Zoos sind Orte der Bildung, der Forschung und der Naherholung. Prof. Jörg Junhold, Präsident des Verbandes der Zoologischen Gärten und Direktor des Zoos Leipzig, über ihre geschichtliche Entwicklung, wie sie sich für den Artenschutz engagieren und in Zukunft attraktiv bleiben.
Herr Prof. Dr. Junhold, seit 2019 sind Sie Präsident des Verbandes der Zoologischen Gärten und Direktor und Geschäftsführer des Zoos in Leipzig. Was haben Sie persönlich aus Ihrem letzten Zoobesuch gezogen?
Zuletzt war ich kurz vor Weihnachten in Bochum, wo ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern der Deutschen Tierpark-Gesellschaft und des Deutschen Wildgehege-Verbands getroffen habe. Dabei blieb mir auch Zeit, durch den Zoo zu gehen. Das ist ein kleiner, aber feiner Tierpark, der auch Mitglied in unserem Verband ist. Besonders gut gefallen hat mir das pädagogische Konzept, das mit dem Veranstaltungskonzept eng verbunden ist. Das hat mich schon beeindruckt.
Wie steht es um die Zoologischen Gärten und Tiergärten hierzulande, vor allem mit Blick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie?
In den Zoologischen Gärten und Tierparks hat die Pandemie ganz unterschiedlich gewirkt. Die großen Einrichtungen, so wie unsere, die in Berlin und Wien, die auf Tages- und Übernachtungstouristen angewiesen sind, waren in der Pandemie damit konfrontiert, dass eine größere Zahl von Besuchern weggebrochen ist. Die kleineren Tierparks, die keine Tierhäuser vorhalten und somit von den Corona-Regularien nicht so stark betroffen waren, registrierten hingegen mehr Zuspruch. Die sind während der Pandemie mitunter sogar besser weggekommen als vorher. Im ersten Nach-Pandemiejahr wurden wir im Zoo Leipzig sehr gut besucht. Doch wir sind kein Einzelfall, denn die Deutschen machen bisher nicht so viele Fernreisen wie vor Corona und verbringen den Urlaub eher zu Hause. Folglich erfuhren im vergangenen Jahr der Städtetourismus und Kurzausflüge eine Phase der Hochkonjunktur. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass es im vorigen Jahr den Zoos hierzulande wirklich gut ging. Uns liegen allerdings noch nicht alle Zahlen vor. Ich sehe am Beispiel des Leipziger Zoos, dass wir sehr gut rausgekommen sind.
Haben Sie die aktuellsten Besucherzahlen für Leipzig?
Im vergangenen Jahr kamen zu uns fast 1,9 Millionen Gäste. Das bedeutet ein deutliches Plus von circa 50.000 bis 60.000 Besuchern gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019. Das ist unser drittbestes Ergebnis in der Geschichte des Zoos Leipzig – und damit sind wir sehr zufrieden.
Können Sie uns einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Entwicklung der Zoos und Tierparks in Europa geben?
Als ältester Zoo der Welt gilt der 1752 eröffnete Tierpark Schönbrunn in Wien. Die frühere kaiserliche Menagerie von Maria Theresia von Österreich wurde 1778 für die Öffentlichkeit, vor allem für Bürgertum und Wissensgesellschaft, geöffnet. Die Zoologischen Gärten haben eine große Rolle gespielt, wenn es darum ging, Erkenntnisse über Natur, Tiere und Arten zu vermitteln. Am Ausgang der Französischen Revolution wurde in Paris die Menagerie als zweite Einrichtung für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ausgehend von diesen beiden Menagerien hat es in Europa drei große Entwicklungswellen gegeben: Die erste datiert auf Anfang des 19. Jahrhunderts, 1828, in London, die zwei weiteren markierten die Gründungen in Berlin 1844 und Basel 1874. Im Laufe dieser drei Entwicklungswellen sind die meisten Zoologischen Gärten entstanden. Der Zoo in Leipzig ist 1878 während der dritten Welle gegründet worden. Die inhaltliche Ausrichtung der Zoos hat sich natürlich völlig geändert. Die früheren Zoogründer folgten zunächst der Sensationslust der Menschen. Die Tieranlagen zur damaligen Zeit waren geprägt von spartanischen Käfigen. Die Menagerien zeichneten sich durch Badezimmer-Architektur aus und trugen den hygienischen Bedürfnissen der Zeit Rechnung. Über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten haben sich sowohl die inhaltlichen Konzepte als auch die räumliche Gestaltung der Zoos völlig geändert. Das moderne Selbstverständnis des Zoos entspricht dem eines Naturschutzzentrums, das nicht nur einen Bildungsauftrag erfüllt, sondern sich auch für den Artenschutz engagiert. Unser Selbstverständnis ist: Wir sind Teil der internationalen Gemeinschaft, die sich für den Erhalt und Schutz der Wildtiere sowie ihrer Lebensräume weltweit einsetzt.
