Durch Aktivierung der weißen Blutkörperchen kann der scharfe Bestandteil der Ingwerknolle namens Gingerol die Immunabwehr signifikant stimulieren. Dadurch leistet er wertvolle Hilfe im Kampf gegen Erreger, beispielsweise von Erkältungskrankheiten.
In der chinesischen Heilkunde werden dem Ingwer schon seit rund 2.500 Jahren verschiedenste gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Auch hierzulande schwören immer mehr Verbrauchende auf die Knolle, deren ursprüngliche Heimat sich nicht mehr erkunden lässt und die versuchsweise auch schon in Deutschland angebaut wird. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat sich die jährliche bundesweite Einfuhrmenge des fruchtig-scharfen Nahrungsmittels auf fast 32.000 Tonnen mehr als vervierfacht. Indien ist mit weitem Abstand das Hauptanbauland, während China der größte Ingwer-Exporteur ist.
In hiesigen Apotheken, Drogerien oder Reformhäusern werden vermeintliche Ingwer-Präparate wie beispielsweise Lutschtabletten, aber auch Ingwersalben, Ingwertees oder Ingwersäfte angeboten. Wer statt der pulverisierten Version der Knolle die frische Wurzel bevorzugt, beispielsweise zum Aufpeppen von Rezepten der gesunden Küche oder zum Aufbrühen eines Tees, wird auf Märkten oder in den Obst- und Gemüse-Abteilungen der Lebensmittelläden inzwischen leicht fündig werden. 2018 wurde Ingwer vom Verein Theophrastus zur Heilpflanze des Jahres gekürt. Der in Chemnitz angesiedelte NHV hat sich die Förderung und Verbreitung naturheilkundlichen Gedankenguts zum Ziel gesetzt. Neben der fernöstlichen Würze wurde dem Ingwer dabei ein breites Wirk-Spektrum im medizinischen Bereich zugeschrieben. So könne der Ingwer-Wurzelstock bei Übelkeit und Reisekrankheit hilfreich sein. Ferner habe er verdauungsfördernde, schmerzstillende sowie entzündungs- und tumorhemmende Effekte.
Damit nicht genug, kursieren seit geraumer Zeit auch Gerüchte, laut denen Ingwer zu einer wahren Wunderwaffe als Virenkiller, als verlässliche Abnehmhilfe, als Blutverdünner oder ganz allgemein als Schutz gegen viele Krankheiten von Diabetes bis Arthrose deklariert wird. Durch wissenschaftliche Studien konnte bislang kaum eine dieser Behauptungen bestätigt werden. Einzige Ausnahme ist die tatsächlich belegte Wirksamkeit von Ingwer bei Reise- und Schwangerschaftsübelkeit. Es konnte nachgewiesen werden, dass die sogenannten Gingerole – die für den Geschmack maßgeblichen Scharfstoffe des Ingwers – die für das Auslösen der Übelkeit verantwortlichen Serotonin-Rezeptoren vor allem im Bereich der Magenschleimhaut blockieren können. Eine gewisse verdauungsfördernde Wirkung ohne jegliche Diät-Effizienz wird dem Ingwer in der Allgemeinmedizin ebenso eingeräumt wie als Hilfsmittel gegen Schnupfenviren (Ingwertee) oder zur äußeren Schmerzlinderung (Ingwerwickel die eine tiefgreifende Wärmeausbreitung ermöglichen – mit potenzieller, schärfebedingter Hautreizung). Eine Blutverdünnung durch Aufnahme von Ingwer konnte durch Untersuchungen widerlegt werden. Für einen Einsatz von Ingwer als Anti-Krebsmittel konnten in der Forschung keinerlei Ansatzpunkte gefunden werden, bei Labortests mit menschlichen Zellen oder bei Tierversuchen konnten Ingwer-Ingredienzen keinen Einfluss auf Tumore erzielen.
Die Knolle hat 150 Inhaltsstoffe
Um mögliche Wirkungen verstehen zu können, dürfte es hilfreich sein, zunächst einmal die Inhaltsstoffe der Knolle zu kennen. Denn davon gibt es rund 150. Wobei unter der Schale beispielsweise Vitamin C, Eisen, Calcium, Kalium, Zink, Natrium oder Magnesium zu finden sind. Die wesentlichen Bestandteile sind ätherische Öle und vor allem die Scharfstoffe, mit den Gingerolen, die besonders im frischen Ingwer reichlich vorhanden sind, und den sogenannten Shogaolen (Abbauprodukten der Gingerolen) in getrockneten Erzeugnissen an der Spitze.
