Tyson Fury vs. Oleksander Usyk – seit langer Zeit warten die Boxfans auf den Titel-Vereinigungskampf. Und sie werden noch etwas länger warten müssen. Der für Mitte Februar geplante Fight findet erst am 18. Mai statt. Hat einer der beiden gekniffen?
Tyson Fury wusste ganz genau, dass ihm nicht viele Boxfans glauben würden. Also postete er auf seinen Social-Media-Kanälen zur Absage des Megakampfs nicht nur das von seinem Manager vorbereitete offizielle Statement, sondern auch ein Bild von seinem Gesicht. Darauf ist ein Cut über dem rechten Auge zu erkennen, es sollte wohl beweisen: Ich lüge nicht! Der bei einem Training hervorgerufene Cut benötige ganz augenscheinlich eine „dringende medizinische Behandlung und signifikante Nähte und eine längere Zeit zur Regeneration, sodass jede Möglichkeit auf einen Kampf mit Usyk am 17. Februar in Saudi-Arabien scheitert“, hieß es in besagter Mitteilung. An jenem 17. Februar sollte im Königreich eigentlich endlich der langersehnte Titelvereinigungskampf der beiden Schwergewichts-Weltmeister Fury und Oleksander Usyk stattfinden. Doch zwei Wochen vor dem Duell, aus dem ein „Undisputed Champion“ herausgehen sollte, sagte Fury wegen einer Verletzung ab. „Wie schade“, sagen die einen. „Typisch Fury“, die anderen.
„Tyson Fury ist ein verdammter Feigling, der alles tun wird, um Usyk nicht gegenüberstehen zu müssen. Und er hat seine Schlampe gebeten, ihn mit einer Bratpfanne auf die Augenbraue zu schlagen. Ihr könnt mich so Wort für Wort zitieren!“, sagte Usyks Manager Egis Klimas dem „Ring Magazine“. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, die Möglichkeit einer tatsächlichen Verletzung des Briten zumindest in Betracht zu ziehen. Für ihn ist die ganze Sache nur ein vorgeschobener Grund. Seiner Meinung nach – und der schlossen sich viele Experten und Fans an – war Fury einfach nicht fit genug, um gegen einen Topathleten wie den Ukrainer Usyk in den Ring zu steigen und dort auch zu bestehen. Und Usyk? Der hatte damit insgeheim wohl gerechnet. „Als Oleksander die Nachricht hörte, lächelte er nur“, verriet Klimas: „Das ist alles, was er getan hat. Er ist geistig viel zu stark, um zu brechen.“ Auch für den Manager kam die Nachricht der Kampfabsage nicht wirklich überraschend: „Ich habe auf diesen Moment gewartet.“
NIcht einen Profikampf 2023
Nicht nur er. In der Szene wurde der Kampftermin immer kritisch begleitet, schließlich hat Fury im vergangenen Jahr keinen einzigen professionellen Boxkampf absolviert. Einzig für den lukrativen Show-Fight gegen den Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Francis Ngannou stieg der 35-Jährige Ende Oktober in den Ring. Doch sein knapper Sieg nach einer Split-Entscheidung gegen den Franko-Kameruner, der seinen ersten Boxkampf überhaupt bestritten hatte, warf mehr Fragen als Antworten auf. Es war eine eher peinliche Angelegenheit für den WBC-Weltmeister, der in der dritten Runde sogar auf die Bretter geschickt wurde und eine schlechte Figur machte. „Das stand so definitiv nicht im Drehbuch“, sagte Fury hinterher. Trösten konnte er sich, dass die Gage von angeblich 50 Millionen US-Dollar nicht an Leistung gekoppelt war. Doch allen Augenzeugen war klar: In dieser Form hat Fury nicht den Hauch einer Chance gegen Usyk. Kam deshalb jetzt der Rückzieher?
