Preissteigerungen lassen die Stimmung beim Shoppen sinken. Doch nicht jeder fühlt sich gleichermaßen von der Inflation betroffen. Der Marktpsychologe Dirk Ziems hat das Befinden der Konsumenten untersucht.
Herr Ziems, Sie haben vor wenigen Monaten in tiefenpsychologischen Interviews verschiedene Inflations-Typologien herausgefunden. Welche aktuellen Befunde haben Sie heute?
In der Ferienzeit haben sich viele eine Auszeit von den Krisen genommen. Jetzt sind die meisten zurück in der Arbeitswelt. Sie haben nun diese große Kalamität mit den Energieengpässen und diesen riesigen Preissteigerungen im Herbst und Winter vor Augen. Das bewegt die Menschen aktuell sehr und verängstigt sie auch. Auch bei dem Typus der Inflationsresilienten, der Gruppe, die sich bisher unangreifbar in diesem Punkt gefühlt hat, haben wir den Eindruck, dass nur noch eine dünne Abwehrschicht vorhanden ist. Selbst für diese hohen Einkommensgruppen stellt sich die Inflation als Problem dar. Da brennen sich Ängste ein, weil sie sehen: Essengehen kostet jetzt immer gefühlt 20, 30 Prozent mehr. Oder die Leasingraten für den BMW – die kosten auf einmal 1.600 oder 1.700 Euro im Monat, und vorher war man 800 Euro gewohnt.
Es gibt unterschiedliche Geldpersönlichkeiten. Im Extremfall verprasst der eine ständig sein Geld, während der andere es stets ängstlich zusammenhält. Welche Faktoren spielen da eine Rolle?
Die Persönlichkeit ist ein Faktor, der mitbeeinflusst, wie man mit der Inflation umgeht. Das hängt auch damit zusammen, welches Grundgefühl man gegenüber dem Geld hat. Prägungen kommen auch aus dem Elternhaus. Hatte man Eltern, die einem das das Gefühl vermittelt haben: „Uns geht es gut und wir schöpfen aus dem Vollen", dann kommt eher ein Urvertrauen in die materiellen Umstände auf. Es gibt auch Trotzreaktionen. Da erleben wir Menschen, die uns sagen: Es ist zwar Inflation, aber das ist mir egal, ich bin jetzt noch mal richtig chic für 200 Euro essen gegangen. Diese Haltung kann aber auch kippen. Wir merken, dass diese Menschen unter Druck geraten, wenn die Umstände dann so sind, dass ein Anruf von der Bank kommt, dass eine Kontoüberziehung nicht mehr geht. Dann kann es zu dramatischen Lerneffekten kommen.
Kann aus einem Verschwender-Typus ein Sparfuchs werden?
Sie sind gezwungen, sich zu ändern, weil das Konto einfach nicht mehr hergibt. Diese Menschen schalten dann auf ein Sparprogramm um und gehen über in ein Inflationsmanagement.

Siegt dann bei diesen Menschen die Vernunft, bevor sie in eine Privatinsolvenz hineinschlittern?
Das ist gesunder Menschenverstand, der sich da durchsetzt. Auf der anderen Seite gibt es auch Umgangstypen mit dem Geld, die schon immer sehr stark auf Kontrolle aus waren: Man will den Überblick behalten, man will budgetieren. Im Extremfall sind das Leute, die Haushaltsbücher oder Apps haben, mit denen sie ständig checken, wie viel sie wofür ausgegeben haben. Im Umgang mit Geld entsteht dann eine bestimmte Befriedigung, wenn man besonders genau plant und kontrolliert. Durch die Geldentwertung erleben sie eine latente Zukunftsangst. Da spielt eine Rolle, dass das Inflationsthema 50 Jahre lang weg war. Alle unsere Interviewten, außer denjenigen, die jetzt in den 70er- und 80er-Lebensjahren sind, haben gar keine Vorstellung von Inflation.
Damit haben wir zwei extreme Positionen besprochen.
