Laut der Einzelhändlerin Birgit Klöber waren 2019 noch alle bereit, die Welt zu retten. Heute müssen wegen Pandemie, Krieg und Inflation viele Unverpackt-Läden schließen. Denn vielen Menschen fehlt für einen nachhaltigen Lebensstil nicht nur das Geld, sondern auch die Kraft.
Man sollte meinen, das Thema Nachhaltigkeit wäre aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und was könnte nachhaltiger sein, als Lebensmittel ohne Verpackungen einzukaufen? Das Konzept, dass 2019 an Fahrt gewann, steht gerade vor einer harten Probe. Insgesamt 281 geöffnete Läden gehören dem deutschen Unverpackt-Verband an. Davon mussten circa 50 im Jahr 2022 schließen, darunter auch der allererste Unverpackt-Laden Deutschlands in Kiel. Pandemie, Krieg, Inflation und Energiekrise zwingen noch immer Läden in die Knie. Können sich die Menschen Nachhaltigkeit nur leisten, wenn es ihnen gut geht?
Birgit Klöber gründete ihren Unverpackt-Laden in Saarbrücken 2017 kurz nach dem Kieler Einsteiger. Damit gehört sie zu den ersten 25 Unverpackt-Läden in Deutschland. Sie hat Glück, noch geht es ihrer „Nachfüll-Bar“ gut. „Durch meine gute Stammkundschaft kann ich den Laden halten. Wir bewegen uns aber auf niedrigem Niveau“, erzählt sie. Für ihre Kundschaft gäbe es keinen Weg zurück in den Supermarkt mehr. „Meine Kunden empfinden es als Erlösung. Denn wenn man den Schritt gegangen ist, dass man zu Hause ankommt, alles auspackt und keinen Müll mehr hat, kein Plastik – da sagen viele: Das ist das, wo ich hinwollte.“
„Zu bewusst, zu unbequem“
Doch sie weiß, dass der Weg dahin Überwindung kostet. Denn Lebensmittel nachhaltig und unverpackt einkaufen, erfordert nicht nur finanzielle sondern auch mentale Kapazitäten. An den Wänden der Nachfüll-Bar Saarbrücken hängen große Behälter mit Nudeln, Reis, Linsen, Cornflakes und was das Herz sonst noch begehrt. Aus Kanistern und Glasballons können Kundinnen und Kunden sich Öl, Essig oder auch Putz- und Waschmittel abfüllen. Allerdings sollten sie dafür ihre eigenen Mehrwegbehältnisse mitbringen. Und genau da fängt das Problem an. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Thema unverpackt noch mal bergauf geht. Aber es ist nach wie vor eine Gewohnheitsumstellung. Und das ist das, was es schwieriger macht.“ Auf Nachfrage gibt es auch Gläser vor Ort.
Kay-Niko Herl ist Gründer und Geschäftsführer von Unverpackt Saar. Noch bis vor Kurzem war er im Vorstand des deutschen Unverpackt-Verbandes. Auch er weiß, dass der größere Aufwand und die Organisation viele Menschen davon abhalten, unverpackt einzukaufen. „Es ist einfach zu bewusst, zu unbequem und in Zeiten von Krisen eine Verhaltensänderung, auf die einige Menschen lieber verzichten wollen.“ Teurer müsse es nicht unbedingt sein, schon alleine, weil die Kundinnen und Kunden ihren Einkaufspreis selbst regulieren könnten und nicht alles in Großverpackungen kaufen müssten, gibt Birgit Klöber zu bedenken.
