Mit der Ausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“ zeigt die Alte Nationalgalerie in Berlin, wie sich die Avantgarde um 1900 in München, Wien und Berlin vom verstaubten Kunstbetrieb löste.

Eine Frau in knallgelbem Kleid. Das Sofa, auf dem sie sitzt, ist das einzige Objekt im Raum. Nichts drum herum lenkt Betrachtende ab. Es geht allein um sie, um ihre selbstbewusste, sinnliche Präsenz. „Ein großartiges Bild. In unserem Haus ist es ein Publikumsmagnet“, sagt Ursula Storch, stellvertretende Direktorin des Wien-Museums beim Rundgang durch die Alte Nationalgalerie in Berlin. Im Rahmen der Sonderausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“, die über 200 Gemälde, Skulpturen und Grafiken von 80 Künstlerinnen und Künstlern vereint, ist auch die „Dame in Gelb“ des österreichischen Jugendstil-Malers Max Kurzweil von Wien an die Spree gereist.
Neue Sujets auf die Leinwand bringen
Kurzweil gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Wiener Secession, jener Vereinigung von Künstlern, die sich 1897 als Gegenpol zu etablierten Akademien und Kunstvereinen formierte. Secession leitet sich vom Lateinischen „secessio“ (Absonderung) ab. Die Mitglieder der Secession wollten sich absondern von dem der Obrigkeit schmeichelnden Nationalismus und Historismus in der Kunst, von konservativen Juroren und deren Ausstellungspolitik. Die Avantgarde wollte experimentieren und neue Sujets auf die Leinwand bringen. Sie suchte den internationalen Austausch, wollte Anschluss finden an moderne, vor allem von Frankreich ausgehende Strömungen der Malerei, Grafik und Bildhauerei.
„Viele Kunstinteressierte im heutigen Wien denken, dass die Wiener Secession die erste ihrer Art gewesen ist. Doch dem ist nicht so“, sagt Ursula Storch, die die Berliner Ausstellung mit kuratiert hat. „Ohne das Vorbild ihrer Münchener Kollegen hätten die Wiener den Bruch mit dem traditionellen Kunstbetrieb vielleicht gar nicht gewagt.“
In der bayerischen Metropole hatten sich Kunstschaffende schon fünf Jahre zuvor neu aufgestellt, weil sie sich von konservativen Institutionen und der Kunstpolitik des bayerischen Prinzregenten Luitpold eingeengt fühlten. In der damals noch jungen deutschen Hauptstadt formierte sich 1898 eine weitere Secession. Ihrer Gründung waren heftige Dispute zwischen Traditionalisten und Avantgardisten vorausgegangen. Ein erster großer Streit hatte sich Anfang der 1890er-Jahre an den Werken Edvard Munchs entzündet. Für den damals noch unbekannten Norweger hatte der Berliner Kunstverein auf Empfehlung eines seiner Mitglieder eine Einzelausstellung organisiert. Kaum eröffnet, wurde diese schon wieder geschlossen. Munchs Bilder seien abstoßend, hässlich, Munch male wie ein Schwein, entrüstete sich eine Mehrheit im Künstlerverein.

Diejenigen, die das anders sahen, luden aus Protest 1893 zur „Freien Berliner Kunstausstellung“ ein. Als dann aber 1898 ein Landschaftsgemälde von Walter Leistikow von den Juroren des Künstlervereins abgelehnt wurde, kam es endgültig zum Bruch. 65 Kunstschaffende – in Berlin waren auch einige Frauen dabei – gründeten die Berliner Secession. Leistikow wurde ihr Organisator, Max Liebermann ihr Präsident.
Während Liebermann heute als Führungspersönlichkeit der Berliner Secession gilt, präsentiert die Ausstellung Franz von Stuck als prägende Figur der Münchener Secession. Stuck malte und zeichnete Allegorisches, Symbolhaftes. Oft waren seine Darstellungen erotisch aufgeladen. Für die Secession entwarf er die „Pallas Athene“, die Schutzheilige der Bewegung, die bald auf deren Plakaten und Publikationen prangte. In Wien wiederum stach Gustav Klimt als Protagonist des künstlerischen Aufbruchs hervor. Obgleich er sich schon 1905 wieder von der Secession trennte, drückte ihr Klimt wie kein anderer seinen Stempel auf. Klimts ornamentale Stilisierungen gelten bis heute als Markenzeichen der Wiener Secession.
Blick auf Alltag des Industrieproletariats

In der aktuellen Berliner Ausstellung werden Werke der drei Secessions-Zentren unter Überschriften wie „Frühlingserwachen“, „private Einblicke“ oder „Kinderwelten“ versammelt und in Beziehung gesetzt. Die unter dem Titel „illustre Gesellschaft“ vereinten Werke zeigen, wie im Zuge der Elektrifizierung der Großstädte um 1900 Theater, Restaurants und Nachtlokale zu Treffpunkten der Gesellschaft werden – und zu Sujets der Malerei. Tiefe Einblicke ins Wiener Nachtleben gewährt Josef Engelhart, auch er ein Mitbegründer der Wiener Secession. Subtil deckt er Beziehungen zwischen den scheinbar zufällig versammelten Menschen in einem Amüsierlokal auf. Straßenszenen aus dem nächtlichen Berlin hat Lesser Ury aus gewagter Perspektive auf die Leinwand gebannt. Gleichzeitig rücken aber auch die Schattenseiten der Verstädterung und Industrialisierung ins Blickfeld der Kunstschaffenden. Hans Baluschek und Käthe Kollwitz, beide seit den Anfängen mit der Berliner Secession verbunden, zeigen den Alltag des Industrieproletariats in all seinen Facetten. In Wien widmet sich Elena Luksch-Makowsky dem unteren Rand der Gesellschaft. Ihre Darstellung sozialen Elends gipfelt in dem Gemälde „Der Katzenfresser“. Beklemmend düster zeigt das fast eineinhalb Meter hohe Bild einen Obdachlosen mit seiner grausigen Beute. Stärker als Luksch-Makowskys „Katzenfresser“ und Klimts goldglänzende „Judith“ könnten zwei Gemälde derselben Epoche kaum kontrastieren. Wenige Jahre zuvor fertiggestellt, wurde „Judith“ 1905 bei einer Secessions-Ausstellung in Berlin gezeigt. Erstmals seither ist das berühmte Frauenbildnis jetzt wieder an der Spree zu sehen.