Wen meinen Sie genau, wenn Sie „wir“ sagen?
Dann spreche ich von sogenannten wissenschaftlich geleiteten Zoos. Dem Selbstverständnis des Leipziger Zoos beispielsweise entspricht es, dass wir eine wissenschaftliche Leitung haben, sprich Veterinärmediziner und Biologen, die auch die fachliche Verantwortung für den gesamten Tierbestand der Einrichtung übernehmen. Und wir sind gemeinnützig unterwegs, das heißt wir wirtschaften nicht profitorientiert.
Welche besonderen Konzepte ragen mit Blick auf die deutschsprachige Zoolandschaft heraus?
Wenn man die jüngere Entwicklung betrachtet, tendiert die Entwicklung immer mehr zum Landschaftszoo, wo wir Lebensräume möglichst detailgetreu nachgestalten. Dort verzichten wir auch so weit wie möglich auf Barrieren, also Gitteranlagen. Die herkömmliche Zoo-Architektur tritt zurück zugunsten einer Landschaft, die als dienende Architektur die Szenerie für die Tiere bildet. Dabei müssen wir immer dem Wohl der Tiere und den optimalen Haltungsbedingungen Rechnung tragen. Wir versuchen mit naturnaher Gestaltung und immersivem Charakter, die Lebensräume der Tiere und den Besucherbereich ineinander übergehen zu lassen. Das Ziel dabei ist, ein ganzheitliches Erlebnis zu schaffen und so den Zoobesucher in das Gefühl zu versetzen, als ob er Teil einer Safari oder Weltreise sein würde.
Vor einigen Jahren berichteten Medien über das „African Village“ im Zoo in Augsburg. Dabei wurde ein afrikanisches Dorf nachgestellt, wo Menschen traditionelle Berufe ausüben. Dürfen Zoos mit solchen Events das Exotische derart ausstellen?
Wir gehen mit diesem Thema sehr sensibel um. Dass es in der Vergangenheit um die Jahrhundertwende die Völkerschauen gegeben hat, ist ein Fakt. Das ist Teil unserer Geschichte. Seinerzeit war die Haltung zum Kolonialismus eine ganz andere als heute. Heute haben die meisten Zoos ihre Geschichte aufgearbeitet, auch wir haben Publikationen dazu vorgelegt. Aus heutiger Sicht würden wir natürlich Grenzen ziehen, wobei ich persönlich finde, dass eine Veranstaltung, die afrikanische Kultur zeigt, durchaus erlaubt ist. Wir selbst stehen mit Vertretern der Leipziger Stadtverwaltung im Austausch darüber, was möglich ist und was nicht. Wenn es aber in Richtung Ausstellung von Menschen geht, sage ich klar, dass dann eine Grenze überschritten wird. Doch wenn ein Künstler oder Kunsthandwerker auftreten möchte, gehört das zum internationalen Austausch. Wichtig ist immer, solche Veranstaltungen würdevoll zu integrieren und kultursensibel einzubetten.
Einige Arten wären ohne Zoos längst ausgestorben. Nur durch die Inobhutnahme des Menschen haben sie überlebt. Können Sie uns dafür Beispiele geben?
Das Paradebeispiel ist der Europäische Wisent. Dessen Erhalt geht zurück auf das erste Zuchtprogramm in den 1930er-Jahren. Durch Bestände, die in menschlicher Obhut gehalten wurden, und durch die Anstrengungen der Zoos konnte das Wildtier wieder hochgezüchtet werden. Ein anderes Beispiel ist das Urwildpferd, auch Przewalski-Pferd genannt. In die Mongolei hat der Zoo Leipzig regelmäßig nachgezüchtete Tiere abgegeben und ausgewildert. Auch der Andenkondor ist nur mithilfe Zoologischer Gärten in Südamerika erhalten worden. In unseren Breiten ist auf jeden Fall der Bartgeier oder Habichtskauz zu nennen.
