundstück neben der Garnisonschule zur Verfügung. 2013 war das neue Haus für Kleist fertig. Edel wirkt es von außen mit seiner schlichten Fassade aus Wachenzeller Dolomit – im Inneren lässt es die Seele frei atmen. Damit hat Frankfurt (Oder) nun eines der schönsten Literaturmuseen landesweit. 34.000 Bestandseinheiten waren endlich sicher zusammengeführt.
Bibliothek mit mehr als 10.000 Bänden
Unter dem Titel „Rätsel. Kämpfe.Brüche. Die Kleist-Ausstellung" unternahm das Museum nun das Wagnis, Besucherinnen und Besuchern einen Kleist zu präsentieren, der der Nachwelt zwar ein wortgewaltiges Werk hinterließ, aber nichts Gegenständliches, „… nicht einmal eine Schnupftabakdose!", wie ein Stadtführer zutreffend beklagte. Diesem Dilemma begegnet das Kleist-Museum mit einer zweigeteilten Dauerausstellung. Im historischen Gebäude, das mit dem neuen Haus durch einen gläsernen Übergang verbunden ist, können Besucherinnen und Besucher wesentliche Stationen aus Kleists Leben sinnlich erfahren, mit Exponaten aus dem jeweiligen Lebensumfeld, mit Nachbildungen, Rauminstallationen und charakteristischen Gemälden.
In der ersten Etage des großzügigen Neubaus dann steht ganz die Sprache des Dichters im Fokus. Kuratorin Barbara Gribnitz hat Vieldeutigkeit und Wortfindungsreichtum in Werken und Briefen des Dichters untersucht und für die Präsentation eine sehr anschauliche Form gefunden. Auf Ständern liegende hinterleuchtete Buchseiten laden zu ausgiebigem Lesen, Entdecken und Verstehen ein. Eine Etage höher, in der Bibliothek, wird vermutlich jeder, der Kleist lesen, über ihn schreiben oder forschen will, fündig werden. Sie umfasst über zehntausend Bände und ist der Öffentlichkeit zugänglich. Wertvolle Erst- und Frühausgaben aus der Kleistzeit gehören ebenso zum historischen Bestand wie Werke von zwei weiteren Mitgliedern der weitverzweigten Adelsfamilie, nämlich Franz Alexander von Kleist und Ewald Christian von Kleist.
Zum größten „Schatz" des Literaturmuseums in Frankfurt gehören aber auch Original-Handschriften von Kleist. Das ist nicht selbstverständlich, denn sie sind rar und damit außerordentlich kostbar. Weltweit bekannt ist nach heutigem Stand die Existenz von nur 173 Briefen. Knapp 100 davon lagern in der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau. Doch immerhin elf Zeugnisse von der Hand des Dichters hütet das Frankfurter Kleist-Museum. Sie lagern in speziellen Räumen unter Einhaltung strenger konservatorischer Standards und werden nur zu besonderen Anlässen gezeigt.
Seit 1. Februar leitet die Potsdamerin Anke Pätsch das Museum. Sie hat in den vergangenen Jahren als Stiftungsmanagerin im Bundesverband deutscher Stiftungen gearbeitet. Ihr kommt die Tatsache sehr entgegen, dass das Kleist-Museum seit 2019 als Stiftung des Landes Brandenburg auf soliden finanziellen Füßen steht. Mit spannenden Ausstellungsformen will sie nun neue Impulse setzen und das Haus auch international noch bekannter machen.