Im politischen Berlin schaut man mit Argusaugen auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Der Ausgang könnte das Klima in der Bundesregierung weiter verschärfen und bei der Union die Kanzlerkandidatenfrage neu entfachen.

Lange musste sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser von ihren SPD-Genossen aus Hessen bitten lassen, dann entschied sie sich aber doch für die Spitzenkandidatur im Landtagswahlkampf. „In enger Absprache mit dem Bundeskanzler“, wie die 53-Jährige aus dem Taunus auch FORUM gegenüber betont. Doch so ganz wohl war ihr im Frühjahr bei dieser Entscheidung nicht. Die Spitzenpolitikerin kennt die Fallstricke. Noch nie ist es einem Vertreter der Bundesregierung gelungen, aus seiner Position als Bundesminister heraus einen Vorteil als Spitzenkandidat zu ziehen, sprich den Urnengang für sich zu entscheiden. Stichwort Doppelbelastung: Berlin und Landtagswahl im Heimatbundesland. Doch was sollte Faeser machen: Ihr hessischer Landesverband hat kein anderes prominentes Gesicht. Und so tingelt die Bundesinnenministerin in diesen Tagen zwischen Berlin und Hessen hin und her.
Auch im von der SPD geführten Bundeskanzleramt sieht man die Spitzenkandidatur der Innenministerin mehr als kritisch. Aber auch hier musste man sich der Erkenntnis beugen: Es gibt zu Faeser als Spitzenkandidatin innerhalb der Hessen-SPD keine Alternative. Auch wenn damit der Eindruck entsteht, Faeser sei nur noch Bundesinnenministerin auf Abruf, wenn sie letztlich Erfolg haben sollte.
Doch laut jüngsten Umfragen muss sich Bundeskanzler Scholz wohl nicht für die Zeit nach dem 8. Oktober, dem Landtagswahltermin, um eine Nachfolge für Faeser auf Bundesebene kümmern. Ärgerlich für den Regierungschef: Mit so einer Kandidatur wird auch die Regierungspolitik in einen Landtagswahlkampf reingezogen. Stichwort Arne Schönbohm. Mitten in der heißen Wahlkampfphase ging es plötzlich wieder um die Entlassung des Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Laut einer Fernsehsendung soll er mit russischen Diensten zu eng zusammengesteckt haben – was sich strafrechtlich allerdings nicht wirklich beweisen lässt. Doch Faeser verlor nach der Ausstrahlung der Sendung „endgültig das Vertrauen“, wie es in einer Pressemitteilung aus dem Bundesinnenministerium hieß, zu ihrem Cyber-Sicherheitspräsidenten und versetzte ihn intern. Eigentlich eine Lappalie, Schönbohm hat nach der Abberufung von seinem BSI-Job einen vergleichbaren als Präsident der Akademie für öffentliche Verwaltung erhalten. Dieser ganze Streit zwischen der Bundesinnenministerin und dem ihr unterstellten Präsidenten einer Bundesbehörde wäre nie wieder bundesweit erneut aufgebauscht worden, würde Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin nicht in Hessen um Wählerstimmen kämpfen.
Auch im Kanzleramt hat man aus diesem Fehler gelernt, vor dem im Vorfeld alle gewarnt hatten. Die beiden anderen Koalitionspartner in der Bundesregierung, Grüne und FDP, halten sich zwar mit Kommentaren bezüglich der Causa Schönbohm absolut zurück, doch ganz so ungelegen kommt ihnen das Ganze in der Hessenwahl natürlich nicht. Der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir freut sich über jeden Rückenwind, den er sonst derzeit von seiner Bundespartei eher nicht bekommt.

