Vom Kinder- zum Megastar und weiter zur talentierten Filmemacherin. Der Werdegang von Kristen Stewart ist mindestens ebenso interessant wie ihre Filmografie. Eine Übersicht über Leben und Werk.
Endlich freigestrampelt – das dürfte sich Kristen Stewart schon öfter in ihrem Leben gedacht haben. Erst war da der Übergang vom Kindertalent zum erwachsenen Filmstar, kurzzeitig sogar als bestbezahlte Schauspielerin der Welt. Für den letzten Teil der „Twilight"-Saga stehen 25 Millionen US-Dollar an Fix-Gehalt plus prozentuale Beteiligung an den Einnahmen – insgesamt sollen so 40 Millionen Dollar in ihr Säckel geflossen sein. Nach dem Megaer- folg dreht sie nur noch einen Blockbuster und festigt lieber ihren Ruf als hochkompetente Charakterdarstellerin. Sie schwimmt sich erneut frei und arbeitet an einer Karriere als Regisseurin. Der Titel ihres Kurzfilmdebüts ist bezeichnenderweise „Come Swim".
Es klingt wie ein flaches Klischee, doch das Filmgeschäft wurde ihr wohl in die Wiege gelegt. Als Kristen Jaymes Stewart erblickt sie am 9. April 1990 in Los Angeles das Licht der Welt. Kristens Vater John war TV-Produzent, etwa für Rote-Teppich-Specials für Grammy-, Oscar- und Golden-Globe-Verleihungen. Ihre Mutter Jules liest als „Script Supervisor" Drehbücher Korrektur und schreibt auch selbst Drehbücher, etwa für den Film „K11 – Der Knast", bei dem sie auch selbst Regie führt. Bruder Cameron ist im Kamera- und Elektrikbereich von Filmproduktionen tätig.
Widmete sich ganz dem Schauspiel
Kristen Stewart erweckt bei einem Krippenspiel ihrer Grundschule das Interesse eines Agenten. Sie sammelt erste Erfahrungen in Fernseh- und Independent-Filmen und schmeißt die Schule nach der siebten Klasse, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen. Mit neun Jahren debütiert sie ungenannt im Fernsehfilm „Das dreizehnte Jahr".
Nach zwei weiteren kleinen Rollen kommt es dicke: In David Finchers Spannungs-Spektakel „Panic Room" hat sie 2002 die zweite weibliche Hauptrolle – als zuckerkranke Tochter von Superstar Jodie Foster, die ab dann als ihre filmische Ziehmutter gilt (siehe Seite 26).
Nur zwei Jahre später beweist sie, dass sie einen Film auch komplett alleine tragen kann. In „Speak – Die Wahrheit ändert alles" spielt sie eine Teenagerin, die beschließt, stumm zu bleiben, bis ein Verbrechen während des Sommers aufgedeckt wird. 2004 und 2005 folgen größere Rollen in den Jugend-Abenteuerfilmen „Mission: Possible" und „Zathura – Ein Abenteuer im Weltraum". Sie zeigt in kleineren und größeren Rollen, dass sie auch an der Seite von Schwergewichten wie Donald Sutherland, Diane Lane, Chris Evans, Bruce Dern, Penelope Ann Miller, Jamie Bell oder Emile Hirsch locker bestehen kann.
2008 stellt sich ihre Welt auf den Kopf – sie bekommt die weibliche Hauptrolle in den „Twilight"-Streifen. Die Dreiecksbeziehung zwischen einem Vampir, einem Werwolf und ihr selbst als Mensch wird von der Kritik eher suboptimal aufgenommen, ist aber kommerziell immens erfolgreich. Die fünf Filme spielen zwischen 2008 und 2012 weltweit fast 3,5 Milliarden Dollar ein. Sie als Bella Swan und Robert Pattinson als Vampir Edward Cullen sowie Taylor Lautner als Werwolf Jacob Black werden zu Megastars. Mit ihrem Privatleben und Pattinson als Lebenspartner füllt sie zudem die Boulevardblätter.
Mit „Twilight" stellte sich ihre Welt auf den Kopf
Bis die Reihe ihren Abschluss findet, brilliert sie 2010 in den kleineren Filmen „Willkommen bei den Rileys" als drogensüchtiger Nerv-Teenie und im Biopic „The Runaways" als Rocklegende Joan Jett. Hier singt sie selbst und spielt auch Gitarre. 2012 zeigt sie als Schneewittchen in „Snow White and the Huntsman" in einer ungewohnt gelangweilten Darstellung, dass sie auf Blockbuster keine große Lust hat. Doch immerhin spielt der Film weltweit fast 400 Millionen Dollar ein. Nach einer reinen Sprechrolle im bereits genannten Debüt ihrer Mutter legt sie eine Pause von rund zwei Jahren ein.
