Jetzt aber! Oder nicht? Die Verhandlungen für einen WM-Vereinigungskampf zwischen den ungeschlagenen Weltmeistern Tyson Fury und Oleksandr Ussyk gestalteten sich schwierig. Ein deutscher Hoffnungsträger schaut interessiert von außen zu.
Eine Social-Media-Abteilung braucht Tyson Fury nicht, die Nachrichten und Videos bei Instagram und Co. veröffentlicht der Box-Weltmeister augenscheinlich selbst. Ansonsten hätte er sich für so manchen Post viel Ärger erspart – aber Ärger ist in gewisser Weise auch sein Geschäft. Der Brite gefällt sich in der Rolle des Bösewichts der Boxszene, in der Typen wie er immer noch die größte Aufmerksamkeit generieren. Und so pöbelt Fury im Internet was das Zeug hält, und natürlich lobpreist er sich selbst in höchsten Tönen. „Der Gypsy King ist immer noch der Champion des Volkes, mit Eiern wie King Kong“, schrieb er kürzlich bei Instagram: „Kein Mann, der von einer Mutter geboren wurde, kann oder wird mich schlagen. Das ist meine Ära, und Boxen ist mein Königreich.“ Viel Pathos, aber selbst für seine Fans mittlerweile viel Blabla. Ein User stellt Fury eine Frage, die so oder so ähnlich zigmal in den Kommentaren auftaucht: „Aber wann kämpfst du gegen Usyk?“
Bisher immer am Geld gescheitert
Das ist die Frage, die die Boxfans auf der ganzen Welt in den vergangenen Monaten beschäftigte. Ein Titel-Vereinigungskampf zwischen den beiden ungeschlagenen Schwergewichts-Weltmeistern Fury (WBC) gegen Oleksandr Ussyk (WBA, WBO, IBF und IBO) ist das, wonach die Szene lechzt. Das, was dem nicht nur in Deutschland in den Seilen hängenden Boxsport neuen Auftrieb verleihen könnte. Das, was aktuell die größte Aufmerksamkeit und damit den größten Profit verspricht. Doch am Geld waren in der Vergangenheit alle Versuche gescheitert, Fury und Ussyk im Ring aufeinander loszulassen. Bis zum 10. März dieses Jahres. An jenem Tag war Fury mal wieder auf Social Media aktiv und unterbreitete seinem Widersacher ein Angebot, das der eigentlich hätte ablehnen müssen. „Ussyk, du und dein Team seid 30 Prozent wert. Nimm es oder lass es“, sagte der 34-jährige Fury in einer Instagram-Story und tönte: „Ab heute werde ich für jeden Tag, den du vertrödelst, ein Prozent abziehen.“
Doch das musste er gar nicht, denn Ussyk willigte zur Überraschung aller ein. Der Ukrainer bezeichnete Fury in einem Antwort-Video zwar als „gierigen Bauch“, aber er ging auf den Deal ein. „Ich nehme dein Angebot an. 70:30“, sagte der Vierfach-Champion, der nur eine Bedingung hatte: „Aber du versprichst, der Ukraine sofort nach dem Kampf eine Million Pfund zu spenden. Und für jeden Tag der Verzögerung wirst du ein Prozent deiner Einnahmen an das ukrainische Volk zahlen. Deal?“ Tja, das war die große Frage: Gibt es nun endlich einen Deal zwischen den beiden Boxern?
