Dass die TG Saar ihre Ansprüche nach einem kleinen Umbruch im Kader und dem verpatzten Start in die Saison etwas zurückschrauben musste, war klar. Trotzdem hinken die saarländischen Erstliga-Turner ihrem Ziel in dieser Spielzeit hinterher.
Die TG Saar geht als Außenseiter in die am 12. November beginnende Restrunde der Kunstturn-Bundesliga. Der Deutsche Meister von 2020 hatte an den ersten vier Wettkampftagen im Frühjahr schon zwei Niederlagen kassiert und kann das große Finale um die diesjährige Meisterschaft aus eigener Kraft nicht mehr erreichen. Nach zwei Saisons, die stark im Zeichen der Corona-Pandemie standen, wird die Kunstturn-Bundesliga erstmals wieder in ihrem ursprünglichen Modus ausgetragen. Demnach treten die acht Mannschaften zunächst an sieben regulären Wettkampftagen gegeneinander an. Vier davon fanden im Mai und Juni statt, im November folgen drei weitere. Am 3. Dezember steigt dann das Finale in Ulm, wo der Tabellen-Erste gegen den Zweiten um die Deutsche Meisterschaft und die Dritt- und Viertplatzierten um die Bronzemedaille turnen werden.
„Wir haben den jüngsten Kader der Bundesliga, sind aber auch breit aufgestellt", sagt der erste Vorsitzende der TG Saar, Thorsten Michels, „deshalb ist unser Saisonziel, mit dem kleinen Finale zu liebäugeln." Um das zu erreichen, wollen die Saarländer – derzeit Sechster der Tabelle – in den verbleibenden Wettkämpfen das Maximale herausholen: Am 12. November ist die TG bei Meisterkandidat TuS Vinnhorst (derzeit Tabellenplatz drei) zu Gast, am 19. November beim TSV Pfuhl (5.) und abschließend gastiert am 26. November Schlusslicht StTV Singen um 18 Uhr in der Dillinger Kreissporthalle.
Jetzt noch das Maximum schaffen
Zum Auftakt der Kunstturn-Bundesliga hatte die TG Saar einen rabenschwarzen Tag erwischt. Bei Rekordmeister SC Cottbus ging sie mit 25:57 (Gerätepunkte: 0:12) regelrecht unter. Als einziges Bundesligateam blieb die TG somit beim Auftakt ohne Gerätepunkt. Es folgte eine weitere Niederlage – aber eine, die Hoffnung machte: Jedenfalls sicherte sich die TG beim 26:35 gegen den klar favorisierten Vizemeister TV Wetzgau die ersten fünf Gerätepunkte. Am dritten Wettkampftag dann gelang den Saarländern der erste Sieg. Mit 36:26 (4:8 Gerätepunkte) behielten sie bei Rekordmeister KTV Straubenhardt die Oberhand. Auch eine Woche später gegen die Siegerländer KV blieb die TG siegreich – aber dennoch hinter den Erwartungen zurück: Der 53:21-Erfolg wurde vom verpassten Ziel getrübt, sich alle Gerätepunkte zu sichern (Endstand: 9:3).
Erfolgreich ging es für die TG-Athleten während der Bundesliga-Sommerpause bei den Europameisterschaften Mitte August in München weiter: Allen voran Joe Fraser (24), der als erster Brite überhaupt die Goldmedaille im Mehrkampf gewann. Zudem wurde er Europameister am Barren und auch mit der Mannschaft. Auch der armenische Ringe-Spezialist Artur Avetisyan (24) und der italienische Nationalturner Matteo Levantesi (25) zeigten in München starke Leistungen. „Joe war der absolute Topturner der EM. Für uns sind solche internationalen Turniere, bei denen die Turner auch die Farben der TG Saar repräsentieren, schon sehr wichtig", freut sich Thorsten Michels und merkt an: „gerade vor dem Hintergrund, dass unsere Topathleten der vergangenen Jahre aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr für uns starten."
