Energieholzhecken auf dem Feld, Obstbäume im Hühnerauslauf, Gemüsekulturen auf dem Getreideland: Die Agroforstwirtschaft verwischt die Grenzen zwischen Acker, Wald und Weide. Das soll Klima und Landwirtschaft helfen. Ein Besuch auf dem Hof von Landwirt Sebastian Frey.

Die Henne versteckt sich in der Wildhecke. Dort picken und scharren schon ihre Mitbewohnerinnen. Sie kommt nur zaghaft näher. Doch eine plötzliche Bewegung erschreckt die Henne. Mit federnden Schritten eilt sie zwischen die Sträucher zurück. „Eine Henne ist eine Waldrandbewohnerin. Sie braucht einen Ort, wo sie schnell in Deckung gehen kann, wo Halbschatten ist. Dort fühlt sie sich wohl“, sagt Biobauer Sebastian Frey, 35, und blickt auf den mobilen Hühnerstall, der inmitten einer weiten, grünen Wiese steht, die von Sträuchern und jungen Bäumen eingerahmt ist. Früher haben sich die Hennen vor allem im engen Umkreis um den Stall herum bewegt und dort schwarze Erde hinterlassen. Heute gehen sie in die Flächen raus, davon zeugen die ausgetretenen Pfade rund um die Hecke. „So ist es einfach viel schöner, und die Hennen scheinen sich wohlzufühlen“, sagt der Landwirt, „gleichzeitig tun wir etwas für das Klima und die Biodiversität auf unseren Flächen.“
Zurück zu den Wurzeln
Der Klimawandel hat Deutschland längst erreicht. Fehlender Niederschlag, Hitzewellen, Extremwetterereignisse: Für die Landwirtschaft sind schwere Zeiten angebrochen. Ernten verdorren, Erträge gehen zurück. Nun kehren erste Landwirte zu den Wurzeln der Landwirtschaft zurück. Früher waren Hecken und Gehölze auf landwirtschaftlichen Anbauflächen üblich. Erst mit den großen Landmaschinen verschwanden die Bäume und Sträucher von den Äckern. Sie galten fortan nicht mehr als Verbündete, sondern als unproduktive Flächen, die einer modernen Landwirtschaft im Weg standen. Doch nun kehren sie im Schatten des Klimawandels und Artensterbens zurück. In Deutschland gibt es laut Deutschem Fachverband für Agroforstwirtschaft bislang gut 100 Agroforstsysteme. Tendenz steigend.
Der Biobauernhof von Sebastian Frey liegt auf etwa 400 Metern Höhe im bayerischen Teil des Odenwaldes – inmitten eines Postkartenpanoramas: sanfte Hügel, Wälder, grüne Wiesen. Von den 77 Hektar des Betriebs sind weit über die Hälfte Ackerflächen, dazu kommen neun Hektar Wald, der Rest ist Grünland. Die Eltern von Sebastian Frey, beide studierte Landwirte, haben den Hof 1992 übernommen und leiten ihn auch heute noch mit. „Unser Zugpferd in der Vermarktung sind die Eier“, sagt Sebastian Frey. 4.000 Legehennen wohnen in drei mobilen Hühnerställen. Das Getreide, das auf den Äckern wächst, dient hauptsächlich als Futter für die Hennen. „Nur unser Roggen und Dinkel gehen an eine Bäckerei im nahegelegenen Miltenberg.“ Ihre Eier verkaufen sie direkt am Hof, beliefern aber auch zahlreiche regionale Bioläden und Geschäfte.
