Seit über 20 Jahren hat Hessen einen CDU-Ministerpräsidenten. Auch bei der Wahl im Oktober sieht es nicht so aus, als sei damit Schluss. Stand jetzt wird Boris Rhein in Sachen Koalitionspartner freie Wahl haben.
Amtsbonus, Sympathiewerte oder Bundeserfahrung – wenn in Hessen am 8. Oktober gewählt wird, wird das Rennen zwischen Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), Landeswirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) oder Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ausgemacht werden. Mit großem Vorsprung der CDU wäre am Ende wohl sowohl ein schwarz-grünes als auch ein schwarz-rotes Zweierbündnis möglich. Und die FDP?
Mindestens 7,5 Prozent möchte Spitzenkandidat Stefan Naas für seine Partei erreichen – und dann Tarek Al-Wazir als Wirtschaftsminister beerben. „In einer Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP“, sagt er der „Taz“. Möglich wäre das, wenn sich an den Stimmen noch etwas verschieben und ein Zweierbündnis somit nicht möglich sein würde. Wenige Wochen vor der Wahl wirbt Naas: Die CDU brauche „endlich einen besseren Koalitionspartner“. Neun Jahre habe die Union sich von den Grünen „auf der Nase herumtanzen lassen“. Auch der Grünen-Spitzenkandidat Al-Wazir bekommt sein Fett weg: Siebenmal in den vergangenen neun Jahren hätte das hessische Wirtschaftswachstum unter dem deutschen Durchschnitt gelegen. Die Internationale Automobilausstellung sei von Frankfurt nach München abgewandert. Das nordhessische Unternehmen Viessmann habe seine Wärmepumpen-Sparte verkauft, weil es nicht daran glaube, dass es an seinem bisherigen Standort Wachstumschancen habe. Ein Bündnis mit den Grünen will er trotz aller Kritik dann aber doch nicht ausschließen.
Derweil warnte CDU-Ministerpräsident Rhein: „Wer FDP wählt, wählt die Ampel!“ Und nach einer Umfrage von Infratest Dimap möchten dies die Hessen auf keinen Fall: Für 45 Prozent der Befragten seien die Ereignisse in der Bundespolitik auch auf Länderebene entscheidend für die Stimmabgabe. Naas kommentierte dies nicht, sagte nur: „Die hessische CDU hat sich entschieden, links zu blinken. Viel Spaß noch mit den Grünen.“ Dabei hat die aktuelle Koalition in Hessen gute Zufriedenheitswerte. Nach Umfragen von März 2023 sind 49 Prozent der Hessen zufrieden mit der aktuellen Regierung. 32 Prozent seinen weniger zufrieden, nur zehn Prozent gar nicht zufrieden. Drei Prozent gaben sogar an, sehr zufrieden mit dem schwarz-grünen Bündnis zu sein.
„Einen besseren Koalitionspartner“
Weniger zufrieden zeigte man sich dafür mit der Kandidatur der SPD-Ministerin Nancy Faeser: 45 Prozent der befragten Hessen sahen die Kandidatur der Bundesministerin als sehr negativ an, nur 24 Prozent als sehr positiv (14 %) beziehungsweise eher positiv (10 %). Dennoch gibt sich Faeser kampfeswillig: Sie wolle „um jede Stimme kämpfen“. „Ich sehe das Rennen noch offen“, sagte die Spitzenkandidatin fünf Wochen vor der Landtagswahl. Dabei setzt sie insbesondere auf das Thema Bildung. Schul- und Bildungspolitik war für ein Drittel der Befragten das wichtigste Thema bei der Wahl, gefolgt von Zuwanderung (25 Prozent), Mobilität (18 Prozent) und Umwelt- und Klimaschutz (16 Prozent). Dennoch dümpelt die SPD weiter im Mittelfeld.
„Frau Faeser hat bei allem, was zu mehr innerer Sicherheit beiträgt, meine volle Unterstützung“, sagte derweil Amtsinhaber Rhein über seine Gegenkandidatin. Das Problem sei nur, außer Ankündigungen habe er aus Berlin bisher wenig gehört „und alles, was sie dann angekündigt haben, ist in sich zusammengefallen.“ Schuld sei die rot-grün-gelbe „Chaos-Koalition“. Mit dem Thema Innere Sicherheit möchte Rhein auch diese Legislaturperiode punkten: Mehrfach kritisierte er die Zuwanderungspolitik der Berliner Ampel. Rhein ist seit 2022 Ministerpräsident, löste damit seinen Vorgänger Volker Bouffier ab und führt die seit 1999 andauernde CDU-Spitze fort. Bisher scheint alles dafür zu sprechen, dass er das auch weiterhin können wird.
Die Grünen entsenden derweil das erste Mal in der Geschichte Hessens einen eigenen Spitzenkandidaten. Tarek Al-Wazir ist als Stellvertreter Rheins und Wirtschaftsminister ein angesehenes und beliebtes Mitglied der Regierung. Die Grünen wollen den Wandel Hessens zu einem klimaneutralen Land gestalten und die Energie-, Wärme- und Verkehrswende verwirklichen.
Und während die Linke nach aktuellen Umfragen kaum mehr eine Rolle spielt, legt das andere Ende des politischen Spektrums im Endspurt nochmals zu: Die AfD befindet sich aktuell auf Platz vier der Umfragewerte. Ihr Kandidat Robert Lambrou betont, es sei „nur noch eine Frage der Zeit“, bis eine Koalition mit der AfD unumgänglich wäre: „Es ist wirklich Zeit für einen Politikwechsel. Und das kann die CDU nicht mit den Grünen“, sagte der 55-Jährige im HR-Sommerinterview. Inhaltlich habe die Union eine größere Nähe zur AfD als zu den Grünen – etwa in der Flüchtlingspolitik, bei der Kernkraft oder der Senkung der Grunderwerbssteuer.