Zum Beispiel der Mannschafts-Olympiasieger von Tokio 2021, Nikita Nagornyy. Die TG beendete bereits Anfang April 2022 die Zusammenarbeit mit dem 25-jährigen Russen, der Leutnant der russischen Nationalgarde und Generalstabschef der Jugendarmee ist und sich zuvor unterstützend zum Angriffskrieg in der Ukraine geäußert hatte. Schon seit 2021 tritt der Ukrainer Oleg Verniaiev nicht mehr für die Saarländer an. Der 28-jährige Olympiasieger und Weltmeister am Barren von 2014 steht unter Dopingverdacht und wurde im Sommer 2021 vorläufig für vier Jahre gesperrt. Verniaiev wurde inzwischen von der ukrainischen Armee eingezogen und engagiert sich im Kampf gegen Russland.
Zu den Topleuten des insgesamt 14 Athleten starken Kaders der TG gehört eigentlich auch der deutsche Nationalturner Felix Remuta (24). Doch der fällt nach einer Schulter-Operation im Sommer für die Restrunde aus. Kürzlich hinzugestoßen ist dafür Mehrkämpfer Alexander Maier (28), ein früherer deutscher Nationalturner. Der Neuzugang vom MTV Stuttgart hat sich inzwischen von seiner Schulter-OP erholt und zeigt im Training starke Leistungen. Weiterhin gehören Waldemar Eichorn (36), Stefanos Tsolakidis (22), Florian Lindner (30), Luca Ehrmanntraut (26) und Trainer Eugen Spiridonov (40) zum Bundesliga-Kader. Neben den etablierten Kräften führt die TG mit Daniel Mousichidis, Maxim Kovalenko, Moritz Steinmetz (alle 17) und Gabriel Eichhorn (16) drei Talente aus dem eigenen Nachwuchs an die Erstliga-Mannschaft heran.
Junge Wilde gehören zum Stammpersonal
Dass sie das Zeug dazu haben, stellten die jungen Wilden in den ersten Liga-Wettkämpfen, vor allem aber bei der Junioren-EM im August unter Beweis: Daniel Mousichidis wurde am Boden sogar Europameister und sicherte sich am Reck die Bronzemedaille. Teamkollege Maxim Kovalenko schaffte es ebenfalls ins Bodenfinale. Wäre ihm mit einem Sturz beim „in die Ecke gehen" nicht ein folgenschwerer Patzer unterlaufen, hätte er wohl selbst die Goldmedaille gewonnen und Mousichidis auf den Silberrang verdrängt. „Da ist für uns einfach ein Traum in Erfüllung gegangen. Es gab keinen anderen Bundesligaverein, der erfolgreicher vertreten war. Das ist eine tolle Sache, auch für den gesamten saarländischen Sport, und zeigt uns, dass wir als Verein auf dem richtigen Weg sind", freut sich TG-Chef Michels und lobt: „Man muss klar sagen, dass Waldemar Eichorn als Trainer der Jungs einen herausragend guten Job gemacht hat."
Der Jugendtrainer selbst hatte vor 22 Jahren in Bremen mit der Goldmedaille am Barren den bis dahin letzten Junioren-Europameistertitel ins Saarland geholt. Schon bei den Deutschen Jugendmeisterschaften im Juli räumten die TG-Nachwuchssportler ab: Mousichidis wurde nicht nur bester Mehrkämpfer in seiner Altersklasse 17/18, sondern sicherte sich weitere fünf Goldmedaillen in den Einzelwertungen. Seine Teamkollegen Gabriel Eichhorn (2.) und Maxim Kovalenko (3.) landeten im Mehrkampf gleich hinter ihm. Kovalenko sicherte sich zudem Silber am Boden, am Reck und beim Sprung.
In der Liga gehören die jungen Wilden an ihren Spezialgeräten schon zum Stammpersonal und sammeln fleißig Einsatzzeit und Punkte. Inwieweit sie dazu beitragen können, dass die TG ihr Saisonziel, den Einzug in das kleine Finale, doch noch erreicht, wird sich zeigen: „Wir müssen volles Rohr angreifen und alle drei Wettkämpe gewinnen", weiß Thorsten Michels. „Vielleicht reicht es dann sogar noch für das große Finale."