Nach ihrem Comeback 2014 geht es dann Schlag auf Schlag. Zunächst stellt sie in „Camp X-Ray: Eine verbotene Liebe" eine Soldatin auf Guantanamo dar, die eine Art Liebesbeziehung mit einem Insassen eingeht. So gut ihre schauspielerische Leistung ist, so fragwürdig ist die verharmlosende Darstellung der eher als Folterkeller denn als Gefängnis eines Rechtsstaats bekannten Einrichtung. Im gleichen Jahr erlebt sie einen der Höhepunkte ihrer Karriere: Für „Die Wolken von Sils Maria" an der Seite von Juliette Binoche bekommt sie als beste Nebendarstellerin den Filmpreis César. Es ist das erste Mal überhaupt, dass eine US-Schauspielerin mit dem französischen Äquivalent des Oscars ausgezeichnet wird.
Es folgen prägnante Rollen in „Still Alice: Mein Leben ohne Gestern" als Tochter von der an Alzheimer Erkrankten Julianne Moore, in der dystopischen Liebesgeschichte „Equals – Euch gehört die Zukunft", in „Café Society" unter der Regie von Woody Allen und in der Actionkomödie „American Ultra". Pa- rallel taucht sie immer wieder in Videoclips auf, etwa in „If You Really Love Nothing" von Interpol oder „Ride ‘Em On Down" von The Rolling Stones. Die sichtlich gereifte Kristen Stewart wird auch als Model entdeckt und avanciert zum hübschen Charaktergesicht von Chanel. Sogar Modezar Karl Lagerfeld umwirbt die Schönheit und arbeitet 2015 für den Kurzfilm „Once and Forever" mit ihr zusammen, inszeniert sie dabei als junge Coco Chanel.
2016 erregt sie in der Gruselmär „Personal Shopper" Aufsehen, 2018 zeigt sie in „Lizzie" als missbrauchtes Hausmädchen Bridget Sullivan ihre mörderische Seite. Es ist die Verfilmung eines in den USA sehr bekannten Verbrechens. Weitere Rollen nach wahren Begebenheiten stehen im gleichen Jahr in „Zu schön, um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story" und ein Jahr später in „Jean Seberg – Against All Enemies" auf ihrer Agenda. Sie versucht es im Anschluss nochmals mit kommerziellem Kino. Doch weder die Actionfarce „3 Engel für Charlie" noch der sehenswerte Horrorstreifen „Underwater – Es ist erwacht" zünden groß beim Publikum.
Die romantische Komödie „Happiest Season" ist eher zahm, erregt aber dennoch Aufsehen, da der Film die übliche Rollenverteilung auf den Kopf und ein lesbisches Paar in den Mittelpunkt stellt. Einige Jahre zuvor hatte sie bereits ihre Bisexualität öffentlich gemacht (siehe Seite 36). Es folgten Affären mit Männern und Frauen, die nie von wirklich langer Dauer waren, bis sie 2019 die Drehbuchautorin Dylan Meyer kennen und lieben lernte.
„Spencer" brachte ihr fast nur Lob ein
2021 schließlich dürfte als das Jahr gelten, in dem Kristen Stewart endgültig als Charakterdarstellerin ernst genommen wird. Ihre Rolle als Prinzessin Diana bringt ihr überall Lob ein; sie wird für so ziemlich jeden wichtigen Filmpreis als beste Darstellerin nominiert, unter anderem für den Oscar und den Golden Globe. Dass der Film an sich dabei nicht vollständig überzeugt, gerät zur Nebensache. Im Mittelpunkt stehen eher ihr monatelanges Sichten von Biografien, Video- und Tonaufnahmen und ihre Arbeit mit einem Dialekt-Coach. In einer Nebenrolle als verbeamtetes Fangirl eines bizarren Künstlers zeigt sie 2022 in David Cronenbergs Science-Fiction-Drama „Crimes of the Future" dann erneut eine weitere Seite ihres künstlerischen Schaffens.
Neben neuen Projekten als Schauspielerin arbeitet sie auch weiterhin an ihrer Karriere als Filmemacherin (siehe Seite 28). Bereits 2017 veröffentlichte sie ihr Debüt als Regisseurin. „Come Swim", einen obskuren Arthaus-Kurzfilm, kann man sich auf Youtube anschauen. Mit dem Wissenschaftler Bhautik J Joshi und dem Produzenten David Shapiro verfasst sie in diesem Zuge eine wissenschaftliche Kurzpublikation, in der Erkenntnisse der methodisch genutzten computergestützten Bildanalyse und -verarbeitung behandelt werden, die für den Film umgesetzt wurden. Noch ohne Starttermin ist ihr Langfilmdebüt „The Chronology of Water", in dem sie sich als Drehbuchautorin und Regisseurin schwierigen Themen wie Bisexualität und dem Israel-Palästina-Konflikt widmet.
Auch die Clips zum Countrysong „Take Me To The South" von Sage + The Saints und „Down Side Of Me" der schottischen Elektropopband Chvrches stehen auf ihrer Haben-Seite. Zudem steuerte sie zur Webreihe „Homemade" einen Beitrag bei. Dabei handelt es sich um eine Serie, die von Filmschaffenden kreiert wurde, die während der Corona-Lockdowns zu Hause bleiben mussten. Derzeit ist sie als Mitproduzentin an der Entwicklung einer queeren „Ghost Hunting"-Reality-Serie beschäftigt. Mit dabei: ihre Freundin Dylan Meyer, mit der sie mittlerweile verlobt ist – die Heirat soll bald im engen Kreis folgen.