„Nenn‘ mich niemals wieder einen Feigling!“, wehrte sich Fury gegen den Vorwurf, gekniffen zu haben. „Ich habe 35 Profi-Kämpfe. Ich boxe 18 Jahre meines Lebens. Ich bin zehnmal nach den schwersten Schlägen der Geschichte aus dem Ring geklettert. Und habe gewonnen! Nie zurückgewichen! Nie ein Feigling!“, sagte der Brite. Angesprochen auf Klimas heftige Aussagen im „Ring Magazine“ drohte er dem Usyk-Manager gar: „Und wenn jemand meine Frau eine Schlampe nennt, dann schlage ich ihm die Zähne aus, verstanden?!“ Unmittelbar nach der Absage hatte Fury sinnbildlich noch reichlich Kreide gefressen, da klang er völlig anders. „Ich kann mich nur bei allen Betroffenen entschuldigen, auch bei meinem eigenen Team, dem Team Usyk, den Kämpfern, Partnern und Fans im Vorprogramm sowie bei unseren Gastgebern und meinen Freunden im Königreich Saudi-Arabien“, sagte Fury. Er sei „absolut am Boden zerstört, nachdem ich mich so lange auf diesen Kampf vorbereitet habe und in so hervorragender Verfassung war“. Und weiter: „Ich fühle mich schlecht für alle, die an diesem großen Ereignis beteiligt sind, und ich werde fleißig auf einen neuen Termin hinarbeiten, sobald das Auge geheilt ist.“
Furys Motivation ist durch die Sticheleien aus dem Usyk-Lager jedenfalls gestiegen. „Ich kann es kaum erwarten, den Hasen zu zerschlagen“, schrieb er auf Instagram: „Ich kann nichts dafür, dass ich mich beim Sparring verletzt habe. Aber was ich sagen kann ist, Usyk war in Schwierigkeiten. Ich bin in fantastischer Form.“ An der kann er in den nächsten drei Monaten weiterarbeiten, denn es wurde ein neuer Termin gefunden: Am 18. Mai soll der seit Jahren herbeigeredete Kampf in Riad nun stattfinden – diesmal aber auch wirklich. Usyk setzt dafür seine Titel der WBA, WBO und IBF aufs Spiel, Fury stellt den Gürtel der WBC zur Disposition. Wer von den beiden bislang unbesiegten Boxern als Sieger aus dem Ring steigt, darf sich unumstrittener Champion im Schwergewicht nennen. Diesen Status hatte zuletzt 1999 Lennox Lewis inne, als er Träger des WBA-, WBC-, und IBF-Gürtels war. Danach waren alle Schwergewichtsboxer am Versuch gescheitert, die wichtigsten WM-Titel alle auf sich zu vereinen.
Immer wieder Probleme
Eigentlich hätten Fury und Usyk sich schon am 29. April 2023 im Londoner Wembley Stadion gegenüberstehen sollen – das zumindest war der ursprüngliche Plan. Doch es tauchten immer wieder Probleme auf, die TV-Rechtefrage musste genauso geklärt werden wie die fast schon obligatorische Rematch-Klausel. Verzwickter war da schon die Aufteilung der Kampfbörse, bei der der dreifache Champion Usyk auf dem Papier eigentlich mehr hätte bekommen müssen. Doch zum Erstaunen vieler – vielleicht auch von Fury selbst – nahm Usyk das von Fury öffentlich gemachte Angebot von nur 30 Prozent der Kampfbörse an. „Aber du versprichst, der Ukraine sofort nach dem Kampf eine Million Pfund zu spenden“, sagte er in einer Videobotschaft an Fury gerichtet: „Und für jeden Tag der Verzögerung wirst du ein Prozent deiner Einnahmen an das ukrainische Volk zahlen. Deal?“
Es kam trotzdem zunächst kein Deal zustande. Dem Verband WBA, bei dem Usyk seit seinem Sieg im Titel-Vereinigungskampf im September 2021 gegen den Briten Anthony Joshua den Gürtel innehat, wurde die Verzögerungstaktik zu bunt. Er stellte beiden Athleten ein Ultimatum, um sich auf einen Vereinigungskampf zu einigen. Ansonsten müsste der Ukrainer seinen WBA-Titel gegen den Nummer-1-Herausforderer Daniel Dubois verteidigen. Das tat er dann auch im polnischen Breslau, als er den Briten durch technischen Knockout in der 9. Runde besiegte. Fury sah offenbar seine Felle davonschwimmen. Ende September gaben beide Boxer bekannt: Der Kampf steht, Mitte Februar ist der Tag der Abrechnung. Doch dazu kommt es nun doch (noch) nicht.