Warum ist es so schwierig oder nicht sinnvoll, einige Zootierarten auszuwildern, um in den Heimatländern eine Rote-Liste-Art wie beispielsweise die Kattas auf Madagaskar in ihrer Population aufzustocken?
Grundsätzlich ist das bei allen Arten möglich. Bei einigen ist es einfacher, bei anderen komplizierter. Alle Huftierarten und bestimmte Vogelarten können ohne Weiteres ausgewildert werden. Bei Tieren wie Menschenaffen oder Raubtieren ist eine Auswilderung schwieriger, insbesondere, wenn sie an den Menschen gewöhnt sind oder als Raubtier den Menschenkontakt suchen. So sind beispielsweise Ansiedlungsversuche des Tigers deshalb schiefgegangen, weil dieser vom Menschen wieder als Feind angesehen wurde. Für jede Auswilderung braucht es einen langen Atem, den politischen Willen und geschützte Gebiete. Wenn das alles zutrifft, kann eine Ansiedlung gelingen. Die Zoos setzen zweierlei um: die Gesunderhaltung der Bestände mit dem Anspruch, in den nächsten 100 Jahren 90 Prozent der genetischen Vielfalt zu bewahren, und den Schutz der natürlichen Lebensräume und das Einbringen von Know-how bei Wiederansiedlungsprojekten vor Ort.
Auf der einen Seite das Arche-Noah-Prinzip und auf der anderen das Engagement der Zoos und Tierparks in den Herkunftsländern der Tiere?
Ja, so kann man das sagen.
Tierschützer sagen, dass Zootiere in Käfigen und Gehegen quasi in Gefangenschaft leben und dabei zu verkümmern drohen. Bei Großkatzen und Bären ist das rastlose Hin- und Herlaufen oder das Schwenken des Kopfes zu beobachten. Was halten Sie dem entgegen?
Wenn die Kritik berechtigt ist, nehmen wir das natürlich ernst. Wir – die wissenschaftlich geleiteten Zoos – erheben den Anspruch, dass unsere Tiere der Art gemäß gehalten werden und sie ihre Bedürfnisse ausleben können. Wir haben anhand biologischer Erkenntnisse und des Verhaltensrepertoires der Tiere nachgewiesen, dass wir Gehegeanlagen so gestalten können, dass Tiere sich wohlfühlen, sie ihre Bewegungen und ihr Sexualleben ausleben können. Die andere Frage ist ethischer Natur: Darf ich das? Wenn es Zoos nicht geben würde, müsste man sie heute erfinden, weil der Druck, Tiere zu erhalten, immer weiter steigt. Ich würde sagen, so wie wir uns das Recht einräumen, Haustiere zu halten, dürfen wir Wildtiere der menschlichen Obhut anvertrauen. Bei uns leidet kein einziges Tier, ansonsten wären die Tierpfleger die ersten, die streiken würden. Ich behaupte, dass die grenzenlose Freiheit in der Natur für Tiere nicht existiert. Auch sind die Lebensräume und die Gebiete, wo sie Nahrung finden, begrenzt. Muss ein Elefant 100 Kilometer am Tag laufen, um Futter zu finden? Nein, das muss er nicht. Er muss sich bewegen können, Nahrung finden und satt werden, aber nicht eine Strecke von 100 Kilometern zurücklegen. Nirgends gibt es so hohe Tierhaltungsstandards wie in Mitteleuropa.
Sie haben vor einigen Jahren das Konzept für den Zoo der Zukunft in Leipzig entwickelt. Wie können die Zoologischen Gärten zukünftig immer noch attraktiv sein?
Man braucht nur auf die jährlichen Besucherzahlen hierzulande zu schauen. Mehr als 35 Millionen Zoobesucher zählen die wissenschaftlich geleiteten Zoologischen Gärten. Wenn Sie die kleineren dazu zählen, kommen sie sicherlich auf 45 Millionen Besucher pro Jahr. Die 55 Mitglieder im Verband der Zoologischen Gärten stehen für die 35 Millionen Gäste. Wie können die Zoos attraktiv bleiben? Indem sie mit der Zeit gehen, sich selbst aber treu bleiben, nämlich die Ansprüche, Tierhaltung auf höchstem Niveau und Respekt vor den Tieren, erfüllen. Wenn wir über den Erhalt der Biodiversität und die Folgen des Klimaschutzes reden, sind da die Zoos in ihrer Aufklärungsrolle sehr wichtig.