Es gibt im Geldumgang auch Mittelpositionen. Menschen, die nicht andauernd zwanghaft auf jeden Euro gucken, aber auch nicht die ganze Zeit alles verjubeln. Wir sehen bei allen auch einen Zug in Richtung Autarkie. Das ist ein ganz großer Trend. Da fängt an mit der Tomatenanpflanzung und Indoor-Farming und geht bis hin zur Solaranlage auf dem Dach. Es gibt einen großen Trend von Elektro-Wärmepumpen über Holzsammeln im Wald für den eigenen Kamin bis hin zu der Strömung der Prepper, die sich Konserven, Vorräte und Frischwasser anlegen. Das zieht sich auch durch alle Schichten durch.
Seit wann gibt es diesen Trend?
Es gab ihn immer schon. Aber nicht im Mainstream und in dieser Vehemenz. Das fing sicher auch an bei Corona, als es Hamsterkäufe und den berühmten Kampf um die Klopapierrollen gab. Das Gefühl, in Krisenzeiten besser auf nichts mehr angewiesen zu sein, betrifft nicht alle, aber es ist ein Grundsymptom der Zeit. Jetzt erzählen uns die Menschen in den Interviews, dass sie in den Ferien mit dem Zelt an die Ostsee gefahren sind. Dann sagen sie: „Das war ein ganz anderer Urlaub, das war so toll. Kleinere Sprünge machen kann viel schöner sein". Es wird auch vom Gartenfest mit den Nachbarn berichtet. Das sind die neuen Highlights.
Geht der Trend in Richtung Minimalismus?
Das ist ein großes Wort. Übertrieben gesagt geht es darum, beschauliche und persönliche Verhältnisse wertzuschätzen, eine Genügsamkeit, die zufrieden stellt in kleinen Dingen. Wenn wir zurückdenken an die 90er oder 2000er, da gab es die Globalisierung mit Fernreisen und einem Erlebnishunger. Es musste alles immer toller, größer und mehr sein. Das ist jetzt natürlich der Gegentrend. Von einer Maximierungskultur nicht unbedingt zu einem Minimalismus, aber zu einer Beschaulichkeitskultur. Das 9-Euro-Ticket ist symbolisch auch als Beschaulichkeitssymbol einzuordnen. Viele haben damit ja erstmals in der näheren Region einen Ausflug gemacht und sich mit einfachen Mitteln etwas Tolles erschlossen.
Das dritte Entlastungspaket hat kleine und mittelständige Firmen kaum berücksichtigt. Für eine Friseurladenbesitzerin etwa, die hohe Energiekosten und vielleicht weniger Kunden hat, reicht sparen alleine womöglich nicht, um ihr Geschäft zu retten.
Da ist mein Eindruck: Da kommt eine Bombe auf uns zu. Das ist für mich auch unverständlich, dass in dieser Krise mit dem Entlastungspaket nur private Dimensionen berücksichtigt wurden. Das ist sehr kritisch zu sehen, weil wenn es ein Massensterben der Läden und der Restaurants geben wird, kann es zu einem Kipppunkt kommen. Eine Rezession ist ziemlich unvermeidlich. Aber wann kippt die Rezession in eine Depression? Eine Depression entsteht, wenn die Menschen in ihrem Umfeld einen Verfall erleben. Wenn die Friseure zumachen, wenn die Restaurants zumachen, wenn überall die Geschäfte aufgeben. Eine Bäckerei kann nur begrenzt versuchen, durch Preiserhöhungen die horrenden Energiepreise auszugleichen. Im Übrigen wird das das Inflationsgefühl nur anheizen. Wenn es schlecht läuft, führt das zu einer Turboinflation. Durch die Inflation hat der Staat aber auch Mehreinnahmen, allein durch die Mehrwertsteuer. Da ist natürlich die Frage, ob man nicht etwa durch eine Mehrwertsteuersenkung die energieintensiven Kleinunternehmen entlasten kann. Sie haben sicherlich mehr finanzielle Stützung notwendig als ein Steuerberater mit zwei Mitarbeitern. Das ist eine sehr große Herausforderung für die Politik mit vielen Facetten. Wie kann man da gegensteuern? Das stellt auch marktwirtschaftliche Prinzipien infrage. Aber wir können andererseits auch nicht auf eine Planwirtschaft umstellen.