In einer aktuellen, im Fachjournal „Molecular Nutrition Food Research“ veröffentlichten Studie konnten Forschende des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München unter Leitung von Prof. Veronika Somoza und Dr. Gaby Andersen nun nachweisen, dass der Konsum von Ingwer unser Immunsystem effektiv stärken und damit durchaus wertvolle Hilfe beispielsweise bei Erkältungskrankheiten liefern kann. Ausgangspunkt der Forschung war die Frage, ob sich verifizierbare Hinweise für die häufig vermutete Stimulation des Immunsystems durch Ingwer finden lassen könnten. Und ob übliche Verzehrmengen ausreichen können, um positive gesundheitliche Aspekte erzielen zu können. Wobei dann auch noch der Nachweis erbracht werden sollte, welche Inhaltsstoffe und welche molekularen Mechanismen bei dem Prozess die zentrale Rolle spielen.
Schon eine 2016 vom gleichen Institut unter Federführung von Dr. Gaby Andersen veröffentlichte Pilotstudie hatte auf der schmalen Basis von zwei Probanden, die je einen Liter Tee aus 100 Gramm frischer Ingwerknolle innerhalb von 20 Minuten auf nüchternen Magen getrunken hatten, das Auftauchen einer signifikanten Menge von Ingwerscharfstoffen im Blut nach einer kurzen Zeit von 30 bis 60 Minuten belegen können. Die mit Abstand höchsten Werte konnte dabei der Scharfstoff 6-Gingerol mit einer Plasmakonzentration von sieben bis 17 Mikrogramm pro Liter erzielen. Von genau diesem Scharfstoff ist laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schon länger bekannt, dass er seine „geschmackliche“ Wirkung über den sogenannten TRPV1-Rezeptor entfaltet. Bei diesem Rezeptor handelt es sich um einen Ionenkanal, der auf der Oberfläche von Nervenzellen sitzt und auf Hitze- und Schmerzreize sowie auf Scharfstoffe aus Chili oder Ingwer reagiert.
Wenig 6-Gingerol, große Wirkung
Laut den Forschenden hatten frühere wissenschaftliche Untersuchungen die Vermutung nahegelegt, dass auch die weißen Blutkörperchen des menschlichen Immunsystems über diesen speziellen Rezeptor verfügen könnten. Daher hatte sich das Team die Aufgabe gestellt herauszufinden, ob der Wirkstoff Gingerol im Zusammenspiel mit dem Rezeptor TRPV1 die Aktivität der Immunzellen beeinflussen kann. Zunächst einmal konnten die Wissenschaftler den Rezeptor tatsächlich auf der Oberfläche der sogenannten neutrophilen Granulozyten nachweisen, die etwa zwei Drittel der weißen Blutkörperchen im menschlichen Organismus ausmachen und deren Hauptaufgabe darin besteht, eindringende Bakterien abzuwehren. Nun galt es zu überprüfen, welche Auswirkungen die Vergabe von 6-Gingerol auf die Aktivität dieser Abwehrzellen des Immunsystems haben könnte. Unter Laborbedingungen interagierte der Scharfstoff tatsächlich mit den weißen Blutkörperchen und setzte diese in eine erhöhte Alarmbereitschaft. Dabei reichte bereits eine sehr geringe Konzentration von knapp 15 Mikrogramm 6-Gingerol pro Liter Nährmedium aus, um diesen erwünschten Effekt erzielen zu können.
In einem ergänzenden Test konnten die Forschenden belegen, dass die durch den Ingwer-Scharfstoff stimulierten Zellen etwa 30 Prozent stärker auf eine künstliche, mithilfe eines Peptids vorgetäuschte bakterielle Infektion reagierten als Kontrollzellen, die nicht mit dem Gingerol in Kontakt gekommen waren. Daraus haben die Wissenschaftler den Schluss gezogen, dass das im Ingwer enthaltene 6-Gingerol das menschliche Immunsystem tatsächlich im Kampf gegen bakterielle Erreger unterstützen kann. „Somit reichen zumindest im Versuch sehr geringe Gingerol-Konzentrationen aus, um über den TRPV1-Rezeptor die Aktivität von Immunzellen zu beeinflussen“, erklärt Dr. Gaby Andersen, die Hauptautorin der Studie, „im Blut ließen sich solche Konzentrationen theoretisch durch den Konsum von gut einem Liter Ingwertee erzielen.“ Ähnlich optimistisch äußerte sich Prof. Somoza: „Damit stützen unsere Ergebnisse die Annahme, dass der Konsum üblicher Ingwer-Mengen ausreichen kann, zelluläre Antworten des Immunsystems zu modulieren. Dennoch sind noch viele Fragen auf molekularer, epidemiologischer und medizinischer Ebene offen, die es gilt, mithilfe einer modernen Lebensmittel- und Gesundheitsforschung zu klären.“