Sebastian Frey hat den Beruf des Landwirts von der Pike auf gelernt, in verschiedenen Betrieben Erfahrungen gesammelt, auch im Ausland. Es waren die Reisen nach Argentinien, Peru und Tansania, die ihm vor Augen geführt haben, wie gut Bäume mit Acker- und Weideland kombiniert werden können. „Die Kaffeebauern in Peru haben den Wald auf eine Art und Weise kultiviert, dass dort zwischen den Bäumen Schattenkaffee wachsen konnte, der dann per Hand gepflückt wurde“, erinnert sich Sebastian Frey. Das hat ihm imponiert und ihn zum Nachdenken gebracht. „Im Ökolandbau suchen wir immer einen Weg, wie wir möglichst nah an der Natur produzieren können.“ Co-Working sei ein gutes Stichwort. „Wir versuchen, die Natur wieder ein Stück weit in die Agrarlandschaft zurückzuholen. Und suchen nach Symbiosen, die dann am Ende auch noch Produkte abwerfen, von denen wir als Landwirte leben können.“
Essbare Landschaft für Mensch und Tier
Trotzdem war das erste Agroforst-Projekt auf dem Hof gar nicht als solches angedacht. „Klar, ich kannte den Begriff damals schon, aber eigentlich fanden wir unsere Idee einfach sinnvoll“, sagt Sebastian Frey. Das Ziel war ein möglichst grüner Auslauf für die Hühner. Sie zäunten ein viereinhalb Hektar großes Areal ein und pflanzten Wildhecken: Weißdorn-, Holunder-, Sanddorn- und Schneeballsträucher, am Rand der Fläche stehen Flatterulmen, Esskastanien, Pappeln, Weiden, Ahorn- und Kirschbäume. „Viele der Bäume und Sträucher in unseren Wildhecken haben wir unserem eigenen Waldgebiet entnommen“, sagt Sebastian Frey und streichelt gedankenverloren einen der zwei Hütehunde. Auf den Wiesen des Hühnerauslaufs stehen etliche Obstgehölze: Äpfel, Pfirsiche, Kirschen, Quitten, Aprikosen, Zwetschgen und Nüsse. Erste Früchte konnten schon geerntet werden.

Doch was heute so schön aussieht, ist das Werk harter Arbeit und Ausdauer. „Im Sommer 2018 ist uns richtig viel vertrocknet, obwohl wir immer wieder gegossen haben“, erinnert sich Sebastian Frey. Mit dem Ackerbau sei der Anbau von Bäumen nicht zu vergleichen. „Wenn ich auf einem Feld etwas anbaue und das nichts wird, muss ich mir das ein Jahr angucken und mache dann im nächsten Jahr einfach was anderes.“ Bei Bäumen ist das naturgemäß anders, schließlich sollen sie beständig in den Himmel wachsen. Gerade am Anfang musste der Landwirt viel lernen und Rückschläge hinnehmen. So hat er den Hunger der Feldmäuse auf junge Baumwurzeln unterschätzt, vor allem der Ahorn musste wegen der Nagetiere leiden. Auch bei den Pappeln lief nicht alles wie geplant. „Wir haben zu Beginn Pappel-Stecklinge gekauft, die nur 30 Zentimeter lang waren“, sagt Sebastian Frey, „wenn es genug regnet, funktioniert das auch.“ Doch der Regen lässt im Odenwald oft wochenlang auf sich warten. Zu lange für die jungen Pappeln.
Wasser als limitierender Faktor
Und so war der Hitzesommer im Jahr 2018, ein Jahr nach dem Bau des Hühnerauslaufs, ein gedanklicher Wendepunkt. „Die jungen Bäume gingen ein“, erinnert sich der Landwirt, „die Wiesen waren braun wie in der Steppe.“ Die Dürre ließ das Futtermittel für die Rinder knapp werden. Statt zwei oder drei Grasschnitte war nur noch einer möglich. „Wir mussten schon Ende Juli das Winterfutter dazu füttern.“ Ein Schlüsselmoment. Zumal ein weiteres Problem sich immer mehr in den Vordergrund schob. „Die Starkregen-Ereignisse haben in den vergangenen Jahren zugenommen.“ Auf den Feldern kann das Wasser jedoch nur schwer einsickern. „Da läuft viel Flüssigkeit oberflächlich ab, in die Mud und den Main“, sagt Sebastian Frey. Dabei brauchen die Flächen dringend Wasserreserven für die heißen Sommer. „Wir müssen es also irgendwie schaffen, das Wasser im lokalen Kreislauf zu halten.“
Die Lösung im Odenwald: Ackerbäume. Mit ihren tiefen Wurzeln verhindern sie das Abfließen des Wassers. „Entlang von Wurzelballen gelangt Wasser in tiefere Bodenschichten und wird dort gespeichert“, sagt der Landwirt. Bei Trockenheit können die Bäume das Wasser dann wieder hervorholen. Gleichzeitig spenden die Bäume dem Acker Schatten, die Temperatur auf der beschatteten Fläche sinkt. Das hat messbare Effekte. „Wo Wasser der wachstumslimitierende Faktor ist, bringt der kühlende Effekt der Bäume höhere Erträge im Getreide“, sagt Sebastian Frey, „das Getreide braucht nicht mehr so viel Wasser, um sich selbst zu kühlen und kann mehr Wasser ins Korn stecken.“ Das sei mittlerweile auch wissenschaftlich bewiesen.