Ja – glaubte zumindest die WBA. Dem Verband, bei dem Ussyk seit seinem Sieg im Titel-Vereinigungskampf im September 2021 gegen den Briten Anthony Joshua den Gürtel innehat, war das monatelange Hin und Her der beiden Sportler schon länger ein Dorn im Auge. Die WBA stellte beiden Kämpfern ein Ultimatum zur Einigung. Sollte es nicht dazu kommen, müsste Ussyk seinen WBA-Titel gegen den Nummer-eins-Herausforderer Daniel Dubois verteidigen. Als die Frist gerade ablief, folgte Furys Angebot und Ussyks Einwilligung. Zufall? Wohl eher nicht. Die WBA ließ jedenfalls schnell verlauten, „dass es eine Vereinbarung gibt, den Vereinigungskampf zu führen“. In verschiedenen Medien wurde auch schon berichtet, dass man sich auf den 29. April als Termin geeinigt habe. Der Mega-Fight soll im Londoner Wembley Stadion stattfinden, nachdem sich die Option Saudi-Arabien zerschlagen hat. Die Managements der beiden Topboxer hätten jedoch um Zeit gebeten, erklärte die WBA, um Details im Vertrag zu klären.
Und genau darin sahen Skeptiker einen Grund, dass der Kampf doch nicht stattfinden werde – zumindest jetzt noch nicht. Die Aufteilung der Kampfbörse ist zwar die größte Hürde bei einem solchen Vereinigungskampf, aber eben längst nicht die einzige. Die jeweiligen TV-Partner müssen befriedigt werden, und auch die inzwischen fast schon obligatorische Rematch-Klausel muss definiert werden. Die war in den vorherigen Gesprächen offenbar bereits verhandelt worden, soll nun aber wieder zu Problemen führen. Ussyks Promoter, Alexander Krassyuk, ist vom ganzen Geschacher nur noch genervt. „Die Verhandlungen gehen jetzt auf Instagram live, sodass wir sehen, wie beide Boxer immer wieder Nachrichten austauschen“, sagte Krassyuk Mitte März: „Wir verhandeln seit so vielen Monaten. Wir haben all die kleinen Probleme, die größeren Probleme, die großen Probleme, was auch immer, durchgegangen. Es ist also schon alles erledigt.“
„Tut so, als würde er trainieren“
Eigentlich. Das einzige, was zumindest nach Angaben der Ussyk-Seite zunächst fehlte, sei Furys Zustimmung gewesen. „Obwohl er behauptet, dass er bereit ist und so tut, als würde er trainieren“, ergänzte Krassyuk mit unverhohlener Ironie. Der Ussyk-Manager spielte damit auf ein Video an, dass Fury direkt nach dem vermeintlichen Durchbruch in den Verhandlungen postete. „Guten Morgen, Welt“, sagte Fury: „Heute ist mein erster Trainingstag für den Kampf gegen Ussyk.“ Sollte das wirklich stimmen und der 29. April als Termin bestehen bleiben, blieben ihm ganze sechs Wochen Vorbereitung auf den wichtigsten Kampf seiner Karriere. In der Vergangenheit hatte der Instinktboxer zwar bewiesen, dass er auch innerhalb kürzester Zeit Gewicht verlieren und sich in ansprechende Form bringen kann. Aber Ussyk ist als Gegner ein anderes Kaliber. Er hat schon das Cruiser-Gewicht nach Belieben dominiert und sich auch nach seinem Aufstieg zu den „schweren Jungs“ im Rekordtempo zur Nummer eins profiliert.
Deswegen glauben nicht wenige Experten, dass Fury auf einen solchen Kampf überhaupt nicht vorbereitet ist – und dass er bei seinem 70:30-Angebot einfach nur geblufft habe. Zuvor hatte Fury ein 50:50 – und später ein 60:40-Angebot, bei dem der Sieger 60 Prozent der Einnahmen erhalten hätte, abgelehnt. Als Promoter von Anthony Joshua kennt Eddie Hearn diese Spielchen von Fury, die nicht nur dazu dienen, finanziell den größten Profit herauszukitzeln. Oftmals scheint Fury einfach auch nicht in Form zu sein für einen Schwergewichtskampf. Ussyk habe nun aber Furys Bluff durchschaut, sagte Hearn, jetzt gebe es für Fury „kein Entkommen“.