Der 52-jährige hessische Wirtschaftsminister ist in seiner dritten Amtszeit in einer schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden. Al-Wazir erfreut sich in seinem Land hoher Beliebtheitswerte, doch die Performance seiner bundespolitischen Parteifreunde, vor allem der Bundesminister, hat ihm in den letzten Monaten nicht wirklich geholfen, ganz im Gegenteil. Al-Wazir enthält sich über die Präsentation des Gebäudeenergiegesetzes gegenüber FORUM jeglichen Kommentars, auch wenn es ihm als Wahlkämpfer auf den Marktplätzen vom Wahlvolk reichlich um die Ohren gehauen wurde. Auch Hessen ist Häusle-Land. Er will nicht länger über Fehler sprechen, sondern muss jetzt in der Endphase des Landtagswahlkampfes zwischen Mittelgebirge und Taunus in die Offensive gehen, wenn ihm nicht wieder die bundespolitischen Ambitionen seiner Partei dazwischenkommen.
Bündnis bei Weitem nicht gesichert
Auffällig bei den Grünen: Erfolgreiche Realpolitiker wie Tarek Al-Wazir haben in der Bundespartei wenig zu melden. Al-Wazir ist seit neun Jahren in der Regierungspolitik angekommen. Doch auf den Bundesparteitagen gilt seine Expertise auf Grundlage des realen Regierungshandelns in einem Bundesland nur wenig.
Ähnlich ergeht es dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Auch er wird auf den Bundesparteitagen eher geduldet als herzlich begrüßt. Doch in Hessen geht es für die Partei um eine klare Regierungsentscheidung. Sollten die Grünen aus der Verantwortung rausgewählt werden, wäre das eine politische TotalÂblamage für die Grünen, immerhin wurde im Wiesbadener Landtag mit Joschka Fischer der erste Grünen-Landesminister der Bundesrepublik gekürt. Laut jüngsten Umfragen liegt die CDU in Hessen mit rund 30 Prozent klar vorn, Grüne und SPD kommen auf jeweils um die 19 Prozent. Das schwarz-grüne Bündnis in Hessen ist also keineswegs sicher, die Grünen könnten eine Regierungsbeteiligung zugunsten der SPD doch noch verlieren.
Der sehr wahrscheinliche Wahlgewinner Boris Rhein von der CDU könnte die Qual der Wahl haben, entweder mit der SPD oder weiter mit den Grünen zu koalieren. Ersteres könnte dann auch wieder Auswirkungen auf die Bundesebene haben. Darum gilt auch bei den Grünen im Bundestag momentan die Ansage, bis zum 8. Oktober keine größeren gesetzgeberischen Initiativen mehr zu machen, die am Ende dann im Wahlkampf von der eigenen Klientel missverstanden werden könnten – nicht nur in Hessen.
Die dritte Partei in der Ampelregierung, die FDP, spielt bei diesen Überlegungen nur eine Nebenrolle. Die Liberalen liegen derzeit bei um die sieben Prozent, was nicht wirklich prall ist in einem Bundesland, in dem den Liberalen laut Politikwissenschaftlern eine Kernzielgruppe von gut zehn bis 15 Prozent zugeschrieben wird. Doch FDP-Chef Christian Lindner geht es hier nur noch um den Verbleib im Landtag in Wiesbaden. Was für die Ampelregierung in Berlin gut wäre, denn eine FDP-Wahlniederlage in Hessen und dann obendrein in Bayern würde den Regierungsfrieden in der Bundesregierung erheblich belasten. Klar ist: Läuft Hessen unterdurchschnittlich und ginge auch noch die Landtagsfraktion in Bayern für die FDP verloren – wonach es derzeit laut Umfragen aussieht –, würde auch der Ton in der Bundesregierung erheblich rauer werden. Christian Lindner und auch die Bundestagsfraktion werden alles dafür tun, ihre Partei in den kommenden Monaten thematisch noch weiter in Szene zu setzen.
Die Landtagswahl im Freistaat dagegen ist für die Bundesregierung unterm politischen Strich eher uninteressant, aber für die CDU bundespolitisch umso spannender. Laut jüngsten Umfragen kommt die CSU auf 36 Prozent, für die übrigen Unionsfreunde bundesweit ein schönes Ergebnis, für die Christsozialen in Bayern mehr als unterdurchschnittlich. Zur Erinnerung: Hier holte Franz-Josef Strauß im Oktober 1974 das absolute Rekordergebnis aller Landtagswahlen der Bundesrepublik von 62,1 Prozent. 2003 konnte dann Edmund Stoiber noch einmal mit 60,7 Prozent nachlegen. Sozusagen ein „Mia san mia“-Effekt nach Stoibers gescheiterter Kanzlerkandidatur ein Jahr vorher.
Doch seitdem sind die großen weiß-blauen Zeiten erheblich verblichen. Vor fünf Jahren konnte Markus Söder gerade noch 37,3 Prozent der Stimmen für sich und seine CSU sammeln.
Union-Kanzlerfrage 2.0 im Anmarsch?

Gerade in der CDU-Parteizentrale in Berlin ist man darum mehr als gespannt, was am 8. Oktober passiert. Hessen ist sicher, in welcher Regierungskoalition auch immer. Aber wie gut schneidet Söder ab? Kommt er tatsächlich über 38 Prozent, also besser als sein letztes Wahlergebnis von vor fünf Jahren und die derzeitigen Umfragewerte, könnte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz das gleiche Problem bekommen wie sein Vorgänger Armin Laschet. Die Entscheidung zur Unions-Kanzlerkandidatur soll zwar erst im kommenden Sommer fallen, das ist die Planung in der CDU-Parteizentrale in Berlin, doch wird sich ein möglicherweise politisch wiedererstarkter Markus Söder in München daran halten? Wohl eher nicht, das zumindest lässt die Erfahrung der letzten Jahre vermuten. Die Bayern-Wahl wird gerade für CDU-Chef Merz zu einem echten Test seiner politischen Integrität vor allem innerhalb seiner eigenen Partei.
Sollte Söder bei der Landtagswahl tatsächlich ein respektables Ergebnis bekommen, hätte Merz ein veritables Problem. In Nordrhein-Westfalen lauert bereits Ministerpräsident Hendrik Wüst auf seine Chance zur Kanzlerkandidatur. So dürfte die Union in den Monaten nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen erstmal wieder mit sich selbst beschäftigt sein. Markus Söder weiß nur zu gut, wie man so ein politisches Patt innerhalb der Schwesterpartei CDU ausspielen kann.
Die Ampelregierung in Berlin könnte dann erstmal aufatmen, auch wenn sie bei den beiden letzten Landtagswahlen des Jahres nicht wirklich erfolgreich wäre. Aber zumindest würde sich die Fraktion der Oppositionsführer im Bundestag, also die Union, auf Monate in der Diskussion über ihren Kanzlerkandidaten verstricken – wohlgemerkt für die turnusmäßige Bundestagswahl im September 2025.
Doch läuft es, wie zu vermuten, für SPD, Grüne und FDP nicht so richtig gut, so wäre die Frage erlaubt, ob die Ampel in Berlin bis dahin politisch überhaupt noch durchhält.