Das ist natürlich auch ein Problem für den Veranstalter. Saudi-Arabien wollte diesen Megafight unbedingt und bot dafür ein unmoralisch hohes Angebot. Das wegen der Missachtung der Menschenrechte viel kritisierte Königreich bietet nicht nur im Boxsport exorbitante Summen, um große Events austragen zu dürfen und damit eine Art „Sportswashing“ durchzuführen. Der Sport ist für solche Trickspiele besonders anfällig. Allein Fury soll Medienberichten zufolge rund 100 Millionen US-Dollar für den WM-Kampf kassieren – und das kommt seinem Plan gut entgegen. „Ich möchte bei der Forbes-Liste für den bestbezahlten Athleten des Jahres an der Spitze stehen, und ich möchte einen Hollywood-Film machen“, sagte Tyson Fury kürzlich. Mit dem Profisport hat der „Gypsy King“ (35 Kämpfe, 34 Siege, ein Remis) dagegen weitestgehend abgeschlossen. „Es ist alles gemacht. Ich habe alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, und ich werde auch noch die letzten Gürtel, die zur Zeit Usyk hat, in meinem Kampf gegen ihn gewinnen“, sagte er.
Für die Ukraine ist Usyk ein Held
Usyk (21 Kämpfe, 21 Siege) steigt für einen ganz anderen Grund in den Ring. Er will seiner kriegsgeplagten Heimat Stolz, Freude und Ablenkung verschaffen. Er, der nach dem Einrücken der russischen Armee selbst zum Maschinengewehr gegriffen und sich zeitweise in Kiew bei einer Freiwilligen-Einheit gedient hat, boxt auch für die Ukraine. Und er nutzt die große Bühne, um auf das Leid in seinem Land hinzuweisen – und auf die Schuld Russlands. Von einer Rückkehr der russischen und belarussischen Athleten zu internationalen Wettkämpfen wie Olympia in Paris hält der Schwergewichts-Weltmeister wenig überraschend nichts. „Die Medaillen, die russische Sportler gewinnen werden, sind Medaillen aus Blut, Tod und Tränen“, sagte Usyk in einer Instagram-Videobotschaft an IOC-Präsident Thomas Bach gerichtet.
Für die Ukrainer ist Usyk ein Held. Selbst Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj ist ein großer Fan des Olympiasiegers von 2012. Bei seinem letzten Kampf gegen den Briten Dubois in Breslau wurde Selenskyi auf der Videoleinwand zugeschaltet, er sprach Lobeshymnen auf Usyk und auch auf die polnischen Gastgeber. Kein Wunder: Sportstars sind wichtig für die ukrainischen Politiker, um den Zusammenhalt der Menschen im Land zu gewährleisten. Und die ist in Kriegszeiten wichtiger denn je. Usyk weiß, dass er als aktuell vermutlich bester Schwergewichtsboxer der Welt eine große Rolle in diesen Überlegungen spielt. Doch er nimmt diese mit Demut an. „Ich bin kein Superstar. Ich bin nur ein durchschnittlicher Kerl, der etwas gut kann“, sagte der Nachfahre von Krim-Tataren. Usyk tritt so anders auf als sein Widersacher Fury, der immer wieder Lärm, Schlagzeilen und Ärger produziert. Auch deshalb ist der Titel-Vereinigungskampf als ein Duell der Gegensätze so faszinierend. Sofern er denn jemals zustande kommt.