In der Szene ist die Meinung einhellig: Sollte es tatsächlich zum Megakampf kommen, ist das hauptsächlich Ussyk zu verdanken. Allerdings glaubt nicht nur der ehemalige Cruiser-Gewichts-Weltmeister Tony Bellew, dass sich der Ukrainer unter Wert verkaufen würde. „Er hätte sich wohl jeder Forderung Furys gebeugt und ich denke, es ist verrückt, dass er das getan hat, aber es ist, was es ist,“ sagt Bellew: „Aber ihm ging es nicht primär ums Geld, er hat alleine zum Wohle des Boxsports dieser unverschämten Forderung zugestimmt“. Ussyk gehe es einzig und allein darum, „zu beweisen, dass er der beste Schwergewichtler der Welt ist“.
Hält Fury seinen Gegner hin?
Das ist wohl nicht ganz richtig. Ussyks vielleicht noch größere Motivation ist es, seinen kriegsgeplagten Landsleuten einen Moment der Freude und des Stolzes zu schenken. Ihnen inmitten des Angriffskrieges durch die russische Armee vom Geschmack des Sieges testen zu lassen. Er selbst hat nach dem Kriegsbeginn vor über einem Jahr zum Maschinengewehr gegriffen und sich in Kiew kurzzeitig den Territorial Defense Battalions angeschlossen. Eigentlich wollte er wie die anderen Wehrpflichtigen auch weiter in der Ukraine im Krieg kämpfen, doch das Sportministerium erteilte ihm eine Ausnahmegenehmigung. Denn als prominenter Botschafter auf der Sportbühne hilft Ussyk seiner Heimat viel mehr. Bei einem Besuch in einem Kiewer Krankenhaus hätten ihn die verletzten Soldaten gebeten, wieder im Ring „für das Land zu kämpfen“, verriet der Champion: „Ich weiß, dass viele meiner Freunde, die mir sehr nahestehen, gerade an der Front sind und kämpfen. Was ich im Moment tue, ist, sie zu unterstützen.“ Er wolle ihnen „zwischendurch eine Art Freude bereiten“.
Dass er dafür wieder einmal im Land seines Gegners antreten müsste, dürfte kein Problem für Ussyk sein. Aufgrund seiner vielen wichtigen Siege, die er „auswärts“ eingefahren hat, wird er als „Road Warrior“ bezeichnet. Auch bei seinem bislang größten Triumph, dem WM-Sieg über den physisch klar überlegenen Joshua, ließ sich der technisch phänomenale Herausforderer von den 60.000 britischen Fans im Londoner Stadion keineswegs nervös machen. Joshua verlor einstimmig nach Punkten und ein Jahr später auch die Revanche in Saudi-Arabien.
Beide Kämpfe haben Ussyk nochmals reicher gemacht, um Geld geht es ihm sehr wahrscheinlich nur noch am Rande. Der sportlich reizvollste Grund ist der WBC-Gürtel, den Fury seit seinem K.-o.-Sieg 2020 gegen Deontay Wilder trägt. Kann sich Ussyk diesen Titel sichern, wäre er der erste unbestrittene Schwergewichts-Champion seit Lennox Lewis. Der US-Amerikaner hatte 1999 mit einem einstimmigen Punktsieg über Evander Holyfield die Titel nach Version der IBF, WBA, WBC und IBO auf sich vereint und damit den begehrten Status „Undisputed Champion“ verdient. Gleiches kann aber auch Fury mit einem Sieg gegen Ussyk erreichen. Jetzt muss es nur noch zum Kampf der Giganten kommen.
Einer, der sich das Ganze interessiert von außen anschaut, ist Agit Kabayel. Der hatte Anfang März in seiner Heimatstadt Bochum gegen den Kroaten Agron Smakici den EM-Titel gewonnen und einen höchst spektakulären Fight geliefert. SES-Promoter Ulf Steinforth war derart begeistert, dass er die Geburtsstunde „eines neuen deutschen Boxstars“ ausrief. In den Weltranglisten der vier wichtigsten Verbände ist Kabayel gut platziert, ein WM-Kampf zumindest in Reichweite. „Sollte jemand anrufen und mich für einen WM-Kampf haben wollen, ich bin bereit“, sagte der 30-Jährige.