Es ist Wahljahr – und es ist Krieg in Europa. Der russische Überfall auf die Ukraine überschattet nicht nur die Wahlen. Er hat auch unmittelbar Einfluss auf Themen und Wahlkampf.
Der CDU-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Tobias Koch, zeigt sich besorgt. Es sei zu befürchten, dass „landespolitische Themen vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage vielleicht gar nicht so ins Bewusstsein rücken, wie das unter normalen Umständen der Fall wäre", wird der CDU-Politiker bereits Anfang April zitiert. Gleichzeitig gibt es sehr konkrete landespolitische Bezüge zum Krieg und dessen Auswirkungen, beispielsweise in der Energiefrage. Der Ausbau erneuerbarer Energien hat jetzt eine andere Diskussionsgrundlage – und im Norden wird ein schon länger diskutiertes Thema jetzt konkret: Der Bau eines Terminals für Flüssiggas (geplant in Brunsbüttel). Sogar Erdölförderung ist wieder ein Thema.
Die Agenda hat sich verändert, ob das aber großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen im Mai haben, wird sich erst an den Wahlsonntagen (8. Mai Schleswig-Holstein, 15. Mai Nordrhein-Westfalen) zeigen.
Im Saarland, das als erstes Bundesland in Kriegszeiten gewählt hat, zeigen Wahlanalysen, dass der Krieg in der Ukraine zwar ein übergreifendes Thema war, letztlich die Wahlentscheidungen aber hauptsächlich an landespolitischen Erwägungen orientiert war. Das bestätigt die Erfahrung vieler Wahlkämpfer. Natürlich war der Krieg ein Thema an Wahlkampfständen. Aber eher in dem Sinn, dass Menschen Ansprechpartner gesucht haben für ihre Fragen. Entscheidend war da, ob Wahlkämpfer ein offenes Ohr und Verständnis hatten. Zu diesem Zeitpunkt tobte der Krieg seit vier Wochen.
Statt Energiewende steht Bezahlbarkeit im Fokus
Inzwischen sind sowohl das brutale Ausmaß des Krieges als auch die Folgen klarer sichtbar. Die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen hat in den beiden Mai-Landtagswahlkämpfen bislang keine erkennbare Rolle gespielt. Im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Fragen, wenn immer deutlicher wird, was dieser Krieg weltweit ausgelöst hat. Das Thema Energie hat jedenfalls einen anderen Stellenwert bekommen, und sorgt für eine andere Diskussion als bislang. War der Klimaschutz zuvor das zentrale Argument für eine Energiewende, hat sich jetzt der Schwerpunkt auf Fragen von Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit verlagert. Insbesondere die Grünen müssen unter dem Druck der Ereignisse Positionen nachschärfen.
In den Parteizentralen sind die geplanten Kampagnen für die jeweils heiße Wahlkampfphase überprüft worden. An einigen Stellen sind programmatische Aktualisierungen eingeflossen, aber im Kern haben die Parteien an ihren Linien festgehalten. Womöglich auch mit Blick auf die saarländischen Erfahrungen.
Eine Konstante gibt es bei der SPD: Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich trotz der massiven Krise Zeit für Auftritte bei den Auftaktveranstaltungen zum jeweiligen Endspurt genommen – und die Gelegenheiten jeweils genutzt, um in den aktuellen Entwicklungen die Grundlagen der Politik der Bundesregierung in dieser Situation zu erläutern.
Eine weitere Folge war bereits im Saarland zu beobachten. Es ist noch einmal deutlich geworden, dass freie Wahlen und die Möglichkeit zu einem friedlichen Regierungswechsel alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind. Mona Neubauer, Spitzendkandidatin der Grünen im NRW-Wahlkampf, betont, „dass es ein Privileg ist, in einer freiheitlichen Demokratie für unsere Positionen werben zu können". Ähnlich äußern sich fast alle Wahlkämpfenden. Ein CDU-Sprecher in NRW vermutet, dass die Menschen vergleichsweise wenig Verständnis für klassisches Wahlkampfgetöse hätten, „während Krieg in Europa herrscht".
In der Tat sind allzu schrille Wahlkampftöne bislang nicht zu verzeichnen. Eher schon, dass Parteien sich selbst etwas zurückgenommen haben. So hat beispielsweise die SPD in NRW auf eine klassische Kampagnenvorstellung verzichtet. Auch sonst ist trotz der gerade in NRW eher aufgewühlten Wahlkampfsituation (Ministerrücktritt, offenes Rennen) ein bislang eher ernster Wahlkampf zu beobachten. Den Umständen angemessen.