Ackerbäume als Wasserretter
Sebastian Frey stapft einen grünen Hügel hinauf. Kuhfladen säumen den Weg. Über die Kuppe des Hügels zieht sich ein fünf Hektar großer Acker, auf dem Roggen eingesät ist. Auf knapp einem Fünftel der Fläche wachsen jetzt gut 2.000 junge Bäume. „Wir haben zusammen mit einer Firma, die sonst große Pappelplantagen anlegt, maschinell fünf verschiedene Pappelsorten gepflanzt.“ Auch Robinien wachsen auf dem Acker. Dass er jetzt weniger Ackerfläche hat, stört den Bauern nicht. „Trotzdem wächst dort ja etwas, auch wenn keiner von uns sagen kann, wie in 20 Jahren die Preise für Holz sind.“ Denn so lange dauert es, bis die Bäume gewinnbringend gefällt werden können.
Aus seinen früheren Fehlern hat der Landwirt gelernt. Statt der 30 Zentimeter langen Stecklinge, die er noch zu Beginn des Projekts gepflanzt hat, waren die Stecklinge auf dem Acker bereits 90 Zentimeter lang. „Wir haben sie dann 70 Zentimeter in den Boden reingedrückt, damit sie da unten wurzeln und von dort die Feuchtigkeit aufnehmen können.“ An der Ackerkante zu den Bäumen hin pflügt er besonders tief, so zwingt er die Wurzeln der Bäume in die Tiefe und nicht in die Breite zu wachsen. „Schließlich sollen sie der Kultur auf dem Acker keine Konkurrenz machen.“

Doch ohne Pflege wachsen die Bäume nicht. „Im ersten Jahr sind die Jungpflanzen konkurrenzschwach. Gras, Quecke und Melde machen dem Baum im Spross und in der Wurzel Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe“, sagt Sebastian Frey. Zwei-, dreimal mussten sie den Boden zwischen den Baumreihen per Hand hacken, erst dann waren die Bäume so robust, dass man mit der Maschine hindurchfahren konnte. Doch die Mühe hat sich gelohnt. Die Pappeln und Robinien wachsen in akkuraten Blöcken aus Dreierreihen parallel zu den Feldgrenzen. Die kleinen Mini-Plantagen auf dem Acker dienen als Lebensraum für Kleintiere, Vögel und Insekten und sollen später als Energie- und Wertholz verwertet werden. Aus den Robinien könnte mal Pfostenholz werden, aus den Pappeln Hackschnitzel für den Hühnerstall. Sie binden den Stickstoff aus dem Hühnerkot und landen später als Dünger auf den Äckern.
Geringes Engagement auf Bundesebene
Zwischen den Robinien wachsen derweil Zwiebeln, Kürbisse und Tomaten. Auch die Kohlköpfe sehen unter einem schützenden, grünen Netz stattlich aus. Nur zwei Kohlköpfe wurden von Feldhasen angeknabbert. Es ist ein junges Ökosystem, das sich unter dem prüfenden Blick des engagierten Landwirts entwickelt. Ob sich die Mühe am Ende auch finanziell auszahlt, bleibt abzuwarten. Die Investitionskosten sind hoch und Zuschüsse rar. Für Agroforstflächen gibt es momentan noch keine Fördergelder vom Staat, weil eine offizielle Kodierung für Agroforstflächen fehlt. Das heißt: Für Ackerflächen, für die es vorher Fördergelder gab, gibt es nun erst mal nichts mehr. „Wir haben nicht mal den Anspruch, dass wir eine Förderung für die Flächen kriegen, wir wollen nur einfach für unsere Agroforstprojekte nicht auch noch abgestraft werden“, sagt Sebastian Frey.
Noch in diesem Jahr soll es eine neue Verordnung geben, die auch Agroforstflächen berücksichtigt. Aber noch muss die Familie Frey vieles aus eigenen Mitteln finanzieren. Immerhin konnten sie einen lokalen Betrieb als Sponsor für das Pflanzmaterial und die Arbeitszeit der ersten zwei Jahre gewinnen. „Das war für uns eine große Motivation.“ Ein kleiner Beitrag liefern auch die Baumpatenschaften, die interessierte Bürger für 20 Euro je Baum erwerben können. Doch es bleibt ein schales Gefühl bei dem Landwirt. „Agroforstprojekte werden zwar politisch beworben, aber in der praktischen Umsetzung sind sie definitiv nicht gewollt.“ „Noch nicht“, schiebt er nach, „ich glaube, 2023 ändert sich wirklich was.“