Für Kay-Niko Herl spielen beim Thema Nachhaltigkeit zwei Aspekte eine entscheidende Rolle: „Entweder sind wir so gebildet und so finanziell frei, dass wir den Kopf dafür haben, uns mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, oder wir sind in so einer prekären Notlage, dass wir es müssen oder alles andere ein absolut unethisches Verhalten darstellen würde.“ Diese prekäre Notlage ist beim Klima zwar längst erreicht, wirklich bewusst scheint das aber vielen Menschen nicht zu sein. „Das Thema ist ja nach wie vor da. Es ist nur nach hinten geschoben worden durch die Pandemie, den Krieg und die Energiekrise“, erklärt Birgit Klöber und fährt fort: „Wir waren noch nie in einer Pandemie, wir waren noch nie in so einem Krieg. Wir sind alle geschockt und irgendwie stillgelegt, und dann will man sich nicht noch um seinen Einkauf kümmern.“ Für sie ist klar, dass den Menschen Nachhaltigkeit leichter fällt, wenn es ihnen gut geht. „Das hat man ja bis 2019 gesehen. Da wollte jeder die Welt retten.“
Sowohl Herl als auch Klöber sehen trotz allem in dem Unverpackt-Konzept die Zukunft. Auf kurz oder lang führe kein Weg daran vorbei, Verpackungen überall da zu sparen, wo es geht. „Verpackungen werden elitär werden. Nicht jeder wird sie sich noch leisten können an den Stellen, wo sie gar nicht benötigt werden“, sagt Herl. Er hatte einen Unverpackt-Laden in Saarlouis und musste ihn im vergangenen Jahr schließen. Herl konnte für sich selbst noch nicht die Frage lösen, was die perfekten Standortbedingungen für das Konzept sind. „Ich glaube, da trennt sich auch die Spreu vom Weizen, wer ein guter Geschäftsmann ist und wer eben nicht. Wir haben viele Überzeugungstäter, aber leider nur wenige Kaufmänner oder Betriebswirte, die die Komplexität der Sache beherrschen und den Durchblick haben“, erklärt er.
Überzeugung braucht es bei so einem Konzept, deshalb ist sich Kay-Niko Herl sicher, dass diejenigen, die ihre Läden schließen mussten, trotzdem nicht so schnell aufgeben werden. Doch das alleine reiche nicht aus, deshalb appelliert Herl an politische Entscheidungsträger. „So wie Politik aktuell subventioniert, kann nachhaltig sein gar nicht im Interesse der Wirtschaft liegen.“ Ein weiteres Problem sei, dass die Konsequenzen des Klimawandels für die meisten Menschen nicht unmittelbar spürbar seien. „Wer im Unverpackt-Laden einkauft, kann der Umwelt Müll und CO2-Emissionen ersparen. Mehr ist es letztendlich nicht. Aber oft verstehen die Menschen nur: Wenn ich auf die Herdplatte greife, verbrenne ich mir die Hand. Und diesen Effekt haben wir beim Klimawandel nicht.“
Verpackungen bewusst einsetzen
Birgit Klöber ist sich bewusst, dass sie Menschen lediglich ein Angebot machen kann. „Aber ich kann niemanden zwingen. Wir müssen Geduld haben. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass es diese Läden gibt. Damit die Leute wissen: Sie können etwas tun.“ Sie hofft, dass Nachhaltigkeit für alle dann wieder wichtiger wird, wenn dieser Krieg hoffentlich irgendwann sein Ende findet. Bis dahin versucht sie dort etwas zu bewegen, wo sie kann. Denn auch beim Transport lassen sich Verpackungen sparen. „Wir bei Unverpackt sind ja eine Gemeinschaft, und dann gehen wir auch gemeinsam auf die Lieferanten zu und fragen, ob man da nicht irgendwas machen kann“, erzählt sie. So habe sich mittlerweile ein gut funktionierendes Pfandsystem etabliert. „Wenn wir so ein tolles Pfandsystem in Deutschland haben, warum sollten wir das nicht nutzen?“ Und diese Meinung vertritt die Inhaberin sehr bestimmt. „Ich bin mittlerweile so weit, dass ich sage: Was nicht im Pfandglas kommt, fliegt irgendwann aus dem Sortiment.“ Die großen Kanister und Behältnisse, in denen Gewürze, Öl und Waschmittel kommen, werden entleert, gespült und anschließend wieder an die Lieferanten zurückgegeben.
Sowohl Herl als auch Klöber wissen, dass das Unverpackt-Konzept realistischerweise seine Grenzen hat und es am Ende vor allem darauf ankäme, dass Menschen ernährt werden. Dafür müssen Lebensmittel gehandelt, konserviert und transportiert werden. Das ginge schon alleine aus hygienischen Gründen nicht immer ohne Verpackung, aber bei den Konsumenten sollte sich ein Bewusstsein dafür entwickeln. Kay-Niko Herl ist davon überzeugt, dass diese Transformation gelingen kann, weil sie 2019 schon einmal gelungen ist. Er denkt: „Wir haben einen Anspruch auf Konsum. Es ist ganz normal, dass wir bedürftig sind. Aber wir müssen die Folgen unseres Konsums im Blick behalten. Wir leben auf einem Planeten der endlich ist. Und wir sind zu kurzsichtig.“